Ist es Mansplaining, wenn ich meiner Tochter etwas erkläre?

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

Auf Wunsch meiner fünfjährigen Tochter Wanda waren wir neulich im Sea Life. Das ist so eine Art Labyrinth aus trüben Wassertanks, als Höhepunkt des Besuches fährt man dann noch zwanzig Minuten Fahrstuhl. Wanda rennt während unseres Aufenthaltes von einem Behälter zum nächsten, zeigt auf die darin befindlichen Fische. Ich gebe mir derweil Mühe, ihren Elan zu befeuern, deute meinerseits auf eine Ballung von Schalentieren, die bewegungslos, vielleicht schon tot, zwischen grünlichen Steinen kauern.

Wir reihen uns schließlich in die Schlange vor dem „AquaDom“ ein. Das ist ein zylinderförmiges Aquarium, in dem man mit besagtem Fahrstuhl einmal hinauf und wieder hinunter fährt. Etwa dreißig Menschen passen in diesen Fahrstuhl. Mit denen ist man für die Dauer der Fahrt eingesperrt, eh klar.

Wanda und ich stellen uns ein wenig abseits. Sie jauchzt beim Anblick der vielen Fische um uns herum. Ich bin froh, dass sie so leicht zufriedenzustellen ist, fühle mich bestätigt in meinen Daddy Skills. Dann drängt sich ein anderer Vater in meinen Augenwinkel. Er hat schon seit einer Weile unsere Nähe gesucht. Nun schenkt er Wandas Freudenausbruch einen diplomatischen Blick und wendet sich an seine Söhne.

„Ihr wisst, dass es eigentlich nicht in Ordnung ist, Tiere so einzusperren? In ein paar Jahren wird das bestimmt verboten sein. Dann wollen die Menschen sowas nicht mehr sehen.“

Die beiden Jungs nicken und schauen sich unter den Anwesenden um, als würden sie eine aussterbende Art beim Ausüben ihrer archaischen Bräuche beobachten. Unter normalen Umständen finde ich es nicht schlimm, wenn Leute partout ihre Meinung spazieren führen müssen. Weil ich dann einfach Reißaus nehmen kann. Doch leider befinden wir uns nicht in einer normalen Situation. Als nächstes muss ich von unseren Nachbarn erfahren, dass sie beim Schnorcheln demnächst die gleichen Fische in freier Wildbahn erleben werden. Was man natürlich nicht so stehen lassen kann, denn tropische Fische gibt es bekanntlich nur in den Tropen. Deshalb erklärt der Vater nun auch noch lautstark das Konzept des CO2-Ausgleiches bei Überseeflügen.

„Papa, warum soll man nicht fliegen?“, fragt Wanda, durch die aufgeschnappten Worte verunsichert.

„Ich weiß auch nicht, man kann es tun oder auch bleiben lassen“, sage ich, genervt davon, dass man nicht mal hier von politischen Debatten verschont wird. Ich zeige ihr einen besonders schönen Doktorfisch und hoffe, sie damit wieder ablenken zu können.

„Und warum müssen die Fische eingesperrt sein?“

„Damit wir sie sehen können. So schlecht geht es denen auch nicht. Sie werden gefüttert und müssen keine Angst haben, von einem größeren Fisch gefressen zu werden.“

Diese Antworten stellen weder mich noch meine Tochter zufrieden. Sie waren auch eher an den anderen Vater gerichtet, als verkorkste Replik auf sein Erklärbärentum. Er hat sich nicht dafür entschieden, das Aquarium zu boykottieren. Ganz klaglos will er das Konzept Zoo aber auch nicht ertragen und wählt deshalb die goldene Mitte: Tiere in Gefangenschaft zu betrachten, seinen Kindern dabei aber wenigstens ein schlechtes Gewissen zu machen. Aus dem gleichen Grund kauft er sich lieber Ablassbriefe, statt ganz auf seine Flugreise zu verzichten.

Kaum etwas quält mich mehr, als die Lehrstunden fremder Eltern mitanhören zu müssen.

Ich stoße mich an dem Begriff „Mansplaining“. Vor allem wenn ich Männern zuhören muss, die den damit beschriebenen Tatbestand erfüllen. Ich leide unter dem Geschwätz genauso, wie jedes andere vernünftige Wesen. Und finde es dadurch doppelt frustrierend, mit diesen Typen aufgrund meines Geschlechts in einen Topf geworfen zu werden.

"Elternsplaining" ist mindestens genauso schlimm. Weil Kinder sich nun wirklich überhaupt nicht gegen ihre Bezugspersonen wehren können. Ich würde mich vor meiner Tochter nie als so allwissend abgeben wie der Vater im Aquarium. Natürlich stellt sie mir am Tag siebenhundert Warum-Fragen. Ich versorge sie dann schon auch mal mit Fakten, versuche dabei aber stets auch die Beschränktheit meines eigenen Horizonts zu vermitteln. Denn kaum etwas quält mich mehr, als die Lehrstunden anderer Eltern, die sie auch noch als ihren Erziehungsstil ausgeben.

„Mama? (denn ja, auch Mütter sind zu dieser Entgleisung fähig) Warum soll man nicht schielen?“ – „Weil sonst deine Augen so stehen bleiben.“

„Mama, warum brauchen wir eine Fahrkarte?“ – „Weil sonst die Polizei kommt und uns verhaftet.“

„Papa, warum bettelt der Mann?“ – „Weil er keine Lust hat, zu arbeiten.“

Wer findet, dass diese Beispiele nicht mit dem Aquarium-Thema vergleichbar sind, hat Unrecht. Das erkläre ich jetzt einfach mal so. Weil es bei all diesen Fällen darum geht, dem Kind das eigene Weltbild überzustülpen. Und weil die Urheberinnen und Urheber nur die Gelegenheit nutzen, um vor einer Öffentlichkeit ihre Ansichten breitzulatschen. Pfui, Spinne. Für mich ist das Erregung öffentlichen Ärgernisses. Deshalb hier ein Ratschlag und eine Aufforderung von „Mansplainer“ Clint: Wenn ihr eurem Kind unbedingt was erklären müsst, dann tut dies bitte, bitte mit einem Hauch von Authentizität – und in gedämpfter Lautstärke.

Wenn ihr eurem Kind unbedingt was erklären müsst, dann tut dies bitte, bitte mit einem Hauch von Authentizität – und in gedämpfter Lautstärke.
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