Schluss mit Selbstoptimierung und Work-Work-Balance – ein Hoch auf die Faulheit

© Zhang Kenny | Unsplash

Von: Marie Trankovits.

Der Satz: "Heute war ich wieder total produktiv" ist meiner Meinung nach einer der furchtbarsten Sätze unserer Zeit. Einzig noch schlimmer, ein beschämtes: "Leider war ich heute nicht sehr produktiv."

Produktiv. Fällt dieses grausame Wort, muss ich immer an einen schuftenden Ackergaul denken. Der Mensch ist doch kein Vieh, das ein gewisses Pensum an Arbeit abzuleisten hat. Trotzdem ist die Angst, faul zu wirken, groß. Sehr groß. Deshalb die ständige Wiederholung, dass man viel arbeitet und wahnsinnig viel zu tun hat. Vor wem rechtfertigt man sich da eigentlich? Wem muss was bewiesen werden? Selbstverständlich ist Arbeit lebensnotwendig, aber der Trend, mit Stress zu prahlen ist doch höchst eigenwillig. Die alten Griechen definierten den Sinn des Lebens deutlich anders: Wein, Essen, schlafen, Sex, ein bisschen philosophieren und eine Skulptur von sich anfertigen lassen. Wer arbeiten musste, hatte die Verliererkarte im Leben gezogen. Das Staunen wäre groß, wenn sie einen Blick in die Gegenwart werfen könnten.

Die alten Griechen definierten den Sinn des Lebens deutlich anders: Wein, Essen, schlafen, Sex, ein bisschen philosophieren und eine Skulptur von sich anfertigen lassen. Wer arbeiten musste, hatte die Verliererkarte im Leben gezogen.

Mit Stress zu prahlen ist doch höchst eigenwillig

Denn heute hat man „es geschafft“, wenn man vor lauter Arbeit und Optimierung für gar nichts mehr Zeit hat. Wenig essen, wenig feiern, wenig Schlaf, wenig grübeln. Hauptsache produktiv und aktiv sein. So ein selbstvergeiseltes Leben bringt Anerkennung bei den anderen Sklaven des Zeitgeistes. Und der Zeitgeist lässt es jeden wissen: Selbstoptimierung und Karriere sind die Schlagwörter, die den Countdown bis zum Grab begleiten sollen. Bloß nichts verpassen ist die Divise und dabei wird alles verpasst. Während der Amerikaner auf die Frage wie es ihm geht, mit einem heiteren "Amazing, everything is great!" antwortet, ganz egal wie sehr er sich die Nacht vorher die Augen ausgeweint hat, so ist die deutsche Antwort meist: "Joa, viel Stress, viel zu tun. Wie immer halt." Dann wird noch das obligatorische und tapfere: „Aber es geht schon irgendwie." hinterhergeschoben.

Wieso sagt niemand mit stolzgeschwellter Brust: "!Ich habe heute einfach nur im Park gesessen." Oder noch verrückter: "Eigentlich habe ich gar nichts gemacht." Wahrscheinlich, weil er dann entsetzte und missbilligende Blicke ernten würde. Tüchtigkeit und auf jeden Fall ganz viel um die Ohren haben, nur so kann man sich heute noch sehen lassen. Alles andere eine Schande. Aber wen soll das eigentlich beeindrucken? Andere Menschen, die auch produktiv sind? Beweist es nicht eher, dass man sich brav eingegliedert hat in das spießige Leben, vor dem man vor wenigen Jahren noch so große Angst hatte? Ein weiteres Rädchen in einem größeren Rad. Und das Uhrenwerk dreht sich weiter. Tick, Tack. Eine perfekt aufeinander abgespielte Symbiose.

Der Schlüssel zum Glück wird sich aber nicht im Kampf gegen den Stillstand finden lassen. Immerhin fällt so die Flucht vor sich selbst viel leichter. Denn zu verweilen würde bedeuten, Zeit mit sich selbst zu verbringen. Und wer will das schon. Das Spiegelbild im Badezimmer ist viel freundlicher als das der eigenen Seele, vor allem, wenn man es jeden Tag ins Fitnessstudio schafft. Immer in Bewegung bleiben und bloß nicht untätig wirken. 

Wieso sagt niemand mit stolzgeschwellter Brust: "Ich habe heute einfach nur im Park gesessen." Oder noch verrückter: "Eigentlich habe ich gar nichts gemacht."

Müßiggang und Dolce Vita. Heutzutage schwer zu finden und einer der Gründe, warum ich so gerne in Berlin bin. Hier weigert sich der größte Teil, das Lied der fleißigen Bienen mitzubrummen. Um 8 Uhr morgens trifft man hauptsächliche müde Feiernde, die nach Hause wanken. Trotz Zugezogener. Die wanken auch. Der Körper ist hier kein Tempel, sondern ein Vergnügungspark. Ein Engländer hat's gesagt, in Berlin wird es gelebt. Man ersetzt alte Fehler mit spannenderen Fehlern und sich gehen zu lassen ist deutlich angenehmer als langweile Menschen mit langweiligen Taten zu beeindrucken.

Faul zu sein bedeutet Hingabe und Zeit

Alibihalber wird bei den Nicht-Wankenden zwar behauptet, man tue etwas für das Seelenleben, aber so funktioniert das nun mal nicht. Nicht Entspannung, sondern Faulheit fehlt den Großstädtern. Und in Hektik genießen kann logischerweise kaum Erfolge erzielen. So zwischen Büro und erzwungener Date Night eine Stunde bewusstes Atmen. Nein, faul zu sein bedeutet Hingabe und Zeit. Wem das Gen der Faulheit gänzlich fehlt ist ein armer Tropf, da kann er noch so viele Verrenkungen zur Entspannung der Wirbelsäule ausprobieren, der Hochgenuss des Nichtstuns ist ein Talent und die Talentlosen alles Neider. Deshalb seid stolz auf eure Faulheit! Heutzutage bedeutet das Courage zur Geistigkeit und Respekt dem Genuss gegenüber zu haben. Es ist eine aussterbende Fähigkeit, über die die nächsten Generationen im schlimmsten Fall nur noch in Geschichtsbüchern lesen werden.

Trinkt, esst, raucht, liebt, hasst, schlaft – lebt. Das süße Leben ist wie jede vorzügliche Delikatesse, nie in Eile zubereitet. Die Feinschmecker wissen das.

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