Frage am Freitag: Warum gibt es nicht mehr Verhütungsmittel für Männer?
"Wieso, weshalb, warum?" ist in der kollektiven Kindheitserinnerung unserer Redaktion der dauerhafte Lieblingsohrwurm gewesen, Karla Kolumna mit ihren tausend Fragen unser Vorbild. Denn ja: Wir sind wandelnde, redaktionelle Klischees, die es lieben, neugierige Fragezeichen an die Enden ihrer Sätze zu setzen. Jeden Freitag wollen wir ab jetzt ehrliche Antworten zu Themen wie „Sollten alle Menschen vegan werden?“ oder „Was passiert eigentlich in einer Krise?“ bekommen – und das von Menschen, die es wissen sollten. Wir fragen Expert*innen und lassen sie Zusammenhänge erklären.
Aber nicht nur! Weil wir Fragen mindestens genauso gerne beantworten wie wir sie stellen, geben wir auch selbst ehrliche Antworten – zu Fragen, die ans Eingemachte gehen. Habt ihr Fragen, die euch schon ewig im Kopf herum kreisen? Dann schreibt uns an [email protected]!
60 Jahre Anti-Baby-Pille – ein Erfolg für die Selbstbestimmung der Frau, die Emanzipation, die Medizin und Wissenschaft! Was genau die Pille eigentlich mit der Frau macht, welche Nebenwirkungen und Risiken es gibt, dazu haben wir viele Infos. Wir beschäftigen uns diese Woche mit der Frage: Warum gibt es eigentlich nicht die Pille für den Mann?
Wie wird denn eigentlich so verhütet?
Die Pille für die Frau wird bei jungen Frauen immer unbeliebter und viele entscheiden sich bewusst dagegen, regelmäßig Hormone einzunehmen. Im Jahr 2010 nahmen noch 46 Prozent der unter 20-Jährigen die Pille, 2019 sind es bereits nur noch 31 Prozent. Wie verhüten Frauen (und Männer) aber sonst?
Ein Blick auf die Statistik zeigt: alle hormonellen Verhütungsmittel aus dieser Liste sind von der Frau einzunehmen bzw. anzuwenden. Warum ist das eigentlich so?
Wir wollen es genau wissen und fragen deshalb bei Volker Wittkamp nach. Er ist Urologe und Buchautor, außerdem auf TikTok als Doktorsex unterwegs. Man kann also sagen – er kennt sich ziemlich gut aus mit dem Thema Sex, Männer und Verhütung.
Wieso wurde die Pille für den Mann nie so weit entwickelt, dass es sie heute auf dem Markt gibt?
Volker Wittkamp: Tatsächlich wurde an der Pille für den Mann schon recht früh in den 30er Jahren geforscht. Allerdings schlief durch die Entdeckung der Pille für die Frau und deren scheinbar einfacher Anwendung die Forschung zunehmend ein. So traurig es ist, heute sind Studienauflagen für Medikamente viel strenger und teurer, wer weiß, ob die Pille für die Frau heutzutage überhaupt zugelassen würde.
Warum gibt es so viele verschiedene hormonelle Verhütungsmittel für Frauen, aber keine für Männer?
Es wird weiterhin an hormonellen Mitteln für den Mann geforscht, um den Rückstand hier aufzuholen und dem heute verhütungswilligeren Mann mit Wunsch nach Gleichberechtigung – neben dem Kondom und der Sterilisation – eine Alternative zu bieten. Allerdings bleibt die Verantwortung leider bei der Frau, da diese mit allen Konsequenzen schwanger wird. Würde der Mann schwanger, bin ich mir sicher, wäre der Wille nach Verhütung und der Antrieb in der noch immer männerdominierten Forschung sicher höher. Immerhin kann man heute den Vater ermitteln, auch das war nicht immer möglich und hat damals den Verhütungswillen der Männer sicher nicht gefördert.
Mal angenommen, es soll eine Pille für den Mann geben: Wie könnte so eine Pille für den Mann aussehen? Was müsste sie können? Wie wären die Nebenwirkungen?
Auf hormoneller Basis wird an einem täglich aufzutragendem Gel mit dem Hormon Testosteron geforscht. Wird dieses dem Körper von außen zugeführt, produziert der Körper als Konsequenz kein eigenes Testosteron und stellt auch die Produktion von Spermien ein. Als Folge können allerdings die Hoden dauerhaft schrumpfen und irreversible Schäden bleiben, dopingwillige Bodybuilder sollten sich dieses Phänomen ebenfalls vor Augen führen.
Es gibt auch Forschungen dazu, den Samenleiter nur vorübergehend zu blockieren, ohne diesen dauerhaft zu schädigen, auch das ist ein interessanter Ansatz ohne hormonelle Mittel.
Wir bedanken uns bei Volker Wittkamp für die interessanten Einblicke und das spannende Gespräch.
Fest steht, dass seit Jahren an der Pille für den Mann geforscht wird, zeitweise etwas mehr, dann etwas weniger intensiv. Bis heute bleibt die hormonelle Verhütung allerdings Frauensache, obwohl viele Männer bereit dazu wären, die Pille für den Mann einzunehmen – natürlich rein hypothetisch. Medizinisch wäre es wohl möglich, dass zukünftig sowohl die biologische Frau als auch der biologische Mann hormonell verhüten. Der größer werdende Druck von emanzipierten Frauen und an Gleichberechtigung interessierten Männern hilft da, die Wissenschaft weiter anzustoßen. Es bleibt also weiterhin spannend!