Heuschnupfen, Hitze und böllernde Deutsche – der Berliner Sommer ist Krieg

© Hella Wittenberg

Ich bin heute schon seit halb sechs wach und sitze auf meiner Bettkante, im Luftstrom zwischen Wohn- und Schlafzimmer, der so kalt ist, dass ich zum ersten Mal seit Tagen ein T-Shirt trage. Auch das Wochenende habe ich überwiegend im Bett verbracht, allerdings in einem anderen Zustand. Meine Tochter hat mir von ihren Streifzügen eine saftige Sommergrippe mitgebracht.

Zuerst dachte ich, es wäre nur ihr üblicher Psycho-Husten. Der klingt, als würde ein Güterzug durch ihre Bronchien rattern, doch ärztliche Untersuchungen zeigen jedes Mal, dass die vollkommen frei sind. Sie kriegt ihn immer, wenn große Veränderungen im Alltag anstehen. Wenn sie nach langer Unterbrechung, beispielsweise durch eine Pandemie, wieder zur Schule muss. Oder wenn sie – wie jetzt – nicht ermessen kann, was die Zukunft bringt.

Nach uns die Sintflut

In fünf Wochen wird sie mit ihrer Mutter aus Berlin wegziehen. Bis dahin verbringen wir unsere gemeinsamen Tage strikt hedonistisch. Ein bisschen wie die Musiker auf der sinkenden Titanic. Wir nutzen exzessiv die Außengastronomie, buchen uns täglich Termine im Freibad Humboldthain, spazieren mit Schleckeis und Bier von einem Spielplatz zum nächsten.

Natürlich war das an diesem Wochenende nicht möglich. Da habe ich mich in Rotz und Schweiß und Delirium tremens gewälzt. 35 Grad bei völliger Windstille, dazu eine Doppelspitze aus Heuschnupfen und grippalem Infekt. Hundstage, wie sie im Buch stehen. Immerhin war es nicht nötig, Fußball zu schauen. Das Schweigen der türkischen Nachbarsfamilien, die Böller der Deutschen, der hysterische Jubel aus der polnischen Enklave – in Berlin kann man sich alles akustisch zusammenreimen.

Rotz, Schweiß und Delirium tremens

Und nun endlich Erleichterung. 7 Uhr früh auf der Bettkante. Gefühlt 20 Grad. Selten hat der Wetterbericht so verheißend geklungen. Meine Tochter schläft noch auf dem Balkon, während ich mich mit diversen Einreiseformularen herumärgere. Der schiere Wahnsinn, was für einen kleinen Europa-Trip nötig ist. Das kann vor dem Schengen-Abkommen nicht viel komplizierter gewesen sein.

Ende der Woche werde ich mit dem Zug durch Italien fahren, dann weiter mit der Fähre nach Griechenland. Nicht wegen Flugscham, sondern weil ich was vom Weg sehen will. Doch während ich mich durch die verschiedenen nationalen Bestimmungen kämpfe, vor allem die schwierigen Regeln für die Wiedereinreise nach Deutschland, frage ich mich: Warum habe ich mich eigentlich impfen lassen, wenn ich jetzt trotzdem überall einen PCR-Test brauche?

Warum habe ich mich eigentlich impfen lassen, wenn ich jetzt trotzdem überall einen PCR-Test brauche?

„Papa, warum schimpfst du so laut?“, will mein gewecktes Kind wissen, als sie mich auf meinem windigen Posten besuchen kommt. Nachdem ich ihr die Schwierigkeiten geschildert habe, zuckt sie mit den Schultern und sagt: „Dann bleib doch in Berlin. Ich kann's eh nicht gut aushalten, wenn du so lange weg fährst.“

Für einen Moment liegt es mir auf der Zunge zu sagen, dass sie sich daran wird gewöhnen müssen. Schließlich werden wir uns ab August nur noch an den Wochenenden sehen. Stattdessen stelle ich den Laptop beiseite und erinnere sie daran, dass wir im Juli auch noch zusammen verreisen werden. Dann gehen wir in die Küche und bereiten uns ein üppiges Frühstück aus Strawberry Frosted Donuts, Fanta und Erdnussflips zu.

© Grafik: Mit Vergnügen, Foto: Hella Wittenberg
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