Der Wunsch, begehrt zu werden: Das Buch "Three Women" erzählt von weiblicher Sexualität, Lust und Macht
Dass Frauen über ihre Sexualität, ihre Bedürfnisse und ihren Platz in einer Partnerschaft, über ihren Wunsch nach Anerkennung, Zuneigung und Begehren sprechen, ist in der Literatur ein Novum. In der Gesellschaft ein Novum. Denn bisher wurden primär die Bedürfnisse der Männer unserer Gesellschaft thematisiert. Dass damit im 21. Jahrhundert sowas von dringend Schluss ist, haben wir unter anderem einer Frau zu verdanken: der Autorin Lisa Taddeo. Mit ihrem Debütroman "Three Women" schaffte es die US-amerikanische Autorin im vergangenen Jahr direkt auf Platz 1 der Bestsellerliste der New York Times, inzwischen ist ihr Buch, das Anfang des Jahres im Piper Verlag auf Deutsch erschienen ist, und in dem sie die weibliche Sexualität zwischen Lust und Macht thematisiert, weltweit bekannt – und könnte zu einem der wichtigsten Bücher unserer Zeit werden.
Erzählt werden die Geschichten von Maggie, Sloane und Lina, die alle auf der Suche sind. Auf der Suche nach Anerkennung, Verständnis und Zuneigung. Maggie ist, nachdem sie sich auf ihren Lehrer eingelassen hat, auf der Suche nach Verständnis für ihre Situation und quält sich mit der Frage, wieso alle den Fehler bei ihr, nicht bei ihm sehen. Verständnis für ihn, aber nich für haben. Sloane wiederum ist auf der Suche nach Anerkennung, sie möchte wieder das Objekt der Begierde sein, sich von ihrem Mann begehrt fühlen. Stattdessen schaut dieser ihr lieber dabei zu, wie andere sie begehren. Und dann ist da noch Lina, Mutter zweier Kinder, verheiratet mit einem Mann, der sie nicht einmal mehr auf den Mund küssen will. Der sie mehr als Einrichtungsgegenstand denn als begehrenswerte Frau wahrnimmt. "Ich habe gesagt, dass ich mir so sehr wünsche, geküsst zu werden. Es mir mehr wünsche als alles andere!", verrät Lina ihren Freundinnen. Doch da ihr Mann ihr diese Sehnsucht und Zuneigung offenbar nicht geben kann, sucht sie sich diese bei einem anderen und will die Trennung.
Damit ihr schon mal einen kleinen Eindruck von Lisa Taddeos Buch bekommt, könnt ihr hier exklusiv einen Auszug lesen und euch selbst davon überzeugen, wie wahr und traurig Taddeos Sprache ist – und wie sehr sie einen damit fesselt.
Auszug aus "Three Women – Drei Frauen" von Lisa Taddeo
Lina
In der Praxis von Linas Arzt trifft sich eine Frauengesprächsgruppe. Hinter den Behandlungszimmern gibt es einen großen schönen Raum mit einem ovalen Mahagonitisch, und an diesem Abend Ende November trinken dort acht Frauen Chardonnay aus Plastikbechern, essen Cashewnüsse und dippen Wheat-Thins-Cracker in Hummus mit gerösteter Paprika. Ihr Alter reicht von Anfang dreißig bis Anfang sechzig. Eine von ihnen ist April, eine äußerst hübsche Lehrerin mit einem fünfjährigen Sohn namens Tristan; eine andere ist Cathy, mehrfach verheiratet und mit dem übersprudelnden Temperament einer Dolly Parton ausgestattet, als könnte nichts und niemand sie kleinhalten.
Die Frauen kommen wegen Stoffwechselbehandlungen zu diesem Hormonspezialisten aufs Land, durch die sie abnehmen wollen, und seit einer Weile verändert sich ihr Körpergefühl. Sie sagen, es habe damit zu tun, wie ihre Hosen jetzt säßen, damit, wie der Stoff auf Höhe ihrer Beckenknochen schlackere. Das verlorene Gewicht schafft Raum zwischen ihnen und der Welt. Die Hormone füllen diesen Raum mit neuen Bedürfnissen oder mit alten, die umcodiert worden sind.
