Lockdown Diaries – So geht es freischaffenden Autor*innen in der Corona-Krise

© Marit Blossey | Jasmin Schreiber | Henrike Dusella

Inzwischen gibt es mehr und mehr Lockerungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie: Geschäfte dürfen unter entsprechenden Abstandsregelungen wieder öffnen, seit dem 15. Mai geht es sogar Restaurants, Gaststätten und Cafés weiter. Eine Branche, für die sich bisher seit dem Lockdown nichts bewegt hat und wohl auch in absehbarer Zeit nichts ändern wird, ist der Kulturbetrieb: Veranstaltungen sind weiterhin untersagt, mindestens bis zum 31. August, vermutlich noch länger. Für alle freischaffenden Künstler*innen, die ihr Geld normalerweise damit verdienen, vor Publikum zu stehen, steht die Situation gerade still. Das betrifft nicht nur Musiker*innen, sondern auch Autor*innen, Schriftsteller*innen und Comedians. Wir haben mit drei Menschen gesprochen, die normalerweise auf Bühnen Dinge mit Worten machen, und sie gefragt, was sich seit der Corona-Krise für sie verändert hat.

Johannes Floehr, Autor, Humorist und Moderator

© Marit Blossey

Johannes Floehr ist Autor, moderiert Veranstaltungen und schreibt lustige Dinge auf Twitter. Er lebt derzeit in Hamburg und ist normalerweise viel unterwegs, um im gesamten deutschsprachigen Raum auf Bühnen zu stehen: Bei Poetry Slams, Lesungen, Comedy-Shows sowie bei seiner eigenen Solo-Show Ich bin genau mein Humor. Vor drei Jahren hat er sich selbstständig gemacht und verdient seitdem seinen Lebensunterhalt damit, aufzutreten – wie gesagt, normalerweise. "Gut 80-90% meines Einkommens erwirtschafte ich normalerweise durch Auftritte. Bereits jetzt habe ich einen knapp fünfstelligen Einkommensausfall für dieses Jahr, fast vierzig Auftritte sind schon abgesagt, viele weitere werden folgen, wenn nicht sogar alle", erzählt der 28-Jährige.

Wie er die letzten Wochen erlebt hat? Schwierig. Zu Beginn sei da noch die Euphorie gewesen, die neue Situation kreativ zu nutzen. Schnell folgte jedoch die Erkenntnis, wie hart die Kulturbranche durch die Krise getroffen wird. Dass nun unschuldig, unvorbereitet und mit aller Härte so viele Künstler*innen und Veranstalter*innen vor einer ungewissen Zukunft stehen – und dass das noch Monate so weitergehen wird.

Wir können nicht in Kurzarbeit gehen, wir können kein Home Office einrichten, wir sind jetzt einfach monatelang ohne Einkommen und müssen unsere Rücklagen aufbrauchen – wenn wir überhaupt welche anlegen konnten, das ist nämlich in dieser Branche nicht so einfach.
Johannes Floehr

Mit wenig Geld klarzukommen, diese Situation musste Johannes schon mehrfach in seinem Leben meistern. Vor allem fehle ihm jetzt aber das Gefühl, vor Publikum zu stehen: "Das letzte Mal, dass ich mehr als drei, vier Wochen nicht auf einer Bühne stehen konnte, war 2010. Nicht auftreten zu dürfen ist für mich ebenso ungewohnt wie solange am selben Ort zu bleiben, normalerweise bin ich vielleicht die Hälfte eines Monats zu Hause. Und abends eigentlich nie, sondern auch als Gast bei Lesungen oder Konzerten."

Was ihm dabei hilft, optimistisch zu bleiben, ist die Unterstützung, die er in den vergangenen Wochen von vielen Seiten erfahren hat – sowohl moralische als auch finanzielle. Viele Menschen hätten ihm Spenden zukommen lassen oder den Moment genutzt, eines seiner Bücher zu kaufen. Andererseits gebe es aber auch Stimmen, die sagen, Künstler*innen seien selbst Schuld, man hätte sich ja auch einen "richtigen" Beruf auswählen können. "Das Kultusministerium (!) sagt uns, Künstler*innen könnten ja Hartz IV beantragen, wenn sie Geld bräuchten. Die Soforthilfe des Staates geht an uns vorbei, weil unsere monatlichen Fixkosten keine Betriebskosten sind und wir das Geld daher nicht anrühren dürfen. Das alles schmerzt und lähmt."

Was sonst mein Glück ist, nämlich, dass ich meine größte Leidenschaft zum Beruf gemacht habe, ist jetzt doppeltes Unglück: Hobby und Broterwerb fallen gleichermaßen weg.
Johannes Floehr

Livestreams als Alternative zu "echten" Auftritten? Davon ist Johannes wenig überzeugt: "Anfangs sah ich in Online-Streams eine große Chance, doch inzwischen bin ich da auch sehr ernüchtert. Alles fühlt sich an wie sonst die ersten Minuten einer Show, wenn das Publikum und ich noch kalt sind, uns erst aneinander gewöhnen müssen. Dann hockt man da alleine in seiner Bude vor der Webcam, macht einen Scherz, Stille, und im Chat schreibt jemand haha :D. Das kann es doch nicht sein."

