In Adiletten zur Arbeit: Ich habe einen Tag als Bademeisterin gearbeitet
Raus aus der Medien-Bubble und rein in andere Berufe: In unserer neuen Reihe "Tagespraktikum" tauchen wir in die verschiedensten Betriebe und Berufsfelder ein und packen für einen Tag richtig mit an. In dieser Folge waren wir im Kombibad Spandau der Berliner Bäderbetriebe.
Denke ich an Bademeister*innen, huschen meine Gedanken sofort rüber nach Amerika zu den Life Guards, genauer gesagt, zu Baywatch. Ich denke an durchtrainierte und braun gebrannte Männer und Frauen, die den ganzen Tag im Sommer draußen sind – mit Glück an einem Ort am Meer die Strandaufsicht übernehmen und mit weniger Glück zumindest das Strandbad Wannsee beaufsichtigen. "Die haben es gut", denken sich vermutlich die meisten Vorbeigehenden, die ihren Jobs im Büro sitzend nachgehen. Aber was ist eigentlich dran an den Klischees über Bademeister*innen? Sagt man das heutzutage überhaupt noch? Welche Aufgabenbereiche gibt es eigentlich noch? Wie oft muss man Leute tatsächlich retten? Welche Voraussetzungen muss ich eigentlich mitbringen, um Bademeister*in zu werden, denn ein Seepferdchen wird wohl nicht ausreichen? Auf diese und viele weitere Fragen suche ich Antworten bei meinem Tagespraktikum als Bademeisterin im Kombibad Spandau.
04.10 Uhr: Mein Wecker klingelt. Um 06 Uhr muss ich in Spandau sein. Spandau. Aus Kreuzberg eine halbe Weltreise. Draußen ist es noch tiefste Nacht, es ist eiskalt und regnet. Ich quäle mich aus dem Bett, packe meine Tasche – Heike hat mir im Vorfeld gesagt, ich solle Badesachen, eine kurze Hose, ein T-Shirt und Badelatschen mitbringen – lasse den morgendlichen Kaffee sausen und trotte zur U-Bahn. Dass ich so früh morgens die Öffentlichen nehme, kommt zugegebenermaßen wirklich selten vor. Entsprechend überrascht bin ich, dass neben mir noch circa 50 andere in der U-Bahn sitzen – wesentlich agiler als ich, mit Kaffee und Zeitung ausgestattet. Memo an mich: Ich sollte mir endlich merken, dass andere Menschen zeitiger aufstehen und nicht erst um 09 Uhr bei der Arbeit sein müssen.
06.00 Uhr: Pünktlich um 06 Uhr stehe ich halb eingefroren und durchnässt – auch in Spandau regnet es – nach 75 Minuten Fahrt vor dem Kombibad Spandau. Zweites Memo an mich: Nach Möglichkeit mache ich den Termin für mein nächstes Praktikum nicht so weit draußen. Ich treffe auf Heike Doughty, die Ausbildungsleiterin des Bades und meine heutige Chefin, die mich strahlend empfängt: "Bisschen früh für dich, wa? Lass uns erstmal reingehen, da ist's schön warm." Ihr scheint das frühe Aufstehen mittlerweile wohl nichts mehr auszumachen. Drinnen angekommen, weiß ich, wovon Heike spricht: Es ist wirklich unfassbar muckelig hier drin. Der leichte Geruch nach Chlor und die heiße Luft erinnern mich sofort an winterliche Badeausflüge – irgendwie schön. "Jetzt zieh dich aber mal schnell um, die anderen sind schon unten im Bad, um 06.30 Uhr kommen die ersten Badegäste und wir haben vorher noch einiges zu tun!"
Dem Berliner Winter trotzen: Mit Adiletten und kurzen Hosen zur Arbeit
06.10 Uhr: Schnell umgezogen – hier gelten Adiletten und kurze Hosen tatsächlich als angemessene Arbeitskleidung, I'm in love – folge ich Heike ins Bad, wo die Auszubildenden Philipp und Janes bereits fleißig sind und den Putzroboter (eigentlich heißt er Beckenbodensauger) durch das Springerbecken lenken. "Ist schön, oder? Mit kurzen Hosen und Badelatschen zur Arbeit zu gehen, bei 30 Grad fühlt sich das im Berliner Winter fast ein bisschen wie Urlaub an. Morgens muss das hier alles immer schnell gehen, die Stammkund*innen (gemeint sind Renter*innen) stehen bereits um 06.20 Uhr vor der Tür und warten, bis wir um 06.30 Uhr öffnen. Das große Schwimmerbecken säubert der Putzroboter über Nacht alleine, die anderen müssen wir dann morgens übernehmen. Außerdem müssen wir jeden Morgen die Wasserqualität testen, vorher dürfen wir das Bad gar nicht erst öffnen."