April hat einen äußerst gut aussehenden Freund. Sie zeigt den Frauen ein Foto von ihm, und alle sind der Meinung, dass er sehr attraktiv ist. Sie schauen April danach anders an, mustern sie von oben bis unten. April sagt, sie seien schon seit einigen Jahren zusammen, und das sehr glücklich.
»Aber ich hatte ein Leben vor ihm«, fügt sie grinsend hinzu, »und meine Schwiegermutter weiß das und erinnert mich ständig daran. Kleinstadt eben.«
In der Vergangenheit habe es immer mal wieder Flauten im Bett gegeben, doch kurioserweise gehe es, seit sie bei ihm eingezogen sei, viel heißer zu als zuvor. Ihr Freund stehe auf Betrugsfantasien, erzählt sie der Gruppe, anfangs schüchtern, aber durch die Sicherheit, die ihr das ermunternde Kopfnicken der anderen Frauen vermittelt, gleich schon viel mutiger. Beim Sex soll sie ihm von den großen Penissen erzählen, die sie schon geritten hat.
Sie wisse, fährt April fort, dass sie eine bestimmte Linie nicht überschreiten dürfe. Auf keinen Fall dürfe es so klingen, als wäre einer der Penisse größer gewesen als seiner. Sie weiß, dass sie keine Namen nennen darf, damit er nicht bei Facebook nachsieht, ob sie noch Kontakt zu einem von den Männern hat. Sie erzählt nicht von dem Italiener Massi und der herrlichen Woche mit ihm in San Sebastián. Sie redet nicht darüber, wie es sich angefühlt hat, aus einem grauen Steinfenster zu schauen, während er von hinten in sie eindrang. Sie redet nicht darüber, weil sie noch immer sehnsüchtig daran denkt.
Lina ist mit zweiunddreißig die Jüngste in der Gruppe und die einzige Katholikin. Zu Beginn fühlt sie sich ziemlich unwohl bei einigen Sachen, die die anderen Frauen erzählen. Dann aber trinkt sie noch ein Glas Wein.
»Und du, meine Liebe?«, fragt Cathy, die Chefglucke.
»Wie sieht es bei dir aus? Mein Gefühl sagt mir, dass du etwas loswerden willst.«
»Na ja«, sagt Lina, »ich mache gerade eine spannende Zeit durch. Wenn ich ehrlich sein soll, ändert sich gerade alles für mich.«
»Was denn?«
Lina erzählt der Gruppe überlegt, aber entschlossen von ihrem Mann Ed und den drei Monaten, in denen sie darauf gewartet hat, dass er im Bett ihren Körper berührt. Nur überhaupt mal berührt. Wenn Lina das volle Gewicht ihrer Verzweiflung spürt, spricht sie meist sehr selbstsicher und unbeirrt.
»Wie kann man sich als Ehemann bezeichnen«, fragt sie, »aber seiner Frau die eine Sache verweigern, die mehr Verbindung schafft als alles andere?«
Cathy gackert und schüttelt den Kopf.
»Und du hast ihm gesagt, wie wichtig dir das ist?«, vergewissert sich April.
»Eine Zeit lang fast jeden Tag. Ich habe ihm gesagt«, und an dem Punkt fängt sie an zu weinen, »ich habe gesagt, dass ich mir so sehr wünsche, geküsst zu werden. Es mir mehr wünsche als alles andere!«
Die Frauen schauen auf ihre Plastikbecher. Nippen nervös daran. Der Wein schmeckt nach kühler Verachtung. Es folgen ein paar lahme Tipps, wie sich das Feuer wieder entfachen ließe. Lina sagt, sie habe alles probiert. Sie habe sich sexy Unterwäsche angezogen. Die Kinder zu ihren Eltern gebracht. Habe ihn liebevoll behandelt und auf sein emotionales Konto eingezahlt. Habe sich zurückgehalten. Sich rar gemacht. Sich nach einem eiskalten Glas Wasser verführerisch über die Lippe geleckt.
