Lockdown Diaries – Wie Clubs, Booker & DJs mit der großen Krise umgehen

© Andhim | © Charles Engelken | © © VELI x VIWO

Was machen eigentlich all die Menschen, die sonst das kulturelle Leben in unseren Städten bereichern, mit ihrer – unfreiwillig – neu gewonnen Zeit? Auch wenn es inzwischen erste Lockerungen gab, die Clubs und Konzerthallen werden zu den letzten Locations gehören, die irgendwann wieder öffnen dürfen. Das ist dramatisch und existenzbedrohend zugleich und zwar für eine ganze Branche und unzählige Jobs, die an ihr hängen. Wir denken nicht nur an die Clubs, sondern auch an die DJs und Booker, die Türsteher*innen und Barkeeper. Und so viele mehr. Sie alle sind Teil der Party- und Kulturszene, die unser Leben normalerweise mit Freude erfüllt.

Wir wollen uns nach mittlerweile acht Wochen Lockdown einen persönlichen Überblick der Lage der Kulturschaffenden in den Großstädten verschaffen, andererseits aber auch versuchen, ein positives Bild für die Zeit nach Corona zu zeichnen. Welche Alternativen gibt es für Kulturschaffende derzeit? Was lässt sie hoffen? Worauf freuen sie sich jetzt schon am meisten, wenn das alles vorbei ist? Und welche positiven Veränderungen birgt so eine Krise? Simon von Andhim, Malte vom Uebel & Gefährlich, Max vom Molotow und Vincent, DJ aus München, haben mit uns gesprochen.

Simon, DJ bei Andhim

© Andhim | Das DJ-Duo vor Publikum in Amsterdam

Normalerweise, also in Pre-Corona-Zeiten, ist das DJ- und Produzenten-Duo Andhim rund um die Uhr in Clubs und auf Festivals weltweit unterwegs. Partys sind ihr Job. Jetzt, da es vorerst keine Partys mehr gibt, haben sie de facto auch keinen Job mehr. Es ist also durchaus legitim zu fragen, wie man denn nun als DJ eigentlich sein Geld verdient? "Ein bisschen noch mit Musik (Plattenverkäufe, Streaming, Gema...), aber ansonsten mutiere ich gerade zum eBay Powerseller", erzählt uns Simon von Andhim. Die letzten Wochen waren eine Achterbahn der Gefühle für ihn. "Ich bin tatsächlich mehrere Stufen durchlaufen in den letzten Wochen. Von Unverständnis über Wut bis hin zur Verzweiflung und völliger Existenzangst".

Auch wenn die Bundesregierung und viele andere europäischen Länder inzwischen zaghafte Lockerungen beschlossen haben, die Clubs werden noch sehr lange geschlossen bleiben, Festivals fallen in diesem Jahr ohnehin aus. Was machen diese düsteren Aussichten mit ihm? "Mittlerweile habe ich die Situation akzeptiert und fühle mich ziemlich gut. Ich versuche die neugewonnene Zeit sinnvoll zu nutzen. Ich bin sehr viel im Studio, mache Musik und arbeite an anderen neuen Projekten", sagt Simon. Klar, irgendwie müssen wir alle das beste aus der Situation machen, uns mit anderen Projekten über Wasser halten, aber das "alte" Leben fehlt uns allen. Was fehlt ihm am meisten? "Der Kontakt mit Menschen. Alte Freunde wiedersehen, neue Leute kennenlernen. Zusammen essen, trinken und feiern (Ja, das war wirklich mein Job)", antwortet er.

Nicht nur mein Job fehlt, sondern ein Teil meiner Identität
Simon, DJ von Andhim

Andhim mussten noch keine finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen, das wissen sie zu schätzen. Aber wer weiß, was noch kommt. Wichtig ist ihnen im Moment aber der intensive Kontakt zu Kolleg*innen und Freund*innen. "Wir Künstler tauschen uns sehr viel miteinander aus und rücken definitiv enger zusammen. Auch Freunde unterstützen mich moralisch, da sie wissen, dass nicht nur mein Job fehlt, sondern ein Teil meiner Identität. Auf die Frage, wann er glaubt, wieder in seinen alten Job als DJ zurückkehren zu können, antwortet Simon: "Mitte 2021. Es wird garantiert noch einige Jahre dauern, bis die Eventszene wieder auf den Stand von Januar 2020 zurückkehrt".

Das klingt erstmal bitter. Trotzdem bleibt Simon für die Zukunft von Andhim zuversichtlich. "Ich werde immer Musik machen. Es wird irgendwann weitergehen. Ich habe jetzt viel mehr Zeit und kann kreativ sein ohne Druck oder Deadlines. Es entstehen ganz neue Synergien und Möglichkeiten gerade. Und ich war definitiv noch nie so viel spazieren in meinem Leben. Leider hab ich auch noch nie so viel Bier getrunken, wie jetzt". 