Online-Content hin oder her – wenn wir Künstler*innen und Läden, die wir gerne haben, jetzt nicht unterstützen, ist die Gefahr groß, dass das Kulturangebot in Deutschland in einigen Monaten erheblich spärlicher sein wird als vor der Krise. "So viel kreatives Potenzial geht derzeit zugrunde, weil die Unsicherheit die Köpfe blockiert. So gut sie auch gemeint sind, glaube ich inzwischen auch, dass Livestreams eher kontraproduktiv sind. Denn sie vermitteln den Eindruck, es ginge uns gut und wir würden unsere Bühne dann eben temporär ins Netz stellen, kostenlos und aus reinem Idealismus, weil wir unseren Job ja so sehr lieben. Für viele heißt Kultur vermutlich bloß, zweimal im Jahr zu einem Konzert zu gehen oder ab und zu mal zu einer Lesung. Das ist falsch, Kultur ist überall, in jeder Ecke unseres Alltags begegnet uns Kunst. Hinter allem, was uns Freude bereitet, steckte zunächst ein kreativer Gedanke. Kultur ist kein Luxus. Aber viele, die sie herstellen, haben gerade exakt 0€ monatliche Einnahmen und zwar auch die, die gut mit Geld umgehen und planen können. Die gesamte Branche ist gefährdet und daran gibt es nichts, wirklich nichts Positives."

Kultur ist überall, in jeder Ecke unseres Alltags begegnet uns Kunst. Hinter allem, was uns Freude bereitet, steckte zunächst ein kreativer Gedanke. Kultur ist kein Luxus.
Johannes Floehr
Veranstaltungen waren das Erste, was verboten wurde und werden das Letzte sein, was wieder erlaubt sein wird. Johannes befürchtet, dass in diesem Jahr nicht mehr viel erlaubt sein wird – oder nur unter sehr strengen Auflagen. Johannes erklärt, es sei ihm sehr wichtig, zu betonen, dass er es für absolut richtig hält, derzeit keine Veranstaltungen stattfinden zu lassen: "Ich bin bereit, solange zu warten, wie es notwendig ist. Aber es wird kräftezehrend."

Jasmin Schreiber, Schriftstellerin

© Jasmin Schreiber

Jasmin Schreiber ist Schriftstellerin und hatte gerade die Lesereise für ihren neu erschienenen Roman "Marianengraben" begonnen – da war sie auch schon wieder vorbei, wegen des Corona-Ausbruchs. "Man kommt mit einem Debüt um die Ecke und dann bricht eine Pandemie aus, als Roman wäre das ein überzogener Plot, kann man sich nicht ausdenken", so beschreibt Jasmin ihre aktuelle Situation.

Wie Johannes sagt auch Jasmin, dass ihr die Auftritte am allermeisten fehlen: "Der Kontakt mit meinen Leser*innen hat mir viel gegeben, ich habe extra dazu aufgerufen, mich in kleine Städtchen einzuladen, weil ich zwar gern in großen Städten lese, die aber meist schon kenne. Ich wollte Neues sehen und erleben und ich hatte mich so drauf gefreut, das ist sehr bitter. Und mein Konto stöhnt natürlich auch leise, denn eigentlich waren die Gagen für die Miete eingeplant, das ist jetzt natürlich erstmal futsch."

Als Schriftstellerin hat Jasmin keine festen Arbeitstage. Die Wochenenden hält sie sich normalerweise frei, um etwas mit Freund*innen zu unternehmen: "Urlaube, Barbesuche – die Älteren unter uns erinnern sich dunkel. Normalerweise wäre ich fast das ganze Jahr unter der Woche auf Leseterminen, das fällt jetzt alles flach. Was ich mache? Enttäuscht sein, aber weiterschreiben – mehr bleibt mir ja nicht übrig."

Ich kann ja zum Glück auch aus meiner Quarantänebude aus schreiben, es ist also immerhin nicht alles weg. Aber der Erscheinungstermin eines meiner Bücher wurde verschoben, das bedeutet natürlich, dass die Stichtage zur Auszahlung dieser Honorar-Raten jetzt auch erstmal wieder in nicht greifbare Ferne gerückt sind. Und wann ich endlich wieder auftreten kann? Keine Ahnung.