Irgendwann ist sie frustriert, weil es so schwer ist, anderen zu erklären, dass es einfach an ihm liegt, ihrem eigenen Ehemann. Jeder will etwas finden, das du anders machen kannst, dir den perfekten Frauenmagazintipp geben. Eine aus der Gruppe ist erst seit Kurzem geschieden und sagt, an manchen Tagen wisse sie nicht, was schlimmer sei, einen Mann zu haben, der einen nicht genug liebe, oder gar keinen Mann zu haben. Sie sagt, Geld mache vieles leichter. Man könne gehen und seine Kinder allein versorgen und habe das Selbstbewusstsein, den anderen in die Hölle zu schicken.
Lina weint lauter. »Ich habe aber kein eigenes Geld.«
»Na, na, na«, sagt Cathy. »Von allem, was ihm gehört, gehört die Hälfte dir, das weißt du doch. Außerdem steht dir in Indiana ...«
Lina schaut von ihrem halb zerfetzten Taschentuch auf. »Ja«, sagt sie, »das stimmt. Aber.«
»Aber was, meine Liebe?« Cathy hat sich neben Lina gesetzt und drückt ihr ein frisches Taschentuch in die Hand.
»Na ja, ich habe ihn um die Trennung gebeten.«
»Na also! Das ist doch schon mal ein wichtiger Schritt!«
»Das stimmt, aber ... so ist es eine Trennung und keine Scheidung, also zahlt er weiter meine Krankenversicherung.«
»Das ist er dir schuldig!«, sagt Cathy. »Verdammt, du kannst dich morgen von diesem Mann scheiden lassen und eine Krankenversicherung haben! Und die Hälfte von eurem Haus und allem anderen!«
»Aber was ist mit meinen zwei Kindern?«
»Es sind auch seine Kinder!«
»Ja, aber ...« Lina schaut in die Runde, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob sie den anderen vertrauen kann. Doch es ist zu spät, sie ist schon zu weit gegangen. Es gibt für alles ein Richtig und ein Falsch. In Indiana gibt es vor allem eine falsche Art, seinen Mann zu verlassen. Sie knüllt die feuchten Taschentücher in ihrer Faust zusammen und schaut Cathy an.
»Ich habe eine Affäre.«
Abrupt wird es still, so still wie vor einem Golfschlag, und in dieser Stille kann man beinahe die Denkblasen über den Köpfen der Frauen sehen.
So ein kleines Flittchen.
Wie konnte ich nur Mitleid mit der haben?
Wer es wohl ist?
Für wen hält die sich?
So hübsch ist sie gar nicht.
So viel zum Thema katholisch.
Hoffentlich ist es nicht mein Mann.
Ich hatte auch eine Affäre.
Mein Mann hat eine andere.
Ich bin in meinen Physiotherapeuten verliebt.
Cathy durchbricht die Stille als Erste. Als wäre es das Intro eines Countrysongs, sagt sie: »Okay, mein Schatz. Wir sind gespannt. Erzähl uns alles.«
Lina schließt die Augen. Ihr Wunsch, von dem Mann zu erzählen, den sie liebt, ist stärker als die Ahnung, dass es ihrem Verhältnis schaden kann, wenn sie darüber spricht. Ein Teil von ihr erkennt, dass ihr Verhältnis an Bedeutung gewinnt, wenn sie darüber redet. Sie trinkt einen Schluck Wein.
Dann sagt sie laut seinen Namen.
Vielleicht würde Aidan seine Frau nie verlassen. Vielleicht hatte er es gar nicht verdient, dass Lina ihn auf einen so hohen Sockel hob. Aber mit Aidan fühlte sie sich wieder wie eine Frau, nicht wie ein Einrichtungsgegenstand. Endlich sah sie nicht mehr nur das Ende ihres Lebens vor sich, malte sich nicht länger das trostlose Grau der Erde aus, in der sie einmal begraben liegen, und auch nicht die Straße, die der Leichenwagen dann entlangfahren würde. Und das war so viel mehr Leben, als sie in den letzten Jahren bekommen hatte.
Lisa Taddeo | Three Women – Drei Frauen | erschienen im Piper Verlag | 416 Seiten | 22 Euro | Mehr Info