Malte, Booker im Uebel & Gefährlich in Hamburg

© Andreas Baur

Malte ist seit vier Jahren Booker des bekannten Clubs Uebel & Gefährlich in Hamburg. Er kümmert sich dort zusammen mit seinem Team um die Organisation der Konzerte und die Clubnächte im Bunker an der Feldstraße. Auch hinter ihm liegen turbulente Wochen. "Zwischen Existenznot und neuen Perspektiven war alles dabei. Die Situation ist für uns, wie für viele aktuell, sehr kritisch, aber dank unseres großartigen Teams und allen Unterstützer*innen entwickeln wir unsere kulturelle Plattform online weiter, um die Menschen aus ihrer Sofa-Tristesse zu holen und um zu signalisieren, dass wir noch da sind", erzählt uns Malte.

Ähnlich wie in Berlin ist in der Zwischenzeit auch in Hamburg eine solidarische Streaming-Plattform aller Clubs der Stadt entstanden. Auf Unitedwestream Hamburg wird seit einigen Wochen ebenfalls aus menschenleeren Clubs gesendet, um den Leuten die Musik direkt in die Wohnungen zu bringen und nebenbei gemeinsam auf eine Crowdfunding-Aktion bei Startnext hinzuweisen. Es ist überall das gleiche Bild: Die Clubs und Musiker*innen stehen vor einem riesigen Scherbenhaufen ihrer Existenzen, sind aber kreativer denn je. 

Corona kennt keine Grenzen, aber unsere Solidarität auch nicht.
Malte, Booker im Uebel & Gefährlich

"Die Devise ist Flucht nach vorne und maximale Solidarität mit allen, die von der Situation betroffen sind. Corona kennt keine Grenzen, aber unsere Solidarität auch nicht", sagt Malte. Deshalb arbeitet er weiter wie immer. "Wo sonst Konzerte und Clubnächte waren, sind jetzt Livestreams. Und das Telefon läuft noch etwas heißer", erzählt er. Trotzdem ist es nicht das Gleiche für ihn. "Unsere Arbeit lebt von persönlichem Austausch und Euphorie. Es fällt manchmal nicht so leicht das in Videochats oder Streams zu verpacken".

Wie blickt er als Nachtmensch und als Booker in die Zukunft? Gibt es auch etwas Positives, was er in die Krise sehen kann? "Die Solidarität, die in der Clubszene und auch darüber hinaus entsteht, ist euphorisierend. Es bleibt zu hoffen, dass das auch über Corona hinaus anhält und nicht an Stadt- und Ländergrenzen Halt macht", findet Malte. Um auch in Zukunft weitermachen zu können, braucht es aber die Kraft und den Zusammenhalt aller. Was kann jede*r einzelne von uns tun, damit die Club- und Musikszene diese lange Durststrecke übersteht? "Supporte deine Lieblingsclubs, streame die Musik von deinen Lieblingskünstler*innen. Für die Kultur- und Clubszene wird dieses Loch noch lange anhalten und wir können nicht ohne staatliche und private Unterstützung überleben". 

Max, DJ und Booker im Molotow in Hamburg

© Charles Engelken

Ein paar Kilometer weiter in Hamburg befindet sich das legendäre Molotow auf der Reeperbahn. Max ist selbst DJ (aka Depri Disko), betreibt einen eigenen Podcast und übernimmt seit mehreren Jahren hauptsächlich Booking- und Promo-Aufgaben für das Molotow. Korrekterweise muss man sagen, das war so vor der Krise. Wie hat er die letzten Wochen wahrgenommen? "Es war und ist eine, wie ich finde, stressige Mischung aus Chaos, Eintönigkeit, Zukunftsangst und Aufbruchstimmung. Ich habe Verzweiflung erlebt, aber auch die Freude, wenn Menschen helfen oder man selbst auch etwas leisten konnte, was irgendjemandem etwas bedeutet und irgendwie in dieser Zeit die Welt ein bisschen schöner macht", antwortet er uns.

Ich arbeite mehr als vorher. Ich verdiene nur leider sehr viel weniger Geld.
Max, Booker im Molotow, DJ & Podcaster

Max arbeitet wie viele andere aus der Branche weiter, zum Beispiel, um Livestreams direkt aus dem Molotow vorzubereiten und zu organisieren. "Ich arbeite ehrlich gesagt sogar mehr als vorher. Ich verdiene nur leider sehr viel weniger Geld", gesteht er. Wir fragen ihn, wie er sich die nächsten Monate finanzieren will, ohne feste Einnahmen? "Über steadyhq habe ich für meinen Podcast Normale Möwe eine Unterstützer-Plattform eingerichtet, die mir und meinem Kollegen Hinnerk die nächsten Monate die Miete sichern soll, was eine schöne Sache ist". 

