Corona-Krise und die Berliner Gastroszene: So geht es Gastronom*innen aktuell

© Daliah Hoffmann

Es gibt vieles, das ich aktuell vermisse. Am Wochenende im Café frühstücken, Mädelsabende beim Lieblingsitaliener und die Mittagspause beim Chinesen um die Ecke vom Büro gehören ganz klar auch dazu. Bis vor zwei Monaten gehörten für mich zum Alltag, mehrmals die Woche Essen zu gehen und Neueröffnungen auszuchecken  – die letzten Wochen und auch heute ist das noch unvorstellbar. Knapp acht Wochen lang mussten Cafés und Restaurant ihren regulären Betrieb aufgrund der Corona-Krise einstellen.

Nachdem der erste Schock und die Nachricht, dass die Gastronomie schließen muss, Mitte März verdaut waren, fingen viele Cafés und Restaurant mit Take Away- und eigenen Lieferservices an. Sternerestaurants wie das Nobelhart & Schmutzig und Restaurant Tim Raue entwickelten innerhalb kürzester Zeit neue Konzepte, um den Restaurantbesuch und das damit verbundene Erlebnis nach Hause zu bringen. Ich war und bin wirklich beeindruckt, wie kreativ die Berliner Gastroszene ist.

Mit der Nachricht von letzter Woche, dass Cafés, Restaurants und Gaststätten ab dem 15. Mai unter Auflagen von 06 bis 22 Uhr wieder öffnen dürfen, geht es jetzt für Berliner Gastronom*innen wieder bergauf. Die Ängste, Gefühle und Veränderungen der vergangenen acht Wochen hinterlassen dennoch ihre Spuren. Als digitales Stadtmagazin und Foodblog interessieren wir uns dafür, wie es den gastronomischen Betrieben der Stadt in diesen schwierigen Zeiten geht. Wir fragen uns: Wie haben sie die letzten Wochen erlebt, welche Unterstützung haben sie erfahren und können sie an der Krise auch etwas Positives sehen? Wir haben für euch ein paar Statements gesammelt.

Zwischen Chaos & Chance – wie geht die Gastro mit der Coronakrise um?

Billy vom Nobelhart & Schmutzig in Kreuzberg

© Wiebke Jann

Billy Wagner ist der Inhaber des Sternerestaurants Nobelhart & Schmutzig. Gemeinsam mit Küchenchef Micha Schäfer und dem gesamten Team hat sich Billy in kürzester Zeit ein neues Konzept überlegt, um durch die Corona-Krise zu kommen. Mit "Nobelhart Daheim" können sich Gäste die Mahlzeit von Micha und das Restauranterlebnis nach Hause holen. Die Playlist für die passende Atmosphäre und ein Einhorn-Kondom sind inklusive.

Auf und raus in den Sturm.
Billy Wagner (Nobelhart & Schmutzig)

Inwiefern hat sich dein Arbeitsalltag geändert?
Ich stehe früher auf und gehe früher ins Bett. Grundlegend lerne ich aber gerade, wie man ganz neu aus dem Stegreif ein neues Geschäft eröffnet.

Wie hast du die letzten vier Wochen erlebt?
Ängstlich, sorgend, lethargisch. Gleichzeit aber auch sehr frei. Die Situation setzt eine neue Kreativität frei und das ist spannend. Man beschäftigt sich ganz neu mit Essen.

Wie gehst du mit der neuen Situation um?
Auf und raus in den Sturm.

Was fehlt dir gerade am meisten?
Nähe zu mir lieben Menschen.

Welche Unterstützung hast du in den letzten Tagen und Wochen erfahren?
Unheimlich viel von meinen Mitarbeitern, die mit mir den Weg gehen und sich auf das Wagnis einlassen.

Kannst du auch Positives in der Krise sehen?
Neues lernen ist immer gut.

Was möchtest du noch loswerden?
Trau dich was!

Niko von Cheers Kiez Pizza in Prenzlauer Berg

© Daliah Hoffmann

Niko, Robii (auf dem Foto) und Marco sind die Gründer von Cheers Kiez Pizza. Eigentlich war für April oder Mai 2020 die Eröffnung der eigenen Pizzeria geplant, doch dann kam Corona.

