Berliner am Sonntag mit Jannis Niewöhner: Die Suche nach Langeweile

© Hella Wittenberg

Der Sonntag ist heilig! Wir haben uns gefragt, was waschechte, zugezogene oder ganz frisch gebackene Berliner*innen an diesem besten Tag der Woche eigentlich so tun? Lassen sie alle Viere gerade sein oder wird doch gearbeitet, was das Zeug hält? Sind sie „Tatort“-Menschen oder Netflix-Binger*innen, Museumsgänger*innen oder festgewachsen am Balkon? Brunchen sie mit Freund*innen oder trifft man sie allein im Wald beim Meditieren an? Wir haben bei unseren liebsten Berliner*innen nachgefragt.

Das sagt Schauspieler Jannis Niewöhner über seinen Sonntag

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Ist der Sonntag etwas Besonderes für dich?

Ja, es ist der Tag zum Fallenlassen. Aber auch nur, wenn ich nicht gerade drehe und wirklich frei habe. Dann kann der Sonntag auch mal auf einen Dienstag fallen. Am liebsten ist mir dieser freie Tag so wie in der Kindheit: Erst ausschlafen und dann trifft man sich mit Freunden oder der Familie, verbringt Zeit miteinander und schaut ansonsten entweder richtig viele Filme oder besucht den Papa am Theater.

Also hat sich dein Sonntag mit der Zeit gar nicht so sehr gewandelt?

Wieso auch? Es ist schließlich mein Faulenzer-Tag. Wenn der Samstag für Unternehmungen da ist, dann ist der Sonntag fürs Nichtstun. Selbst dieses unangenehme Gefühl, das sich abends einstellt, weil man weiß, dass am nächsten Tag wieder alles losgeht, hat sich seit der Schulzeit nicht ganz aufgelöst. Zwischenzeitlich wurde der Sonntag mal zum Auskater-Tag, aber das hat sich schon geändert. Was mit Sicherheit geblieben ist: Es ist für mich die Zeit zum Vorlernen. Wenn ich am Montag wieder drehe, fängt für mich bereits die Arbeit zu Hause an.

Selbst dieses unangenehme Gefühl, das sich abends einstellt, weil man weiß, dass am nächsten Tag wieder alles losgeht, hat sich seit der Schulzeit nicht ganz aufgelöst.
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Bist du gut im Ausdehnen der Zeit?

Wenn ich etwas richtig genieße, vergesse ich die Zeit und so kann sie sich schon mal länger anfühlen. Am Set geht mir das oft so.

Ich dachte, Filme zu drehen, würde viel herumsitzen und unproduktiv sein bedeuten – wie Zugfahren.

Ich liebe Zugfahrten! Es gibt kaum einen Ort, an dem ich dermaßen gut lernen und lesen kann, wie in der Bahn. Da kann ich mich am besten konzentrieren und brauche nicht mal Musik. Zuhause könnte ich immer tausend Sachen gleichzeitig erledigen, aber unterwegs gibt es keine Ablenkung.

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Ab dem 12. März bist du in „Narziss und Goldmund“ zu sehen. Du spielst – einen Menschen, der wirklich alles aus dem Leben herauszuholen versucht.

Er macht wirklich sieben Tage Sonntag! (lacht) Goldmund ist jemand, der alles aufsaugt, was ihm begegnet, und immer ganz im Moment ist. Ich probiere das auch für mich durchzuziehen, wenn ich sonntags frei habe. Selbst wenn ich dann mit meinen Freunden unterwegs bin, will ich dabei gar nicht zu viel machen. Ich merke oft, dass dieses Faulenzen zu den kreativsten Phasen führt. Erst im Nichtstun schaffe ich alles um mich herum zu hundert Prozent zu erleben.

Ich merke oft, dass dieses Faulenzen zu den kreativsten Phasen führt.
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Goldmund hat immer diesen Drang nach mehr. Nichts scheint ihm zu genügen. Konntest du damit etwas anfangen?

Auf jeden Fall. Früher habe ich ständig nach dem nächsten Extrem gesucht und wollte mich überhaupt nicht an irgendeine Situation binden. Alles, was neu war, erschien spannend und musste ausgelebt werden. Selbst wenn ich jetzt weniger so ticke, finde ich es wichtig, diesen Drang nicht gänzlich abzulegen. Denn darin besteht doch die allergrößte Freude im Leben – alles, was einem begegnet, komplett in sich aufzusaugen und auf diese Art jeden Tag so intensiv wie möglich zu leben. Natürlich gehen damit extreme Gefühle einher – Schmerz gehört eben auch dazu. Deshalb lernt man dann wohl mit der Zeit, wie wichtig ein Sonntag ist, an dem man mal eine Pause macht und auf seinen Energiehaushalt achtet. Mir geht es jedenfalls so. Trotzdem find ich den kurzen, naiven Moment im Leben eines jungen Menschen beneidenswert, in dem er noch nicht über alles ganz genau nachdenkt.

Du bist dem schon entwachsen?

