Mit Gelassenheit kann man sogar alte, weiße Männer zähmen

© Wiebke Jann

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Nun sieht er seine Tochter Wanda* nur noch am Wochenende. Ein Alltag zwischen Sehnsucht und Großstadt-Exzessen.

Gerade als es besser wurde, wird alles noch schlimmer. Wir blicken einer Zukunft entgegen, die so klingt wie ein Streifen von Michael Bay. "TRANSFORMERS VII: RISE OF OMIKRON". Um mit einer solch trüben Aussicht klarzukommen, braucht es Lifehacks. Letztes Jahr habe ich hier ein paar vorgestellt und nannte das naiverweise „Miniserie“. Ich dachte, das Thema wäre bald passé.

Die besten Eigenschaften, die wir nun wieder an den Tag legen können, sind Ausdauer und Gelassenheit. Als Wochenend-Daddy, der ich seit August bin, stehen mir dazu diverse Herangehensweisen zur Verfügung. Natürlich versuche ich dabei die gängigen Klischees zu vermeiden, um meiner Tochter auch in schwierigsten Zeiten ein Vorbild zu sein.

Mit Nonchalance gegen Omikron

Den Tag beginne ich mit der ersten Schicht in meiner Lieblingskneipe. Wenn ich dort um halb zehn in der Frühe aufschlage, ist längst die Crème de la Crème des Brunnenviertels anwesend. Alte, weiße Männer ohne Familie, die meisten davon in Rente. Es folgen die üblichen Corona-Rituale. Scannen des Impfnachweises, Einchecken mit der Luca-App, manchmal sogar ein Schuss Desinfektionslösung aufs Haus.

Zur ersten Tulpe perlfrischen Kindls schlage ich dann meine Lektüre auf. Seit letztem Jahr lese ich nur noch Bücher, die genauso endlos sind wie die Pandemie. "Berlin, Alexanderplatz". "Der Mann ohne Eigenschaften". Seit etwa drei Monaten den lieben Proust. Da bin ich auf Seite 4.780 und muss mich langsam von den Figuren verabschieden. Es wird schwierig werden, den Alltag ohne die Recherche zu stemmen.

Kindl, Musikbox und lange Bücher

Nach dem Lesen und weiteren Bieren fange ich an zu schreiben. Jeden Morgen etwa zwei bis drei Stunden. Aufgelockert wird die Arbeit durch die Musikbox und die Gespräche der anderen Gäste. Zunächst diskutieren sie minutiös die Schlagzeilen der BZ. Dann gibt es ein zwei Worte zum Wetter, und schließlich folgt ein Gespräch über den Kiez, etwa nach diesem Muster:

„Wo is'n eijentlich die Jülicher Straße?“

„Die is doch da hinten im Afrikanischen Viertel.“

„Nee, Quatsch, die is hier umme Ecke!“

„Aber jibt's nich ooch eene da hinten?“

„Nee, da haste Transvaal, Togo, Kongo, und warte ma, wie heißt die andere?“

„Lüderitz.“

„Stimmt! Die meinte ick! Lüderitzstraße, nich Jülicher.“

Oft wird auch über die Baustelle auf der Badstraße gemeckert oder die Inkompetenz von "denen da oben". So wurde neulich die These geäußert, dass nur zwei Drittel der Deutschen geimpft wären, weil Jens Spahn nicht genug Biontech gekauft hat. Das Nette an diesen Pantoffel-Veteranen ist allerdings, dass man mit ihnen reden kann. Wenn ich also zu bedenken gebe, dass das fehlende Drittel selbst für seinen Impfstatus verantwortlich ist, wiegen sie die Köpfe und sagen: „Stimmt, haste ooch wieda recht.“

Die Deutschen und "die da oben"

Gegen Mittag gehe ich kurz nach Hause, um etwas zu essen. Eine Handvoll Chips, oder was ich sonst auf dem Boden finde. Außerdem ruft mein Kind an, wenn sie Feierabend hat, und erzählt mir von ihrem Arbeitstag in der Schule. Von den neuen Buchstaben, und Wörtern in Russisch und Englisch. Neuerdings strickt sie auch und spielt Sonnenflöte.

Nach einer kurzen Mittagsruhe und dem Sonnenuntergang um 14.30 Uhr wackle ich ausgenüchtert zur zweiten Schicht. Beim Einchecken fällt mir wie immer auf, dass ich mich bei Luca gar nicht ausgecheckt habe. Obwohl mich die App immer vehement darauf hinweist. Zu den Gästen vom Morgen sind noch ein paar Eminenzen dazugekommen, und die Stimmung ist aufgeheizt. Wegen der neuen 2G-Plus-Regeln malt die Wirtin ein düsteres Bild an die Wand.

„Ick sache ma, dit is ja dann für uns wie'n Lockdown. Da könnwa ja glei zumachen, wenn jetze jeder trotz Impfung 'nen PCR-Test braucht, um ma'n Bierchen zu trinken. Da kommt doch keen Mensch mehr, oda binnick jetz völlich blöde?“

Fäuste werden geschüttelt, der ein oder andere Wut-Schnaps gekippt, die Musikbox spielt dazu unbeirrbar Phil Collins.

Die drohende Schließung ihres zweiten Zuhauses lässt die Belegschaft mit Verve am Käfig rütteln. Fäuste werden geschüttelt, der ein oder andere Wut-Schnaps gekippt, die Musikbox spielt dazu unbeirrbar Phil Collins. Auch ich fürchte mich vor geschlossenen Türen, immerhin verdanke ich dieser Kneipe drei, vier Romanseiten täglich. Doch wie eingangs erwähnt, sind genau das die Situationen, um Gelassenheit auszustrahlen.

„Was machst du?“, will mein Kind beim Gute-Nacht-Anruf wissen.

„Ich sitze im Wirtshaus und schreibe am Jugendroman.“

„Und warum ist es da so laut?“

„Die regen sich auf, weil sie nicht wissen, dass jede Kneipe ihre zusätzliche Maßnahme selbst festlegen kann. Wir müssen nur wieder Maske tragen, dann brauchen wir keinen Test.“

„Und was machst du morgen?“

„Da geh ich wieder lesen und schreiben und trinken. Jeden Tag, bis der Frühling kommt.“

Bevor ich auflege, stimmen wir noch unsere Pläne fürs Wochenende ab. Dann werde ich direkt von meinen Sitznachbarn am Tresen bestürmt, was ich da eben gesagt habe. Denn obwohl sie jedes Gerücht eifrig nachplappern, hören sie auch immer zu, wenn man mehr weiß. Überhaupt sind diese alten, weißen Menschen sehr angenehm. Was sich schon darin zeigt, dass sie noch nie gefragt haben, was ich da eigentlich tue mit meinen Büchern und Notizheften. Eine reinere Form der Akzeptanz gibt es nicht.

Und letzten Endes geht es doch darum, ob Pandemie oder nicht: Gelassen bleiben im Angesicht des Desasters. Und mit Ausdauer den Gerüchten begegnen, die alles noch anstrengender machen. Dann können wir alle beim Bierchen zusammensitzen und uns den Dingen widmen, die wirklich zählen.

© Mit Vergnügen
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