"Wie geht's dir?" – Wie die Krise Freundschaft verändert

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"Na, wie geht's" – der klassische Einstieg in jedes Treffen mit Freund*innen. Egal ob Kindergartenfreundschaft oder eher bessere Bekannte. Üblicherweise folgt eine knappe Antwort: "Alles gut!" oder vielleicht mal ein "Jo, muss ja". Und dann wird sich anderen Themen gewidmet.

Wie der letzte Urlaub war, oder wohin der nächste geht. Was am Wochenende so ging und wie es eigentlich mit Freundin X und Freund Y so läuft. Vielleicht geht es auch um Probleme mit dem Partner, um Stress auf der Arbeit oder verzwickte Situationen mit den Eltern. Das Datingleben wird analysiert, Zukunftspläne besprochen. Man diskutiert dann stundenlang bei Bier oder Kaffee, hüpft von Thema zu Thema.

Und dann kam Corona.

Und auf einmal war die Frage "Wie geht's dir?" der Hauptbestandteil aller Telefonate, Hangouts und Gespräche vom Balkon zur Straße.

Denn alle lustigen Partystories, Urlaubserinnerungen und gemeinsames Pläneschmieden, das ganze nette Beiwerk, das ist auf einmal weg. Und es geht nur noch um dieses eine Gefühl: "Wie geht's mir eigentlich gerade?". Die Antworten sind in Zeiten von Ungewissheit, Isolation, Existenzangst und einem zusammenbrechendem System anders, als noch vor einem Monat. Niemand war je in dieser Situation, wir alle müssen uns neu orientieren und verbringen – egal ob in Partnerschaft, der WG oder alleine zuhause lebend – viel Zeit mit unseren eigenen Gefühlen.

Alleine – aber nicht einsam

Und so verändern sich die Freundschaften. Sie werden wichtiger, sie werden intensiver. Wir müssen alle ganz besonders gut zuhören – oder wir lassen den Videocall unbeantwortet. Weil wir die ehrliche Frage nach den eigenen Gefühlen gerade nicht beantworten wollen oder nicht ertragen können, was das Gegenüber sagt. So geht es mir aktuell – ich kann nicht immer reden. Ich brauche die Zeit für mich alleine. Und dann die richtigen Leute, um im richtigen Momente reden zu können. Und wieder aufzulegen. Nicht weil man noch Termine hat. Sondern weil alles gesagt ist.

Wir müssen alle ganz besonders gut zuhören – oder wir lassen den Videocall unbeantwortet. Weil wir die ehrliche Frage nach den eigenen Gefühlen gerade nicht beantworten wollen oder nicht ertragen können, was das Gegenüber sagt.

Gefühlt ist mein Freundeskreis, betrachtet man ihn tatsächlich als solchen, enger um mich, den kleinen Punkt in der Mitte, gezogen. Und dabei zählt geographische Distanz nicht mehr. Denn wir stecken gerade alle im selben Dilemma, egal ob sechs oder 600 Kilometer voneinander entfernt. Egal, ob wir mit Kurzarbeit zu kämpfen haben, oder ein Kleinkind betreut werden muss – alle sind irgendwie betroffen. Was vorher war, rückt in den Hintergrund. Und das schweißt zusammen, wie nie zuvor.

Denn wenn ich jetzt zwei Stunden mit einer Freundin telefoniere, dann fühle ich mich wie in einer Therapiestunde. Mal liege ich auf dem Sofa, mal sie. Wir sprechen uns Mut zu, wir fürchten uns gemeinsam, wir versuchen Lösungen zu finden, wo es keine gibt. Jedes Mal, wenn man sagt: "Ach, komm, lass mal über was anderes reden", dann bleibt man vielleicht kurz beim Tiger King hängen, oder beim neuen Bananenbrot-Rezept – nur um dann doch wieder bei den Gefühlen zu landen.

Es scheint unmöglich sich von der Krise abzulenken

Unsere Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Nicht nur durch fehlende Small-Talk-Themen, sondern auch durch die nicht vorhandene körperliche Nähe. Denn bei einem "Mir geht's gerade wirklich nicht gut" und fließenden Tränen, fehlt sie. Der ermutigende Drücker, das besorgte Streichen über den Rücken, die feste Umarmung – muss ersetzt werden. Wir lernen gerade, einander anders nah zu sein. Mit vielen Worten, oder eher den richtigen. Wir müssen auf Untertöne in den Gesprächen lauschen und unsere eigene Sprache überdenken. Wir werden sanfter miteinander, offener, echter und ehrlicher.

Das ist nicht einfach. Das funktioniert nicht mit dem großen Bekanntenkreis, den man normalerweise bei einem Bierchen sieht. Das funktioniert vielleicht auch nicht mit der Freundin, mit der man dachte immer über alles reden zu können.

Stattdessen rücken die Menschen in den Fokus, die gerade im Konsens mit mir sind. Die nicht über Masken tragende Menschen lästern, die keine Fake-News weiterleiten oder trotz Kontaktverbots ein Tinder-Date treffen. Die Corona-Krise wirkt wie ein großes soziales Sieb, in dem gerade die Leute hängenbleiben, mit denen man am Telefon angespannt diskutiert oder frustriert auflegt. Die nicht glücklich machen.

Freundschaft 2.0

Die, die durch das Sieb fallen, sind diejenigen, mit denen ich eine Arche zusammen bauen könnte. Die ich an meiner Seite sehen will, falls nach dieser Pandemie noch eine Zombie-Apokalypse auf uns zukommt. Die mir zuhören, wenn sie mich fragen, wie es mir geht. Und von denen ich auch wirklich wissen will, wie es ihnen geht.

Ich hoffe, dass wir uns diese neuen, tieferen Freundschaft bewahren können. Das bessere Zuhören und genauere Hinhören. Und, dass die Frage "Wie geht's dir?" auch in einer Zeit, in der es wieder Partygeschichten und Urlaubsbilder gibt, wichtig ist. Vielleicht sogar wichtiger als alles andere.

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