Handyketten: Hört endlich auf, euer Handy um den Hals zu hängen!

© Charlott Tornow

von Sabine Winkler

Okay, zugegeben: Auf den ersten Blick scheint diese Erfindung ziemlich praktisch. Die sogenannten „Phone Necklaces“ – die deutsche Übersetzung „Handyketten“ klingt dann doch zu uncool – lässt unsere Hände frei, während das Smartphone auf seinen permanent-spontanen Einsatz wartet. Und wenn es doch soweit ist, hat Mann/Frau das Handy ganz schnell parat.

Und wie funktional das erst auf einer Vernissage, oder gar einem Konzert sein muss. Friedlich baumelt das Handy dann um den Hals, so wie früher der Brustbeutel mit dem Bus- und Kakaogeld in der Grundschule. Genau aus diesem, eben durchaus praktisch-funktionalen Grund tragen wohl auch die meisten Frauen in der Berliner Kreativ-Branche die Handyketten als das neue (oder mittlerweile neu-alte?) Mode-Accessoire: Fotografin, PR-Mensch, Journalistin, Künstlerin.

„Endlich die Hände frei!“, jubeln diverse Frauenmagazine, Online-Blogs und eigentlich alle. Die sehr wahrscheinliche Erfinderin dieses gehypten Trends ist die Berlinerin Yara Jentzsch. Seit 2015 bietet sie ihre Makramee-Kettchen mit integrierter Handyhülle über ihr Label Xouxou Berlin an.

Anfangs noch in Eigenregie musste sie bald Studierende zum Kettenknüpfen anstellen, denn das am Hals baumelnde Smartphone wurde schnell ein begehrtes Statussymbol. Ja, wirklich. Ich stelle mir das so vor: In einem Wohnzimmer, irgendwo in Berlin, sitzen zehn Student*innen mit Kaffee, Tee und Plätzchen, hören Spotify oder irgendwelche feministischen Podcasts und knüpfen dabei im Akkord die Hadyketten-Bestellungen ab.

Handyketten sind wie Schnürsenkel mit Schmuckperle

Für eines der beliebten Handykettchen, die aussehen wie ein Schnürsenkel mit Schmuckperle, muss man bis zu 25 Euro hinblättern. Handarbeit ist schließlich ein Qualitätssiegel. Es gibt sie wirklich für jedes erdenkliche aktuelle Handymodell und jeder erdenklichen Farbe, schließlich muss die Kette zum Outfit und der Wohnungseinrichtung passen.

Also haben die Ketten doch eigentlich alles, was unsere heutige Workaholic-Hipster-Gesellschaft super toll findet: Sie bieten Funktionalität, machen multitasking-fähiger, werden nachhaltig und in Handarbeit produziert. Und für Mütter (und Väter natürlich, aber die tragen keine Handyketten), die einfach freie Hände brauchen, das Handy aber trotzdem irgendwohin stecken müssen, ist die Kette auch ziemlich praktisch. So kam Yara Jentzsch nämlich auf die Idee zu den Ketten.

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Dabei sind diese Handyketten ein Symbol dafür, wie abhängig wir geworden sind von unserem Telefon. Ein Leben ohne Smartphone? Unvorstellbar! Es soll immer da sein, immer griffbereit. Das ist doch der einzige Grund, wieso der neuartige Halsschmuck überhaupt notwendig geworden ist – weil wir nicht mehr ohne können. Weil wir ständig Angst haben, irgendetwas verpassen zu können. Sei es das perfekte Insta-Bild oder das Beweis-Selfie, eine krasse Partynacht mit Lars Eidinger verbracht zu haben. Könnte jemand ja vielleicht nicht glauben. 

Aber das muss doch nicht sein. Seit wann sind wir eigentlich so fixiert darauf, immer erreichbar zu sein und jeden Moment mit Bildern dokumentieren zu müssen? Ich brauche mein Handy so schon super häufig. Manchmal vielleicht sogar mehr, als mir lieb ist. Hätte ich es jetzt auch noch permanent um meinen Hals hängen: Ich wäre noch versuchter, an das Ding zu gehen bei jedem Blinken und Biepen. Ist Handysucht eigentlich mittlerweile eine anerkannte Krankheit?

Ist Handysucht eigentlich mittlerweile eine anerkannte Krankheit?

Muss außerdem wirklich jede*r sehen, welchen Typ Handy ich bei mir trage? Es geht doch niemanden etwas an, ob ich ein Samsung Galaxy, einen beliebig großen iPhone-Typen oder doch ein eher unsexy Huawei- oder Sony-Gerät besitze. Das sichtbar präsentierte Handy ist mittlerweile das neue Statussymbol.

Passenderweise ist der Slogan von Xouxou dann auch "Keep your hands free and your phone close" – so als ob das Handy ein wertvoller Schatz wäre, den wir nicht verlieren dürfen. Und so ist es ja auch: Unser Handy beherbergt unsere Identität: Fotos, Videos, Nachrichten, Kontodaten etc. Beunruhigend, oder?

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