Wie es für sie jetzt weitergeht? Auf ihrem Twitch-Kanal hat Jasmin Online-Lesungen abgehalten, für die Zuschauer*innen freiwillig Eintrittsgeld zahlen konnten. Einmal hat sie auch gemeinsam mit Benjamin Maack für die Deutsche Depressionshilfe gelesen und das gesammelte Eintrittsgeld gespendet. "Es war schön zu sehen, dass die Leute da solidarisch sind und teilen, das hat mich sehr gefreut."

Wo sie sich mehr Unterstützung wünschen würde? Von der Politik, und zwar finanziell. "Es ist für uns alle eine neue Situation und die Politik bemüht sich sehr. Doch wir brauchen endlich (!) Lösungen für Kulturschaffende, deren Einkommen auf 0 Euro eingebrochen ist, für Alleinerziehende und Eltern überhaupt. Es kann nicht sein, dass Leute zu Hause arbeiten UND parallel ihre Kinder betreuen müssen, das geht einfach nicht."

Wo ich mir mehr Unterstützung wünschen würde? Von der Politik, und zwar finanziell.
Jasmin Schreiber

Wann sie wohl wieder auftreten kann? "Keine Ahnung. Als Biologin beobachte ich das alles und denke mir: Dieses Jahr wohl eher nicht. Da darf man aber nicht zu lang drauf herumdenken, es ist ja wie Kaffeesatzlesen und daher sinnlos, und es zieht einen nur noch mehr runter."

In der Krise etwas Positives zu sehen, das findet auch Jasmin schwierig: "Es ist absolut okay zu sagen: Nein, bei einer Pandemie, die hunderttausende Menschen tötet, habe ich gerade keinen Fokus auf etwaige positiven Aspekte bei der ganzen Sache." Trotz der neuen Lockerungen sollten wir die Sache weiterhin ernst nehmen, betont sie: "Es gibt keinen Impfstoff und keine wirksamen Medikamente. Wir werden noch sehr, sehr lange in dieser Situation verharren müssen, also bitte reißt euch zusammen und haltet auch zusammen – we're all in this together."

Jonathan Löffelbein, freischaffender Künstler (u.A. Worst of Chefkoch)

© Julia Szymik | Henrike Dusella

Auch für Jonathan Löffelbein hat die Corona-Krise alles verändert. Er war als freischaffender Künstler tätig und stand quasi ständig auf irgendeiner Bühne: Lesungen, Slam Poetry, und natürlich das abendfüllende Bühnenprogramm zu "Worst of Chefkoch", das er mit seinem Kollegen Lukas Diestel nach dem Erfolg der dazugehörigen Facebook-Seite auf die Beine gestellt hat.

Gerade lebt er von Rücklagen, was ein Privileg sei, das auch bei Weitem nicht jede*r in der Branche habe. Gleichzeitig befindet er sich auf Jobsuche. Er hoffe zwar, im September wieder mit ersten kleineren Auftritten loslegen zu können. "Der Pessimist in mir sagt aber Anfang 2021", gibt er zu.

Die Unterstützung, die Jonathan in den letzten Tagen und Wochen erfahren hat, bestand hauptsächlich aus Nachfragen, ob man ihn finanziell oder mit möglichen Jobangeboten unterstützen könne. "Sehr sehr lieb das alles. Aber nichts vom Staat", resümiert er. Was ihm an seiner Arbeit am meisten fehlt? "Meine Miete halbwegs sicher zahlen zu können. Und auch der Applaus."

Die Zeit steht still und ist ein Sumpf geworden. Die Tage verschwimmen. Ich kann nicht sagen, was in den letzten vier Wochen passiert ist. Alles fühlt sich wie ein großes Gestern an.
Jonathan Löffelbein

Wie Live-Auftritte in Zukunft aussehen könnten? Auch das ist aktuell schwer zu sagen: "Es kann sein, dass es verschärfte Maßnahmen geben wird, was Liveshows angeht. Beispielsweise Mindestabstand in Locations. Das wird die Stimmung stark verändern und einschränken. Ich habe auch keine Ahnung, wie das Publikum reagieren wird: Wird es nach der Pause Hunger auf Liveshows haben? Oder wird es extrem skeptisch sein und sich (gerade anfangs) nicht aus dem Haus trauen? Keine Ahnung." Er selbst habe durch die Krise gemerkt, dass er auch in Zukunft nicht sein ganzes Einkommen aus Liveshows beziehen möchte: "Das ist mir auf Dauer zu unsicher. Ich möchte aber weiterhin mit Texten und Performance arbeiten."

Auch Jonathan fällt es schwer, in der Krise etwas Positives zu sehen: "Sie trifft die am härtesten, die die wenigsten Ressourcen haben und anstatt wirklich etwas an der Struktur der Gesellschaft zu verändern, hat man ein paar Tage am Balkon geklatscht und lockert schon jetzt wieder die Maßnahmen. Es gibt Menschen, die gerade nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, denen es schlechter geht und die Corona härter trifft. Man sollte sie nicht vergessen."

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