Die dunkle Seite der Seele

© Xavier Sotomayor | Unsplash

von Marie Trankovits

Oscar Wilde sagte: „Ich bin durchaus nicht zynisch, ich habe nur meine Erfahrungen, was allerdings ungefähr auf dasselbe hinauskommt“. Und Ödön von Horváth: „Der Spießer ist bekanntlich ein hypochondrischer Egoist, und so trachtet er danach, sich überall feige anzupassen und jede neue Formulierung der Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet.“ Das Bedürfnis, sich anzupassen und einzugliedern ist und war immer schon ein ständiger Begleiter vieler Menschen. Heutzutage gefällt man der Mainstream Meinung am besten, wenn Themen wie Selbstoptimierung, Entspannung und Stressabbau begeistern können.

Das viele der größten kulturellen und philosophischen Werke durch Schmerz, Leid, Zynismus und Depression entstanden sind, wird beim Workshop für die Work-Life-Balance lieber nicht erwähnt. Für die dunkle Seite der Seele scheint es in der westlichen Welt keinen Platz zu geben. Unglücklich zu sein, schickt sich nicht. Und wenn, möge man gefälligst alles tun, um diese Dämonen so schnell wie möglich zu vertreiben oder zumindest zu unterdrücken.

Wohin ich auch blicke, es strahlen mich positive Sprüche an und am meisten lässt sich allem Anschein nach mit "Feel Good"-Produkten verdienen. Wien präsentierte vor einigen Jahren stolz das erste Fitnessstudio für die Seele und vermutlich gehöre ich als Nicht- Yogini zu einem aussterbenden Schlag Mensch. Überall wird von innerem Ausgleich gesprochen, von dem Yin und dem Yang.

Die menschlichen Abgründe werden sorgsam mit Chiasamen und Morgenfitness zugekleistert
Marie Trankovits

Doch von wegen Ausgleich! Von wegen, das große Ganze sehen! Hochnäsig wird sich auf den etwas einfältigen Teil der Psyche konzentriert. Die menschlichen Abgründe werden sorgsam mit Chiasamen und Morgenfitness zugekleistert.

Natürlich empfinde ich das Gefühl der Entspannung als etwas Wunderbares. Ein Gefühls-Gast eher seltener Art, aber durchaus nicht unwillkommen. Und jeder, der mich kennt, weiß, dass auch ich hoffnungslos der Romantik und Schönheit des Lebens verfallen bin. 

Und dennoch: Vieles vom Menschen erschaffene, was ich zutiefst bewundere, stammt aus Sinneskrisen, Verzweiflung und Dramen. Allerdings sind die düsteren Züge der Seele zur Persona non grata geworden. Das ist schade. Im Menschen schlummert so viel mehr Potenzial als Ruhe, Entspannung und Gelassenheit.

Für die dunkle Seite der Seele scheint es in der westlichen Welt keinen Platz zu geben.

Treibende Kräfte der Lebenskünstler sind meist Unruhe, Zerrissenheit und Wut. Die unbequemsten aller Gefühlswelten sind es, die erschaffen, kreieren, phantasieren und Quellen der Schöpfung freisetzen. Anstatt das anzuerkennen wird sich krampfhaft an die rosarote Brille geklammert, die verspricht, dass Gesundheit, Glück, Erfolg, ja sogar politische Konflikte, nur eine Frage der Einstellung und des guten Willens sind.

Nitzsche, Freud, Poe und viele mehr würden sich bei all dem Kitsch und dieser Weltfremdheit im Grabe umdrehen. Wo ist die Rede vom Weltschmerz, die Frage nach dem eigenen Sinn oder Sinnlosigkeit und die des Lebens?

Wirft nicht auch das schönste Licht Schatten und sind es nicht meist genau diese Schatten, welche die Kreativität nähren? Poesie, Literatur, Musik, Philosophie und Kunst – die wirklich beeindruckenden Leistungen wurden selten von bekennenden Optimisten erschaffen. Flaubert geht sogar einen Schritt weiter und nennt jeden Optimisten einen Dummkopf. Soweit würde ich nicht gehen und doch: Wer kann denn wirklich mit offenen Augen durch diese brutale Welt gehen und nicht zynisch werden?

Das Bedürfnis nach Glauben ist der größte Hemmschuh der Wahrhaftigkeit.
Nietzsche

Der wahre Charakter wird nicht in leichten, sondern in schweren Zeiten herausgefordert, die Seele und der Geist wachsen durch Herausforderung und nicht Passivität. Das Düstere gehört zum Menschsein, genauso wie das Lichte.

Wieso werden dann auf all den Motivationsblogs nie die großen Denker zitiert, die mutig in den Abgrund der eigenen Existenz blickten? Die großen Weisheiten des Lebens sind nicht immer positiv! Auf dem Instagram Account @zynische_und_bittere_zitate entsteht nun die erste Sammlung aller Lebensweisheiten und Zitaten, die zynisch, bitter, aber nicht weniger wahr sind als die positiven. Ich denke, einige werden mir zustimmen, dass diese mindestens so klug und befreiend sind wie all die Feel-Good-Sprüche dieser Welt zusammen.

Und noch eine Idee zum Schluss: Vielleicht sollten wir neben dem Fitnessstudio für die Seele eine Kneipe für die Seele eröffnen. Nur so zum Ausgleich. Denn auf Genüsse zu verzichten, hat meiner Meinung nach wenig mit Tiefsinn zu tun.

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