Es gibt so viel, was ich jetzt unter einen Hut bringen muss. Da schaue ich tatsächlich ein bisschen nostalgisch auf die Zeit mit mehr Unbekümmertheit zurück, in der ich nicht so viel planen musste und einfach machen konnte. Mittlerweile fühle ich mich nur dann richtig frei, wenn ich spiele. Dieser Kontrollverlust ist für mich am allerschönsten. Danach suche ich auch immer. Aber drumherum gehört zu dem Beruf jede Menge Organisation, da muss vieles nach einem bestimmten Plan funktionieren. Ich sehe um mich herum auch viele ältere Menschen, die mittlerweile mit Vorsicht durchs Leben gehen – alles muss nach einem gewissen Muster geschehen. Mir ist aufgefallen, dass ich selbst darauf achten muss, dass mir das nicht passiert. Nach dem nächsten Dreh habe ich einiges abgesagt, weil ich mal gucken will, wie das ist. Ich möchte in den Zustand kommen, an dem ich keine Erwartungen mehr erfüllen muss, sondern ganz Ich sein kann.

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Suchst du nach Langeweile?

Mit Sicherheit. Langeweile ist gut für die Seele.

Was ist das Letzte, was du ungeplant gemacht hast?

(denkt lange nach) Nach der „Kids Run“-Premiere auf der Berlinale bin ich mit meinen Eltern noch auf eine Party gegangen, obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, auf dem Filmfestival nur die Termine mitzumachen, die wirklich Pflicht sind. Wir haben lange zusammengesessen, trotz dessen es nicht in meinen Plan gepasst hat. Es war schön, mit meinen Eltern Zeit zu verbringen. Das passiert auch viel zu selten. Aber es ist gut, dass du mir diese Frage stellst, denn ich merke: Darauf muss ich wieder mehr Antworten finden!

Was machst du an einem Sonntag mit deinen Freund*innen?

Nicht nur in meinem Kopf sein, sondern ihn auch mal frei kriegen. Und mit meinen Freunden ist alles möglich. Entweder landen wir bei Freunden zu Hause, gehen auf eine Party, lernen unterwegs neue Leute kennen oder fahren einfach mal aus der Stadt raus. Neulich waren wir in der Nähe von Buchholz. Eigentlich dachte ich, Brandenburg ist gar nicht so schön, aber der Ausflug hat mich vom Gegenteil überzeugt. Ich will unbedingt mehr Zeit dort verbringen. Aber wenn das nicht drin ist, streunen wir in der Stadt herum oder machen zusammen Musik.

Eigentlich dachte ich, Brandenburg ist gar nicht so schön, aber der Ausflug hat mich vom Gegenteil überzeugt.
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Du machst Musik?

Mit 15 habe ich angefangen, mir ein kleines Studio aufzubauen, und selbst Musik zu machen. Inzwischen habe ich viele Musikerfreunde und bin gerne dabei, wenn sie sich ausprobieren. Das ist eher zum Spaßhaben da und nicht, um irgendwelchen Ansprüchen zu entsprechen. Ich will auch gar nichts veröffentlichen, aber so ein bisschen Klavierspielen geht schon mal klar für einen Ausflug.

Und dann geht es zum Drehbuchlernen zurück?

Oft genug ist das so, genau. Die Vorbereitungszeit nehme ich ernst.

Wieso hast du dich eigentlich nur einmal an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch beworben? Du wurdest abgelehnt, weil du zu jung warst – also Grund genug, um es später erneut zu versuchen, oder?

Ich habe häufig darüber nachgedacht, nur dann kam immer der Film dazwischen. Ich hatte aber auch Angst und Komplexe am Theater, die ich erst in den vergangenen Jahren langsam abbauen konnte. Ich glaubte, Dinge nicht verstehen zu können, weil ich nicht belesen genug war. Und vieles berührte mich auch nicht. Vom Theater nahm ich lange Zeit nicht ansatzweise so viel mit, wie von einem richtig guten Film. Aber mittlerweile habe ich mehr gesehen und gelernt, das Theater anders zu verstehen. Es kann einem Fragmente vorwerfen, muss aber nicht alles erklären. Es reicht schon ein Gefühl, mit dem man herausgehen kann. Aber grundsätzlich kann ich sagen, dass für mich immer Film das Beste war und ich deshalb auch nicht zwingend an diese Schule gehen musste.

Ich hatte aber auch Angst und Komplexe am Theater, die ich erst in den vergangenen Jahren langsam abbauen konnte.
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Auch ohne Zeit an der Ernst Busch bist du von Krefeld nach Berlin gezogen. Wieso ist das der richtige Ort für dich?

Ich bin hin- und hergerissen, ob Berlin dieser richtige Ort ist. Manchmal mag ich eben auch das Land, dann aber auch wieder alles in der Stadt. Ich wollte auf jeden Fall hier her, weil ich wusste, dass mich in Berlin ganz viel Neues erwartet. Ich möchte immer im Moment leben und das bedeutet auch, nicht stehen zu bleiben. Es sollte sich etwas bewegen – ich wollte mich bewegen. Nach neuen Momenten suchen. Eigentlich wie Goldmund, als er sich vom Kloster aufmacht, um seine Mutter zu suchen und die Welt für sich entdeckt. Es ist nur immer auch viel Unruhe dabei. Da versuche ich momentan ein Gleichgewicht zu finden.

© Hella Wittenberg
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