Lasst mich doch ein bisschen tanzen – Warum ich mir den Exzess zurück wünsche

© Sam Mar | Unsplash

Es ist 6.30 Uhr morgens. Meine Muskeln zucken, Arme und Beine bewegen sich in einer Choreografie, die ich nicht zu hundert Prozent unter Kontrolle habe und im Hintergrund läuft eine Playlist, die selbst – oder vor allem? – um halb sieben in der Früh das Prädikat "fragwürdig" verdient hat. Ich schwitze. Um mich herum? Niemand. Abgesehen von Pamela Reif, die heftig ihren Booty squeeeeeezt. Ich bin nicht immer noch, sondern schon wach. Stehe nicht benebelt auf einer Tanzfläche, sondern völlig nüchtern auf der billigen Yogamatte, die ich von meinem Mitbewohner "geborgt" habe.

Ja, Exzess sieht anders aus. Aber immerhin wirft mir Pamela zum Abschluss des 15-Minuten-Power-Workouts eine Kusshand zu. Statt Elotrans und Spezi gibt es Leinsamen und Hafermilch und ich freue mich richtig, Zeit für meine Wochenzeitung zu haben, die ich seit Kurzem abonniert habe und mit der man so gut den Spiegel putzen und den Kompost-Eimer auskleiden kann. Draußen scheint die Sonne und es verspricht ein ereignisreicher Samstag in praktischer Funktionskleidung statt versifftem Jogger zu werden. Fuck.

Die letzte Party ist schon eine Weile her. Damals, als Corona noch etwas war, das mit einem Spritzer Limette wenigstens ein bisschen besser wurde.

Ich würde nicht behaupten, jemals der größte Nager unter den Partymäusen gewesen zu sein, aber spätestens wenn der Duft einer dünnen Weinschorle meine empfindlichen Sinne betört, bin ich am Start. Und wenn ich am Start bin, dann richtig. Dann will ich noch mindestens elf weitere Schörlchen, elf Bars, elf Clubs, elf Typen, elf Kater, elf Stunden Selbstmitleid und diese elf Sekunden, in denen man genau den richtigen Pegel hat und die ausreichen, um den Abend als grandios in Erinnerung zu behalten.

Sofern sich der klebrige Wust aus Erlebnissen am nächsten Tag überhaupt noch von der Hirnrinde kratzen lässt. Feiern, Tanzen, Eskalieren, hoch, runter, Tohuwabohu, zackzack – ja, ich will! Doch leider ist parallel zur Infektionskurve auch die Ereigniskurve abgeflacht. Das eine natürlich wünschenswert, das andere für mich ein zeitweise, aber nicht dauerhaft ertragbarer Kollateralschaden. Wer ohne Partysünde ist, werfe den ersten Stein, aber ich stelle mir manchmal vor, wie Christian Drosten heimlich zu "A little party never killed nobody?" im Takt wippt.

Dabei kann ich nicht mal sicher sein, wie geil ich Clubs wirklich finde, denn die Erinnerung an die letzte Party ist verschwommen – nicht bloß wegen gehemmter Signalverarbeitung durch Alkohol, sondern vor allem dank miserablem Langzeitgedächtnis. Ist nämlich schon eine Weile her. Damals, als Corona etwas war, das mit einem Spritzer Limette wenigstens ein bisschen besser wurde und Masken für jene Clubs bestimmt waren, an die man im Idealfall sowieso keine Erinnerung hat.

Ich bin auch früher häufig um sieben Uhr aufgestanden, habe Sport gemacht, hier und da ein Buch gelesen und fleißig meinen Spinat gegessen. Aber immer in dem Wissen, dass Exzess und Unvernunft an irgendeinem Tresen der Stadt geduldig auf mich warten.

Es ist nämlich so: Ich bin auch früher häufig um sieben Uhr aufgestanden, habe Sport gemacht, hier und da ein Buch gelesen und fleißig meinen Spinat gegessen. Und das nicht als zwangsverordnetes Quarantäne-Retreat, sondern immer in dem Wissen, dass Exzess und Unvernunft an irgendeinem Tresen der Stadt geduldig auf mich warten und bereit sind, ihre Waren in die Waagschale zu werfen und dem ganzen healthy Scheiß damit erst einen Sinn zu geben.

Immer sicher, dass sie mich einwickeln in eine wohlig-weiche Decke aus Bass, Beat und Booze und mir ein paar Stunden später völlig unerwartet und doch mit Ansage ins Gesicht schlagen. Wo sind die exorbitanten Hochs der Nacht, die am Ende nur ein Darlehen sind, das wir am nächsten Tag zurückzahlen und deren Überreste arme Clubmitarbeiter noch Stunden nach der Party versuchen von sich und der Tanzfläche zu schrubben? Aber hey, wenigstens war das Trinkgeld gut. Wenigstens war jemand da. Wenigstens hatten Menschen eine gute Zeit. Gemeinsam. In einer Nacht, nach der jede*r eine andere Geschichte erzählt.

Statt DJ-Bass spüre ich nur ein dumpfes Dröhnen aus wisst-ihr-nochs und würd-ja-gerns.

Tja, und jetzt? Jetzt klingen die Geschichten alle ziemlich gleich. Leere in den Clubs und irgendwie auch Leere in den Köpfen. Exzess ist ja auch immer ein Motor für Kreativität, für Ideen, für geistigen Ausbruch. Statt DJ-Bass spüre ich nur ein dumpfes Dröhnen aus wisst-ihr-nochs und würd-ja-gerns. Klar, ich könnte einen Livestream anmachen, ein Fläschchen köpfen und ein bisschen durch die Bude stampfen. Alles schon versucht. Ohne Menschen ziemlich sinnlos. Habe sogar versehentlich den Kleber eingeatmet, mit dem ich jetzt "Crafting-Projekten" (genauer gesagt: eine Wimpelkette in acht Wochen) nachgehe. Auch das: zwecklos.

In einer Zeit, in der wir alle in der gleichen Soße feststecken und uns in kollektiver Unsicherheit vereinen, klingt der Ruf nach Cluböffnungen, Partys, Raves und dem Exzess vielleicht nach unreflektiertem Hedonismus. Da ist die Egoismus-und-fehlende-Solidaritäts-Keule schnell geschwungen. Doch bringt die auch nichts, wenn niemand in der Nähe ist, um getroffen zu werden. So ein kleines Untz-Untz, das unsere Glückskurve nach oben schnellen lässt, wäre schön. Im Idealfall gemeinsam. Mit echten Menschen und einem Squuueeeeze Limette in der Weinschorle.

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