06.20 Uhr: Um diese Wasserproben zu nehmen, gehen wir in die Katakomben des Schwimmbades – als ich das letzte Mal in den Katakomben eines Schwimmbades war, gab es das Stattbad Wedding noch und ich sag es mal so, da hätte man auf andere Sachen getestet. Unten treffen wir Zottel, er arbeitet seit über 40 Jahren als Maschinist bei den Berliner Bäderbetrieben, kümmert sich darum, dass alle Pumpen regelmäßig gereinigt werden, der Wasserstand und alles stimmt.
Ist schön, oder? Mit kurzen Hosen und Badelatschen zur Arbeit zu gehen, bei 30 Grad fühlt sich das im Berliner Winter fast ein bisschen wie Urlaub an.
Vorausschauendes Arbeiten: Reagieren, bevor etwas Schlimmes passiert
07.45 Uhr: Der Kontrollgang ist beendet, die Wasserwerte sind in Ordnung, die ersten Schwimmer*innen sind schon wieder aus dem Wasser, Zeit für meinen ersten Kaffee. "Normalerweise sitzen wir nicht im Aufsichtshäuschen, das sieht immer doof aus, denn ob du gerade etwas Wichtiges machst oder am Handy daddelst sehen die Gäste leider nicht", erklärt mir Heike als wir uns kurz in das verglaste Häuschen setzen. Ich nutze die Zeit, um meinen Fragenkatalog abzuarbeiten und frage sie, wie häufig eigentlich tatsächlich etwas Schlimmes passiert. "Ich mache das jetzt seit 37 Jahren und hatte bisher zum Glück nur zwei tragische Fälle, einige von uns hatten noch nie brenzlige Zwischenfälle. Bestenfalls passiert das auch einfach nicht, denn unsere Aufgabe ist es, frühzeitig zu reagieren, vorausschauend zu arbeiten, dass wir erst gar nicht in die Situation kommen, jemanden aus dem Wasser ziehen zu müssen. Wenn jemand das Bad betritt, schaue ich mir an, wie sich die Person im Wasser bewegt, ungeübte Schwimmer*innen behalte ich im Auge, Menschen, die sich am Beckenrand entlang halten, spreche ich an, biete ihnen Hilfe an. Wir haben unsere Augen und Ohren überall." Jetzt wo Heike mir all das erklärt, ergibt das natürlich Sinn. Natürlich warten sie nicht, bis etwas passiert, sondern sorgen während der Aufsicht dafür, dass es im besten Fall erst gar nicht zu einem Unfall kommt.
08.10 Uhr: Beckenaufsicht. Heute ist Schwimmtag bei einigen umliegenden Schulen, das bedeutet, dass hier circa 30 Drittklässler*innen toben, schwimmen, planschen und auch schreien – das hallt ziemlich und kann ganz schön laut werden. Mittlerweile sind auch Can, der dritte Azubi, Antonia und Mehrab da, die beiden haben ihre Ausbildung auch schon bei Heike gemacht und abgeschlossen. Während die anderen die Beckenaufsicht übernehmen, hilft Can Zottel draußen beim Herrichten des Sommerbades. Das Kombibad Spandau hat nicht nur ein Hallen-, sondern auch ein Freibad, das zum Frühjahr – vermutlich eröffnet es um den 01. Mai – erstmal auf Vordermann gebracht werden muss. Das ist Schwerstarbeit, denn bei den eisigen Temperaturen müssen sie die gesamten Becken mit dem Kärcher säubern, bevor sie neu befüllt werden können. Ich bin ganz froh, dass gleich der Schülerpraktikant kommt und ich mich vor dieser Aufgabe drücken kann.
Sicherheit, ein gutes Gehalt und Sport bei der Arbeit
09.30 Uhr: Weil es auch passieren kann, dass die Bademeister*innen an der Kasse gebraucht werden, setze ich mich für eine halbe Stunde zu Pavel und Michael vorne an die Kasse. Zugegebenermaßen nicht sonderlich aufregend, dafür aber ziemlich nette Gesellschaft. Weisheit des Tages von Michael: Wer keen Hertha-Fan is, is selber schuld! Word.