Glaubt er, nach der Krise wieder in seinen alten Job zurückkehren zu können? "Ich hoffe es. Ich hoffe, dass alle Kulturstätten, Clubs, Theater etc. durch diese Krise kommen und getragen werden. Und dann hoffe ich, dass da auch wieder ein Platz für mich sein wird", antwortet Max. An seinen ersten Arbeitstag möchte er sich sofort Urlaub nehmen und ans Meer fahren, hat er sich vorgenommen. "Wir sind nicht allein. Es gibt so viele tolle Menschen da draußen, die helfen, die weitermachen, die Mut machen... ich finde das ehrlich gesagt – so schrecklich und absurd sich alles anfühlt – auch irgendwie inspirierend". Und Max hat am Ende noch einen Rat: "Bleibt zu Hause, kümmert euch, zur Not auch nur um euch selbst. Niemand wird am Ende eine Bilanz ziehen und euch sagen, ihr hättet nicht genug gemacht/gearbeitet/selbstoptimiert". Wie wahr. Das schreiben wir uns hinter die Ohren.

Vincent, DJ bei VELI x VIWO und Beleuchter beim Film aus München

© VELI x VIWO

Wir schauen nach München und nehmen Kontakt mit Vincent auf. Vincent ist unter anderem DJ des Duos VELI x VIWO. Gemeinsam mit seinem Freund Jens legt er regelmäßig in verschiedenen Clubs der Stadt auf, zum Beispiel im Goldenen Reiter oder dem Monticule. Seit Jahren veranstalten sie außerdem zusammen mit unseren liebsten Kolleg*innen aus München die Partyreihe "Tanzvergnügen". Vincent lebt in einer WG und arbeitet zudem als Beleuchter im Filmbereich. "Leider wurde der Kinofilm, bei dem ich gearbeitet habe, pausiert. Da ich bei einer Firma angestellt bin, die der Produktionsfirma meine Arbeit in Rechnung stellt, wurde mir nicht, wie anderen Kollegen, die Gage für alle Drehtage bezahlt", berichtet Vincent. 

Die Corona-Krise hat also auch sein Leben ordentlich durcheinander gewirbelt. Wie macht er jetzt weiter? "Nach der Schließung aller Clubs, bin ich nun gezwungen meine Schallplatten und USB-Stick-Playlisten zu sortieren. Da ich von den Rücklagen meiner Beleuchtertätigkeit gerade noch leben kann, genieße ich ansonsten die freie Zeit, um mich auf der einen Seite mit den schönen Sachen im Leben wie Musik und Essen zu beschäftigen, auf der anderen Seite aber auch meine To-Do-Liste nerviger Sachen wie Steuern etc. abzuarbeiten", antwortet er. Trotzdem, seine Ersparnisse werden nicht lange reichen. "Ich habe für 2020 keine festen Jobs in Aussicht. Aus diesem Grund habe ich Unterstützung vom Staat beantragt", fügt er hinzu.

Supportet Künstler und Kulturschaffende, die euch berühren!
Vincent, DJ bei VELI x VIWO und Beleuchter beim Film

Ganz untätig ist Vincent aber auch nachts nicht, denn er legt selbst weiterhin via Livestream aus dem Goldenen Reiter auf und schaut sich auch selbst eine Menge interessanter Sachen an, die es gerade zu sehen gibt. Aber es ist nicht dasselbe. Das Kommunizieren mit seinen Freunden und Bekannten und die lauten exzessiven Clubnächte sowie das Auflegen vor Leuten in einer dunklen Umgebung fehlt ihm sehr. So lange es gesetzlich nicht erlaubt ist, wird er aber nicht arbeiten können. Deshalb nutzt Vincent die Zeit auch, um neue Pläne zu schmieden. "Ich versuche die Zeit, in der man eingeschränkt ist, zu nutzen, um schon längere Vorhaben wie Musik zu produzieren oder Bewerbungen für einen anderen Beruf umzusetzen", erklärt er.

Vincent will trotz allem das Beste aus der Krise machen und gestärkt aus ihr hervorgehen und er appelliert deshalb an uns alle: "Supportet Künstler und Kulturschaffende, die euch berühren!". Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen, denn eines ist klar: Wir kommen nur zusammen durch diese Krise.

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