"Was bleibt, ist die Jogginghose und diese merkwürdige Gleichgültigkeit": Die neue Einsamkeit der Singles

© Yuris Alhumaydy | Unsplash

"Dir ist schon klar, dass wir jetzt mittags anfangen müssen zu trinken, damit wir pünktlich um 21 Uhr zu Hause sind?", schrieb mir eine gute Freundin am vergangenen Wochenende.

"Hahahaha, so'n Quatsch", antwortete ich mit einem Augenzwinkern. "So schlimm wird's schon nicht werden!"

Etwas panisch habe ich daraufhin die Nachrichten gecheckt, ob das wirklich stimmt, dass wir uns jetzt abends nicht einmal mehr zu zweit treffen dürfen – man weiß ja nie, in diesem Regelchaos. Aber da steht es schwarz auf weiß. Zwischen 21 und 05 Uhr dürfen Berliner*innen das Haus ab jetzt nicht mehr ohne triftigen Grund verlassen. Besuche und Treffen zu zweit sind verboten. Na wunderbar.

"Ich mach’ einfach gar nix mehr", kapituliert die Freundin am Handy ein paar Straßen weiter im Nordkiez.

Wir sind uns einig, dass wir unsere Unabhängigkeit und Freiheit lieben. Unter normalen Umständen zumindest.

Wir beide sind Singles, leben allein. Seit fast einem Jahr haben wir – wie alle – kein Fitnessstudio, keine Bar, kein Restaurant und keinen Club von innen gesehen. Wir sind uns einig, dass wir unsere Unabhängigkeit und Freiheit lieben. Unter normalen Umständen zumindest. Das mit dem Alleinwohnen, das haben wir nämlich selbst so entschieden nach all den Jahren WG-Leben. Ich allerdings im vergangenen Sommer, als die halbe Welt, inklusive mir, noch dachte, im Herbst sind wir durch mit der Pandemie. Dann würde alles besser. 

Dann könnte ich ja auch wieder Freund*innen einladen, zusammen mit ihnen in geselliger Runde kochen und ein Glas Wein schlürfen, an meinem neuen Esstisch im neuen Wohnzimmer sitzen und die Nächte durch quatschen. Immerhin das. Das dachte ich wirklich und so habe ich in meinem Urlaub im Oktober sehr eifrig begonnen, meine Wohnung zu renovieren. Bis Weihnachten wollte ich die viele Zeit zu Hause gut genutzt, alle Zimmer gestrichen, ein neues Sofa gekauft und die Küche hübsch gemacht haben.

Guess what? Nichts von alledem ist bis heute passiert. Bis auf zwei Zimmer, die immerhin einen neuen Anstrich bekommen haben, hat sich rein gar nichts in meiner Wohnung verändert. Der neue Esstisch ist immer noch nicht eingeweiht – weil die Zahlen wieder gestiegen sind und ich mich an die Regeln halte. Mal eben eine Hand voll Leute zum Streichen nach Hause bestellen? Aktuell nicht die smarteste Idee. Freund*innen zum gemeinsamen Kochen einladen? Geht auch nicht. Ob ich die Entscheidung mit dem Alleinwohnen heute noch mal so treffen würde? Fraglich. 

Ob ich die Entscheidung mit dem Alleinwohnen heute noch mal so treffen würde? Fraglich. 

Die Ausgangssperre kappt das soziale Leben von Singles komplett

Abgesehen von den Regeln und Beschränkungen, mit denen wir ja momentan alle leben müssen (und die absolut richtig sind, kein Zweifel), hat sich in mein privates Leben inzwischen eine seltsame Lethargie eingeschlichen. Ich funktioniere, so lange ich muss, solange ich Aufgaben, Deadlines und Verantwortung für andere habe. Wenn es aber um mich selbst, um mein persönliches Wohlbefinden geht, scheitere ich seit Wochen grandios.

Manchmal verlasse ich den ganzen Tag das Haus nicht. Oder auch zwei. Ich habe für alles eine Ausrede, warum ich dieses oder jenes jetzt nicht erledigen kann. Sport habe ich seit Monaten nicht getrieben. Und es ist mir total egal. Was bleibt, ist die Jogginghose und diese merkwürdige Gleichgültigkeit.

Das einzige, wozu meine Freundin und ich uns in den vergangenen Wochen gegenseitig motiviert haben, waren unsere gelegentlichen Abende zu zweit, bei ihr oder mir. Um wenigstens an einem Abend in der Woche nicht dasselbe zu tun wie jeden Tag. Allein im Homeoffice sitzen. Allein kochen. Allein Fernsehen. Allein auf dem Sofa wegdösen. 