Inwiefern hat sich euer Arbeitsalltag geändert?
Eigentlich hatten wir geplant, in Prenzlauer Berg eine Pizzeria zu eröffnen, dann kam Corona. Wir haben uns dagegen entschieden, in dieser Zeit eine Einheit zu mieten, weil uns das Ganze zu riskant war und zu viele Kosten verursacht hätte. Marco ist ebenfalls Besitzer vom Café Kraft, das er geschlossen hat. Weil aktuell nur das To Go- und Liefergeschäft möglich sind, ist der zweite Gastraum des Cafés unbenutzt. Also haben wir beschlossen, dass wir mit Cheers Kiez Pizza in den zweiten Raum ziehen.

Wie habt ihr die letzten vier Wochen erlebt?
Bei uns waren die letzten vier Wochen voller Action. Wir haben ein Konzept geschrieben und versucht, trotz der schwierigen Zeit unser Pizza-Business voranzutreiben. Vorher haben wir lediglich ein paar Pizza Caterings gemacht, jetzt machen wir seit über vier Wochen von Montag bis Freitag Pizza.

Wie geht ihr mit der neuen Situation um?
Wir achten enorm auf Hygiene und alle möglichen Vorschriften, sodass unsere Kunden mit gutem Gewissen unsere Pizza genießen können.

Könnt ihr auch Positives in der Krise sehen?
Wir sehen gerade nur Positives, weil wir in dieser schweren Zeit unser Business auf die Beine gestellt haben. Wir denken immer positiv und versuchen, alles was geht, umzusetzen.

Wir denken immer positiv und versuchen, alles was geht, umzusetzen.
Niko Zeigert (Cheers Kiez Pizza)

Giacomo vom What Do You Fancy Love? und Melody vom A Never Ever Ending Lovestory in Charlottenburg

links: © What Do You Fancy Love, rechts: © Daliah Hoffmann

Giacomo Vogel ist der Geschäftsführer vom What Do You Fancy Love in Charlottenburg und Mitte, dem A Never Ever Ending Lovestory und dem Coffee Drink Your Monkey in Charlottenburg. Melody ist Servicekraft und Barista im Love Story, das seit Wochen geschlossen hat.

Wir sind dankbar, dass die Leute zu uns kommen und somit unsere Existenz und die unserer Mitarbeiter sichern, aber danach sollten sie nach Hause gehen.
Giacomo Vogel (What Do You Fancy Love?)

Wie habt ihr die letzten vier Wochen erlebt?
Giacomo: Als absoluten Horror.
Melody: Die letzten Wochen waren für mich (wie wahrscheinlich für alle) durch diesen Ausnahmezustand ziemlich skurril. Sei es, dass man auf einmal vor dem Supermarkt anstehen musste, oder sich nicht mehr mit Familie und Freunden problemlos treffen konnte. Außerdem fällt einem das ständige Zuhausebleiben irgendwann auch nicht mehr so leicht.

Wie gehst du mit der neuen Situation um?
Giacomo: So gut ich kann. Einfach ist es aber nicht. Wir hatten viele Probleme mit dem Ordnungsamt und der Polizei, da war ich schon etwas am Verzweifeln. Wir waren einer der ersten Läden, die kurzzeitig zu gemacht und ausschließlich auf to go umgestellt haben, obwohl Restaurants noch offen haben durften. Aber egal welche Vorkehrungen und Maßnahmen wir getroffen haben – wie wir es gemacht haben, war es falsch. Die Zeit war sehr stressig und nervenzerreißend. Nun haben wir den "Drive-in-Bereich" nochmal umgestellt und eine extra "Aufpasserin" im Dienstplan, seitdem scheint die Polizei glücklich zu sein und sagt, wir sind sehr vorbildlich. Ich hoffe, das Problem ist damit behoben.

Was machst du jetzt in der Zeit, in der du sonst gearbeitet hast?
Melody: Anfangs habe ich mich hauptsächlich auf mein kommendes Studium vorbereitet und unsere Wohnung ein bisschen ausgemistet, geputzt etc. Momentan vertreibe ich mir meine Zeit mit Gassi gehen, Lesen oder Malen. Viele andere Aktivitäten bleiben einem ja kaum übrig.

