Ich will endlich wieder knutschen!
An einem kalten Januarmorgen, nach einer langen und durchtanzten Nacht mit viel zu vielen Drinks, aber unendlich guten Vibes habe ich das letzte Mal geknutscht. Also so richtig, mit ganz viel Leidenschaft und Herzklopfen, mit "kein Ende finden wollen" und "Können wir bitte die Zeit anhalten". Herrlich war das, weil es einfach so passiert ist, aus einem wahnsinnig schönen Moment heraus, ganz spontan im Rausch der Nacht, ohne über das Morgen nachzudenken. Ihr kennt das.
Ohne es damals gewusst zu haben, sollte ich noch lange davon zehren. Dieser Abend ist inzwischen mehr als zwei Jahre her, als unsere Münder noch kein Corona-Hotspot waren und bevor Abstandhalten zum Gebot der Stunde wurde. Traurig, aber wahr!
Ich habe das letzte Mal geknutscht, als unsere Münder noch kein Corona-Hotspot waren und bevor Abstandhalten zum Gebot der Stunde wurde. Traurig, aber wahr!
Über fast zwei Jahre waren praktisch alle Orte, an denen man normalerweise Menschen trifft und kennenlernt, gemeinsam feiert, flirtet und auf potentielle Knutsch-Buddies trifft, geschlossen. Nicht, dass das eine jetzt automatisch etwas mit dem anderen zu tun hätte, denn knutschen kann man ja schließlich auch zu Hause oder im Park. Was ich aber eigentlich sagen will, ist, dass es für jemanden, der*die 2020 und 2021 nicht in einer festen Beziehung gelebt hat, also Single ist, der oder die keinen "friend with benefit" oder sonstigen Flirt am Start hatte, reichlich kompliziert war, Menschen aus einer authentischen und ganz ungeplanten Begegnung heraus kennenzulernen, geschweige denn mit ihm oder ihr zu knutschen.
Die Räume, an denen sich ein potentieller Flirt am ehesten anbahnen könnte, existierten einfach nicht. Es sei denn, man flirtet gern im Supermarkt und mit Maske. Aktuell wird aus nachvollziehbaren Gründen eben mehr gekniffelt als geknutscht.
Es wird mehr gekniffelt als geknutscht
Aber mal ganz ehrlich Leute: Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Ich kniffel ja auch mal ganz gerne mit Freund*innen. Die Betonung liegt auf "mal". Nur halt bitte nicht jedes verdammte Wochenende. Ich vermisse das wilde und unkalkulierbare Leben. Das erste Mal knutschen in der Bar oder einem Club, mit Aufregung, dem Geschmack von Mate und Sekt und einer durchzechten Nacht im Mund – eben allem Drum und Dran. Oder noch schöner, der Moment, wenn ich es nach einem langen Spaziergang und guten Gespräch in Wahrheit gar nicht mehr abwarten kann, mein Date nach dem zweiten Treffen endlich nüchtern zu küssen, Lippen zu spüren, sich zu riechen und zu schmecken.
Wie unbeschreiblich gut es sich anfühlt, wenn sich noch keine*r von beiden so recht traut, den oder die andere zu küssen, obwohl es beide wollen und eigentlich glasklar ist, worauf es hinausläuft. Stattdessen grinst man sich minutenlang verschmitzt an, was die Aufregung nur noch einmal anheizt. Pure Anziehungskraft zwischen zwei Menschen und dieses verdammt schöne Kribbeln im Bauch, bevor dann endlich, endlich die Erlösung naht, die Zungen sich berühren und man sich ganz zaghaft immer mehr und mehr traut. Herrlich!
Ich weiß mittlerweile gar nicht mehr, wie sich das anfühlt. Und ich frage mich, wie das eigentlich für noch jüngere Menschen, die in der "Sturm und Drang"-Zeit ihres Lebens stehen, sein muss? Wie machen die das?
Klar, es gibt diejenigen, die trotzdem weiter gedatet und geknutscht haben. Why not. Das kann man schon machen. No judging! Warum ich es nicht getan habe? Weil sich in meinem Fall erst gar nicht die Situation und auch nicht die Stimmung dazu ergeben hat. Weil ich mich dann doch irgendwie stillschweigend für die sichere Abstinenz in Zeiten einer Pandemie entschieden habe. Ich meine, es gab immerhin Zeiten, da habe ich nur zwei Freund*innen regelmäßig getroffen – und das nicht mal in meiner eigenen Wohnung! Wie konnte ich da ans Knutschen mit einer neuen Bekanntschaft denken? Und naja, man knutscht halt auch nicht einfach jede*n, sondern muss eine Verbindung spüren.
Wie ging das eigentlich noch mal?
"Du könntest es doch mal mit einer dieser Apps versuchen, um jemanden kennenzulernen", empfiehlt mir eine Freundin neulich lapidar.
"Auf keinen Fall. Und überhaupt: Soll ich da in meine Bio schreiben, dass ich nach zwei Jahren gern mal wieder knutschen würde? Mehr aber eigentlich nicht? No way!", antworte ich ihr.
"Warum denn nicht? Das ist doch ein ganz natürliches Bedürfnis und so viel mehr Möglichkeiten gab es eben nicht. Was sollte daran also komisch sein?", fragt sie mich.
"Es ist nicht dasselbe, weil es so geplant und vorhersehbar ist. Weil ich Blind Dates hasse. Und weil ich einfach kein Online-Dating-Typ bin", stelle ich fest.
"Aber was ist dann aktuell deine Alternative?", fragt sie.
"Abwarten und Tee trinken?"...
Ich vermisse den Moment, wenn ich es nach einem langen Spaziergang und guten Gespräch in Wahrheit gar nicht mehr abwarten kann, mein Date endlich zu küssen, Lippen zu spüren, sich zu riechen und zu schmecken.
Ob das mit dem Abwarten und Tee trinken jetzt die beste Lösung ist, wage ich zu bezweifeln. Fest steht aber, dass mir dieses Online-Dating-Dings ein Dorn im Auge ist. Das ist mir einfach nichts. Auch wenn man nie nie sagen sollte – I know. Trotzdem: Ich vermisse das alles wahnsinnig, das Flirten, das Ausprobieren, das Botschaften senden – gerade jetzt, wo der Frühling und dann der Sommer kommt. Ich möchte echte Dates haben und diese nach einem schönen Tag nicht mit einem Ellenbogen-Check verabschieden müssen. Ich will, dass das Gefühl von Intimität und Nähe bleibt. Und das funktioniert am besten, wenn man knutscht.
Jemanden zu küssen gehört für mich zu den schönsten Nebensachen der Welt und wir alle wissen außerdem, dass dabei auch eine Menge Glückshormone ausgeschüttet werden – wenn auch nur für einen Moment oder einen Abend lang. Hauptsache Glückshormone!
Aber die Zeichen stehen gut, dass schon ganz bald wieder mehr möglich ist und wir unsere Münder wieder ohne Furcht aufeinander drücken und übereinander herfallen können. So lange und intensiv, wie wir wollen. Jetzt muss ich nur noch das mit dem Daten wieder lernen, denn: Ich will endlich wieder knutschen!
Ich möchte echte Dates haben und diese nach einem schönen Tag nicht mit einem Ellenbogen-Check verabschieden müssen. Ich will, dass das Gefühl von Intimität und Nähe bleibt. Und das funktioniert am besten, wenn man knutscht.