10.00 Uhr: Die Azubis Philipp und Janes sammeln mich ein und zeigen mir den Rest des Bades sowie ihre anderen Aufgaben. Die Wasserqualität muss mindestens drei Mal am Tag kontrolliert werden, zwar macht das natürlich auch eine Maschine, weil die aber auch mal Unrecht haben kann, wird das auch händisch nachgeprüft. Wir gehen also wieder runter in die Maschinenräume und nehmen Wasserproben. Getestet wird der Ph-Wert, das freie Chlor (also Chlor, das noch Schadstoffe binden kann) und das gebundene Chlor (Chlor, das bereits Schadstoffe gebunden hat). Statt in einen Computer, schreiben wir das Ganze auf einen Zettel. In ein Buch. Und in noch ein Buch. Safety first, auf die Zukunft der Technologie wird hier allerdings noch nicht in allen Bereichen gesetzt. "Was hat euch beide eigentlich dazu gebracht eine Ausbildung als Bademeister anzufangen?", frage ich Janes und Philipp, beide haben zuvor ein Studium angefangen oder bereits eine andere Ausbildung gemacht. "Das hier ist ein sicherer Job, man ist im öffentlichen Dienst, da ist für einen gesorgt. Außerdem macht mir schwimmen Spaß und nach der Arbeit Sport treiben zu können – wir haben hier auch ein kleines Fitnessstudio, das wir nutzen können – ist schon ziemlich genial", erklärt mir Philipp. "Bei mir ist das ähnlich, ich war vorher bei der Bundeswehr, hab' eine Ausbildung als Koch gemacht, das war ziemlich hart. Hier ist alles etwas entspannter, die Leute sind nett und wir können fast jeden Tag schwimmen gehen", meint Janes.
Sicherheit. Als ich mich dafür entschieden habe, Kunstwissenschaften zu studieren und anschließend als Redakteurin zu arbeiten. hatte ich vieles im Sinn, Sicherheit und ein geregeltes Einkommen standen da aber nicht auf der Liste. Ich bin ein bisschen beeindruckt von der Bodenständigkeit, die hier herrscht. Den beiden geht es darum, zufrieden zu sein und das sind sie ganz offensichtlich.
11.00 Uhr: Nachdem wir alle Wasserwerte eingetragen haben, geht es in den Sanitätsraum, denn natürlich müssen Bademeister*innen auch die Erstversorgung übernehmen können.
12.30 Uhr: Die Auszubildenden haben jetzt noch Schwimmtraining, 1.000 Meter schwimmen. Auf Zeit. Ich verabschiede mich, trenne mich von Adiletten und kurzen Hosen und ziehe wieder meinen Wintermantel an, bereit die gemütlichen 30 Grad gegen die eisigen 5 einzutauschen.
Es gibt bei diesem Beruf eine Art unsichtbare Verantwortung. Natürlich stehen Bademeister*innen meist am Beckenrand oder laufen das Becken entlang. Und sicherlich unterhalten sie sich auch dabei. Dennoch sind währenddessen alle Sinne geschärft und bei der Sache. Sie beobachten neue Schwimmer*innen bei den ersten Schwimmzügen und behalten etwas unsicherere Schwimmer*innen im Auge, sie hören, wenn sich in der Geräuschkulisse etwas ändert. Sie reagieren, bevor überhaupt etwas passiert. Passiert doch etwas, sind sie die ersten vor Ort und leisten erste Hilfe. All das sieht man auf den ersten Blick nicht, lädt den Beruf aber mit einer Menge Verantwortung auf. Natürlich kleben sie auch Pflaster auf aufgeschürfte Knie und nehmen Kindern das Schwimmabzeichen ab. Sie geben Schwimm- und Aqua-Fitnesskurse und sorgen dafür, dass ich auch mit 28 noch beim Betreten eines Schwimmbades sofort die schönen, unbekümmerten und aufgeregten Kindheitserinnerungen im Kopf habe.
Nice to know
- Voraussetzung für eine Ausbildung zum*r Fachangestellten für Bäderbetriebe sind ein anerkannter Schulabschluss mit mindestens befriedigenden Leistungen in Sport, Deutsch, Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern, daneben ist aber natürlich eine zuverlässige Arbeitsweise, Sportlichkeit und die Liebe zum Wasser wichtig.
- Die Ausbildung dauert insgesamt drei Jahre, kann aber je nach Leistung um bis zu ein Jahr verkürzt werden.
- Vor Ausbildungsantritt gibt es einen theoretischen und praktischen Einstellungstest. Im praktischen Teil muss man 50m unter einer Minute schwimmen, eine beliebige Schwimmtechnik vorführen, einen Kopfsprung vom 3-Meter-Brett machen, mindestens 15 Meter sowie einmal ca. 4.70 Meter tief tauchen. Beim theoretischen Teil werden mathematische Grundlagen, logisches Denkvermögen und technisches Verständnis abgefragt sowie das Grundwissen aus der Naturwissenschaft und allgemeine Dinge zum Berufsbild.
- Da es sich um einen Job im öffentlichen Dienst handelt, wird nach Tarif bezahlt, im ersten Ausbildungsjahr sind das immerhin 1.018,26 Euro.
- Bei den Berliner Bäderbetrieben gibt es außerdem Prämien für besonders gute Auszubildende und eine unbefristete Übernahme bei guten Leistungen. Hier geht's zu den Ausbildungsmöglichkeiten.
Vielen Dank an die Berliner Bäderbetriebe für das Praktikum. Wo soll ich als nächstes hingehen? Schreibt mir an: [email protected]
Wiebke Jann