Was fehlt euch aktuell am meisten?
Giacomo: Mir fehlen meine Freizeit und Ruhe. Aktuell habe ich viel mit der Polizei und verständnislosen Gästen zu tun.
Melody: Am meisten vermisse ich meine Kollegen, von denen ich mittlerweile auch ein paar als Freunde bezeichne. Natürlich auch den Kundenkontakt und die gemütliche Atmosphäre im Laden.

Welche Unterstützung habt ihr erfahren in den letzten Tagen und Wochen?
Giacomo: Durch den Staat nur die Kurzarbeit, aber ansonsten keine finanzielle Unterstützung. Da wir mehr als zehn Mitarbeiter*innen beschäftigen, haben wir nur die Option einen Kredit aufzunehmen, durch den wir am Ende dann verschuldet wären. Unsere Gäste, die auch weiterhin regelmäßig kommen, haben uns extrem unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar!

Was denkst du, wie wird sich dein Arbeitsalltag verändern? 
Melody: Ich denke, dass es weniger Tische im Laden geben wird und dass der Kontakt zum Kunden und zwischen den Kollegen so gering wie möglich gehalten wird.

Was möchtest du noch loswerden?
Giacomo: Ich appelliere an die Vernunft der Menschen, dass sie sich nicht draußen mit Freunden treffen, Grillpartys zu Hause feiern und die Vorgaben missachten. Wir sind dankbar, dass die Leute zu uns kommen und somit unsere Existenz und die unserer Mitarbeiter sichern, aber danach sollten sie nach Hause gehen. Es ist sonst gefährlich und unverantwortlich.

Rebecca vom Estelle Dining in Prenzlauer Berg

© Estelle Dining

Rebecca und ihr Mann Jared Bassoff haben im Februar 2020 ihr Restaurant Estelle Dining in Prenzlauer Berg eröffnet. Ich war kurz nach der Eröffnung zum Abendessen da und war begeistert von der Pizza, den Sharing Plates und dem hausgemachten Eis. Hier könnt ihr den Artikel zum Estelle Dining lesen. 

Zusammenhalt, Solidarität, Menschlichkeit.
Rebecca Bassoff

Wie hast du die letzten vier Wochen erlebt?
Wie einen schlechten Traum. Wir haben durch unsere Zeit in Asien noch viele Freunde dort und waren im Januar und Februar regelmäßig in Kontakt. Corona war schon damals ein Thema, aber ganz weit entfernt. Momentan haben wir sechs Tage die Woche geöffnet und wahrscheinlich die herzlichsten Gäste! Es macht also trotz allem Spaß und gibt Mut. Auch die Zusammenarbeit und Unterstützung von Nachbarn, Vermietern und Kollegen hat eine ganz andere Dynamik bekommen.

Wie gehst du mit der neuen Situation um?
Positiv denken, kreativ sein, umdenken und jedem Gast einen positiven Moment verschaffen.

Was fehlt dir an deiner Arbeit am meisten und was machst du in der Zeit, in der du nicht arbeitest?
Ich arbeite aktuell mehr denn je. Was mir fehlt, ist mein traumhaftes Team und natürlich all die lieben Menschen, die ein Restaurant zu dem machen, was es ist. An meinem freien Tag schlafe ich aus und genieße die Sonne in unserem Garten mit einem schönen Glas Wein und natürlich gutem Essen.

Welche Unterstützung hast du erfahren in den letzten Tagen und Wochen?
Wo fange ich hier an...so viel! Wir sind noch ein junges Unternehmen und haben trotzdem schon einen treuen Fanclub aus Nachbarn, Freunden und Gästen, die uns aus den ersten vier Wochen kennen. So viel Menschlichkeit, lächelnde Gesichter und liebe Worte. Gäste, die täglich bei uns essen abholen, Vermieter, die Eingeständnisse mit der Miete gemacht haben, meine Eltern, die sich ohne wenn und aber seit mehr als vier Wochen um unsere Kinder kümmern. Unser Team, mit welchem wir fast täglich sprechen und natürlich auch Land und Bund, die mit der Corona Soforthilfe ganz viele Sorgen erstmal auf Eis gelegt haben.

Kannst du auch Positives in der Krise sehen?
Zusammenhalt, Solidarität, Menschlichkeit.

