Wer aus Berlin kommt, genießt überall Clown-Status
„Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint durchläuft dafür sämtliche Lebensentwürfe. Auf drei Jahre Kleinfamilie folgten vier Jahre Wechselmodell. Nun sieht er seine Tochter Wanda* nur noch am Wochenende. Ein Alltag zwischen Sehnsucht und Großstadt-Exzessen.
Es ist Samstagfrüh als ich nach Rostock zum Einschulungsfest meiner Tochter Wanda fahre. Um die Zeit bin ich natürlich noch ziemlich beschwipst, aber als professionellem Trinker merkt man mir sowas nicht an. Dabei hilft auch der Mundschutz: Dank ihm kann man sehr gut seine Fahne für sich behalten.
In der ersten Stunde unseres Wiedersehens hängen Wanda und ich fast ununterbrochen aneinander. Wir haben uns seit ihrem Umzug vor zwei Wochen nicht mehr gesehen, und müssen uns offenbar beide davon überzeugen, dass der bzw. die andere noch existiert. Mit kritischem Blick kontrolliert sie, ob ich das pinkfarbene Armband noch trage, das sie für mich gemacht hat und ist auch zufrieden, es an Ort und Stelle zu finden.
Einschulung mit Damenschwips
„Ah, dann müssen Sie der Vater aus Berlin sein?“, kommt Wandas zukünftige Lehrerin auf mich zu. Ich bin erleichtert, dass sie mein Gesicht nun schon einmal gesehen hat. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass mir mein Kind nächsten Freitag auch anvertraut wird, wenn ich sie abholen will. Zur Sicherheit werde ich trotzdem meinen Ausweis und ihre Geburtsurkunde mitführen.
Die Begrüßungszeremonie ist angenehm kurz. Danach gibt es noch ein Get-together mit den anderen Eltern auf dem Pausenhof. Wie immer in solchen Situationen, überkommt mich ein starker Drang, etwas zu trinken. Als „Vater aus Berlin“ genieße ich ohnehin Clown-Status. Es wäre vergebene Liebesmüh, da noch Seriosität vortäuschen zu wollen.
„Darf ich einschenken?“, ruft Wanda. Ihr geschultes Auge erkennt sofort, wenn ich meinen Flachmann zücke. Gekonnt misst sie 4cl ab, vergewissert sich anschließend, dass sie mir auch bekommen. Mal sehen, wie lange ihre Street Skills auf dem Land erhalten bleiben.
Zurück in den Sumpf
Wir umarmen uns eine Weile, bevor ich abends in den Zug steige. Immerhin werden wir uns erst in sechs Tagen wiedersehen. Was Wanda derweil nicht weiß, ist, dass ich keine Ahnung habe, wie ich in Zukunft die vielen Zugfahrten bezahlen soll. Die Deutsche Bahn ist dermaßen teuer, es wäre vermutlich günstiger, von Berlin nach Rostock zu fliegen.
Um meine Finanzen aufzubessern, fahre ich deshalb am Sonntag zum Pferderennen nach Hoppegarten. Zwei liebe Freundinnen begleiten mich und wir stimmen uns bereits in der S-Bahn mit einer Flasche Sekt auf das Kommende ein. Auch Wanda beteiligt sich aus der Ferne an dem Ereignis. Sie hat mir zehn Euro aus ihrer Sparbüchse mitgegeben, die ich auf ein braunes Pferd meiner Wahl setzen soll.
Die Pferde werden's schon richten
Anfangs sieht sogar alles ganz gut aus. Ich gewinne das erste Rennen, verliere die nächsten zwei, erwische dann aber im Vierten einen Außenseiter und liege dadurch mit knapp 60 Euro vorn. Im fünften Rennen setze ich deshalb aus Übermut mein eigenes und Wandas Geld auf Chilly Filly, einen weiteren Außenseiter mit einer Quote von 11,5.
Wanda ist per Video-Call live mit dabei, als sich vor unseren Augen ein Wunder abspielt. Chilly Filly läuft lange am Schluss, taucht erst in der Zielkurve unter den ersten fünf auf, wird Dritter, dann Zweiter. Soviel Glück kann man nicht haben, denke ich. Doch tatsächlich galoppiert unser glorreiches, braunes Pferd als knapper Sieger über die Ziellinie. Die Quote ist sogar noch gestiegen, weshalb wir für unsere zwanzig Euro Einsatz nun gut 250 Euro erwarten dürfen. Siegesgewiss stolziere ich zum Wettschalter, um den Gewinn in Empfang zu nehmen. Doch statt mir ein Bündel speckiger Geldscheine über den Tresen zu schieben, zuckt der Kassierer nur mit den Schultern. Im Freudentaumel ist mir entgangen, dass Chilly Filly in letzter Sekunde noch überholt wurde. In Zukunft werde ich wohl einen Kontrollblick auf die Anzeigetafel werfen.
Wenn ich eines als „Berliner Vater“ gelernt habe, ist es das: Man findet hier immer einen Weg, um auch mit Stil über die Runden zu kommen.
Letztendlich überstehe ich den Renntag mit Plusminusnull, was ja auch eine Leistung ist. Natürlich geht derweil für Wein und Champagner ein nicht unwesentlicher Spesenbetrag drauf. So wird es noch schwieriger werden, in Zukunft die Zugfahrten zu finanzieren. Wanda ist trotzdem stolz, als ich ihr am Abend noch mal ausführlich von den erlebten Dramen berichte. Es lenkt sie auch von der Aufregung ab, die sie angesichts ihres ersten Schultages am nächsten Morgen verspürt.
„Gute Nacht, Papa!“, sagt sie.
„Gute Nacht, Kind", sage ich und lege mich voller Zuversicht hin.
Denn wenn ich eines als „Berliner Vater“ gelernt habe, ist es das: Man findet hier immer einen Weg, um auch mit Stil über die Runden zu kommen.
* Name wurde geändert