Wir kochen dann zusammen, klagen uns (manchmal sehr dramatisch) unser Leid, weil wir eigentlich nichts anderes mehr tun als zu arbeiten, einmal haben wir sogar Kerzen gefärbt. Wer hätte gedacht, dass man das mal an einem Freitagabend in Berlin machen würde. Und wisst ihr was? Das tut so verdammt gut. Solche Abende sind wie Balsam für die Seele in dieser Zeit. Das ist der minimale Kontakt, den jeder Mensch braucht.

Und jetzt ist nicht einmal mehr der erlaubt.

Was bleibt, ist die Jogginghose und diese merkwürdige Gleichgültigkeit.

Für Singles, also Menschen, die (ob gewollt oder ungewollt) keine*n Partner*in haben oder aus welchen Gründen auch immer allein wohnen, ist das ein radikaler Einschnitt. Denn anders als Familien oder Menschen, die in WGs leben, wird ihnen neben dem gesellschaftlichen, nun auch noch ihr privates Sozialleben komplett beschnitten. Das letzte Fünkchen Motivation, die ich oft nur durch die Hoffnung auf ein bisschen Gesellschaft am Abend aufbringen kann, geht damit auch noch flöten. 

"Aber du bist doch nicht allein. Es gibt doch Zoom-Calls, WhatsApp und tagsüber kannst du dich ja auf Abstand und mit Maske mit einer Person draußen treffen.", höre ich von einem Kumpel, der mir Mut machen will.

"Ja, das kann ich machen, aber ich habe auch einen Job und kann nicht nachmittags und weil es gerade nur in dieser Zeit erlaubt ist, bis nach Steglitz gurken, um mit einer schwangeren Freundin spazieren zu gehen, weil sie die Bahn aus Angst vor einer Infektion selbstverständlich meidet. Denn dann bin ich drei Stunden unterwegs. Wer einen Full-Time-Job hat, dem bleiben unter der Woche nun mal nur die Abendstunden, um die beste Freundin oder ein Familienmitglied zu treffen", antworte ich so energisch, wie ich mich selbst lange nicht mehr erlebt habe.

Man kann sich auch einsam fühlen, obwohl man nicht allein ist

Ich habe meinem Kumpel gesagt, dass ich weiß, dass ich nicht allein bin. Ganz im Gegenteil. Ich habe einen großen Freund*innenkreis, eine große Familie und tolle Kolleg*innen. Ich habe noch nie so viel und regelmäßig von ihnen gehört wie im vergangenen Jahr. Aber den echten Kontakt, die echte Verbindung zu anderen Menschen kann WhatsApp oder ein Zoom-Call auf Dauer nicht kompensieren. Alleinsein und Einsamkeit sind nicht das gleiche. Man kann sich auch einsam fühlen, obwohl man nicht allein ist. Einsamkeit kann aber begünstigt werden, wenn man dauernd allein ist. Und das sind momentan sehr viele Menschen.

Bis vor Kurzem hätte ich noch vehement bestritten, dass ich als Alleinlebende in der Pandemie einsam bin, denn trotz allem habe ich meistens genug zu tun und eine neverending To-do-Liste sowieso. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Nur weil man genug zu tun hat, ersetzt das nicht die sozialen Kontakte, die Begegnung mit anderen Menschen. Die erneute Ausgangssperre nimmt mir als berufstätigem Single das letzte Zeitfenster, in dem ich bisher meine Freundin, meinen einzigen regelmäßigen Kontakt, treffen konnte. Und da muss auch ich mir eingestehen: Ich bin müde und deprimiert. Meine eigene Wohnung, meine Unabhängigkeit ist im Moment nichts mehr wert. Weil sie nicht mit Leben gefüllt ist.

Aber, und das ist vielleicht das einzig Positive, was ich dieser Pandemie abgewinnen kann: Ich habe Zeit, über meine Bedürfnisse nachzudenken und zu lernen, wie man Social Distancing besser macht. Es muss doch irgendetwas zwischen "Ich mach jetzt einfach gar nix mehr" und "Ich scheiß’ auf die Regeln" geben. Da diese Pandemie noch lange dauern wird, habe ich auch genug Zeit dafür, meinen ganz persönlichen Weg zu finden.

Und da muss auch ich mir eingestehen: Ich bin müde und deprimiert. Meine eigene Wohnung, meine Unabhängigkeit ist im Moment nichts mehr wert. Weil sie nicht mit Leben gefüllt ist.
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