Per von Berlin Food Stories

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Per Meurling ist Journalist und Foodblogger. Seit 2012 schreibt er auf seinem Blog "Berlin Food Stories" über Berliner Restaurants, Cafés und Bars und bezeichnet sich als "hungriest person in Berlin". Per ist tief vernetzt mit der Berliner Gastroszene, kennt viele Gastronom*innen und Köch*innen persönlich, pflegt mit einigen auch Freundschaften.

Supportet Berliner Restaurants und die kleinen Geschäfte und Manufakturen!
Per Meurling

Inwiefern hat sich dein Arbeitsalltag geändert?
Insgesamt tatsächlich gar nicht so viel. Ich habe zwei kleine Kinder zu Hause und lebe vor allem seit dem zweiten sehr viel ruhiger. Vor der Krise war ich zwei bis vier Abende unter der Woche in Restaurants essen oder auf Veranstaltungen. Jetzt gehe ich nur noch ab und zu tagsüber in Restaurants, wenn ich mich nicht um meine Kinder kümmere.

Wie hast du die letzten vier Wochen erlebt?
Es war für mich eine emotionale Achterbahnfahrt. Von einem Tag auf den anderen haben sich die Voraussetzungen für meine professionellen Tätigkeiten auf den Kopf gestellt. Da ich schon immer sehr eng mit der Gastronomie vernetzt bin, hat mich das Ganze dann auch sehr stark persönlich berührt. Ich fahre mit meinem Auto durch die leeren Straßen Berlins und besuche die offenen Restaurants, unterhalte mich mit den Besitzer*innen und Köch*innen und kaufe, was es zu essen gibt. Abends bestellen wir dann oft bei einem der neuen Lieferservices und nachts sitze ich vor dem Rechner.

Wie gehst du mit der neuen Situation um?
Was meine gastronomische Berichterstattung angeht, habe ich mich schnell entschlossen, den Content 100% den Gegebenheiten anzupassen und ausschließlich über die neuen Angebote der Restaurants zu berichten. Seit dem 17. März schreibe ich so nur über Take Away- & Delivery-Essen mit dem Ziel, die Restaurants so weit wie möglich zu unterstützen. Da alle meine Tour-Buchungen, journalistischen Aufträge, Partnerships & Events entweder abgesagt oder auf Eis gelegt wurden, fokussiere ich mich außerdem stark auf meine einzige gebliebene Einkommensquelle: meine Premium-Community auf Patreon. Dort habe ich das Angebot mit Zoom-Dinners und Quiz-Nights angepasst und es hat sich ein krasse Community entwickelt, bei der jeden Tag über Rezepte, Food TV und Kochutensilien diskutiert wird.

Was fehlt dir gerade am meisten?
Die Atmosphäre in den Restaurants. Der entspannte und ungezwungene Austausch mit Menschen. Eine offene KITA, damit meine Kinder und wir mal wieder Zeit für uns haben.

Welche Unterstützung hast du erfahren in den letzten Tagen und Wochen?
Das Corona-Geld von der Stadt Berlin war schon echt eine krasse Unterstützung, das hat mir die schlimmsten Sorgen für den Herbst genommen. Sonst auf jeden Fall der Zuwachs an Supportern auf Patreon, das ist wirklich emotional. Jeden Tag kommen jetzt Neue dazu und das positive Feedback der Leser*innen und Follower*innen ist enorm. Ich habe das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit positiv zu der Lage beitragen kann und das bedeutet mir sehr viel. Die Community auf Patreon feiere ich total, das ist ein fantastische Ansammlung von Menschen und das Feedback ist toll.

Kannst du auch Positives in der Krise sehen? 
Sehr viel sogar. Wenn man einen Schritt zurück macht, ist das Ganze eine einzigartige Möglichkeit, um viele positive Veränderungen anzustoßen – vor allem in der Gastronomie. Größere Wertschätzung, weniger Hype, bessere Arbeitsbedingungen. Aber auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft bietet die Krise Raum für positive Veränderungen.

Was möchtest du noch loswerden?
Supportet Berliner Restaurants und die kleinen Geschäfte und Manufakturen! Es gibt mittlerweile ein fantastisches und super vielseitiges Angebot, mit dem man einen großen Teil seiner Einkäufe abdecken kann. Manche Produkte muss man im Supermarkt kaufen, aber jeder Euro, den man in lokale Betriebe investiert, bedeutet unglaublich viel.

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