Ciao, 2019: Warum ich Jahresrückblicke liebe
Klappe zu: 2019 ist vorbei. Nach Weihnachten folgt Silvester, darauf der Neujahrskater, und dann ist auf einmal 2020 und schon geht’s weiter. Daran, dass das Jahr sich dem Ende neigt, erinnern uns aber nicht nur der Weihnachtsstress oder die um 16 Uhr einsetzende Dunkelheit, sondern auch die zahlreichen Rückblicke, die meist schon Anfang Dezember zuverlässig überall auftauchen. Same procedure as every year: Im linearen Fernsehprogramm genauso wie in jeder Timeline, es wird zurückgeschaut auf die großen Momente der vergangenen 12 Monate.
Natürlich ist das, was in den Rückblicken zu sehen ist, nie eine Überraschung, wenn man das Jahr nicht unter einem Stein verbracht hat oder zu selten aus dem Berghain rausgekommen ist. Müsste ich eine Wette abschließen, ich würde ohne zu zögern behaupten, dass in wirklich jedem Rückblick mindestens einmal das Thema Klimawandel, Fridays For Future und Greta Thunberg, die aussichtslosen Brexit-Verhandlungen und Donald Trump Erwähnung finden. Dazu dann noch ein kleiner Gag auf Kosten der SPD und vielleicht noch irgendwas zum Thema E-Roller. Zack fertig, Jahresrückblick.
Fridays For Future, SPD, Donald Trump und E-Roller – Zack fertig, Jahresrückblick
Ich kenne viele Leute, die diese Rückblicke total überbewertet finden. Schließlich ist das Jahr gelaufen, die Vergangenheit soll man ja bekanntlich ruhen lassen und sich stattdessen voll aufs Hier und Jetzt und das, was kommt, konzentrieren. Zurückgeschaut wird aber irgendwie doch, denn gefühlt sieht man jedes Jahr mehr Posts, in denen das Jahr mit einem großen "Fick dich" verabschiedet wird – weil zugegebenermaßen natürlich auch wieder ganz schön viel Scheiße passiert ist. Aber ist es nicht auch gerade deshalb so wichtig, nochmal auf die schönen Momente zurückzublicken? (Na gut, außer 2016 vielleicht. 2016 war schon einfach echt beschissen, da brauchen wir nicht weiter drüber zu reden.)
Mit nichts anderem lassen sich Erinnerungen so gut konservieren wie mit Musik.
Okay, weltpolitisch betrachtet war 2019 jetzt auch nicht gerade der Hammer und einige Ereignisse haben definitiv nichts anderes verdient, als am Silvesterabend in großen Mengen Alkohol ertränkt zu werden. Trotzdem bin ich Fan des jährlichen Zurückschauens. Anfang Dezember habe ich mich deshalb, genauso wie letztes und vorletztes Jahr, wie ein kleines Kind auf meinen Jahresrückblick von Spotify gefreut. Denn mit nichts anderem lassen sich Erinnerungen so gut konservieren wie mit Musik.
Kurz nachdem alle am Morgen Spotify geöffnet und eine musikalische Bestandsaufnahme ihrer vergangenen 12 Monate serviert bekommen hatten, wurden die Instagram-Storys auch schon geflutet. Und wie bei jedem Hype auf Social Media dauerte es keinen halben Tag, bis die ersten anfingen, zu haten: Ach, Tims Lieblingsgenre ist Hip-Hop? Na, wer hätte das gedacht! Und wen interessiert es denn bitte, dass Lisa in Australien 3 Monate lang nur Taylor Swift gehört hat?
Spotify Wrapped: Die musikalische Bestandsaufnahme der letzten 12 Monate
Leute, sorry not sorry: Ich liebe es. Meine 100 Songs aus 2019 laufen bei mir jetzt wieder rauf und runter und sorgen dafür, dass vor meinem inneren Auge ein 2019-Aftermovie abläuft, für das ich weder die Instagram Best Nine noch den ZDF-Jahresrückblick brauche. Ein musikalischer Throwback jagt den nächsten und fördert Erinnerungen zu Tage, die ich sonst vielleicht nicht vergessen hätte, die sich so aber viel, viel näher und lebendiger anfühlen. In dieser Playlist ist so viel Bon Iver, dass ich mich wieder fühle, als würde ich gerade beim Melt vor der Bühne stehen und die Songs des neuen Albums zum ersten Mal live hören. Während ich in meinem Wintermantel in der siffigen U8 sitze, sehe ich mich auf einmal wieder auf der Fusion, bei Sonnenaufgang, umringt von meinen besten Freund*innen.
Frühling 2019 klang wie Maribou State, Herbst 2019 klang wie Frank Ocean. Bei einigen Songs sehe ich mich aber auch alleine im Bett liegen, mit zugezogenen Vorhängen, denn 2019 war eben wirklich nicht immer nur gut. Und dann sind da noch ein paar Songs, bei denen ich mich frage, was da eigentlich los war – aber hey, ein paar "Songs of Shame" dürfen in keiner Spotify-Wrapped-Playlist fehlen. #fürmehrrealitätaufspotify sozusagen. Eins steht fest: So vorhersehbar wie die klassischen Rückblicksendungen im Fernsehen sind meine Top Tracks definitiv nicht.
Frühling 2019 klang wie Maribou State, Herbst 2019 klang wie Frank Ocean. Und dann sind da noch ein paar Songs, bei denen ich mich frage, was da eigentlich los war. So vorhersehbar wie die klassischen Rückblicksendungen im Fernsehen sind meine Top Tracks definitiv nicht.
Wer Spotify schon etwas länger nutzt, für den hat der Algorithmus dieses Jahr nicht nur die persönlichen Top-Artists, Songs und Genres des letzten Jahres ausgespuckt, sondern auch einen Überblick über die letzten Jahre. Denn schließlich endet am 31. Dezember nicht nur 2019, sondern auch dieses Jahrzehnt. Und ich bin ganz ehrlich: Wenn nicht nur ein Jahr, sondern auch noch ein ganzes Jahrzehnt zu Ende geht, dann finde ich das Ganze sogar noch ein bisschen geiler. Ich meine, wow, die 2010er – in den letzten 10 Jahren ist absurd viel passiert. Während wir uns 2019 über Greta, E-Roller und Flugscham streiten und bei alldem sowieso ständig online sind, gab es vor 10 Jahren noch nicht mal Instagram, keine AfD, keinen Brexit und TikTok war keine App, sondern der Song des Jahres (!) von Kesha. Uff!
Ich liebe es auch, dass wir uns in unserem Freundeskreis seit letztem Jahr immer unsere Spotify-Top-Tracks hin- und herschicken. So entdeckt man nicht nur neue Musik, sondern bekommt auch jedes Mal einen kleinen Einblick in das Jahr der anderen. Ich glaube, dieses Jahr an Silvester werde ich alle meine Freund*innen zwingen, mir ihre Songs des Jahrzehnts zu verraten. Um dann im Anschluss gemeinsam auf all die schönen, und auch auf die beschissenen Momente der letzten 10 Jahren anzustoßen. Happy 2020!
Marit Blossey