Wohnungssuche in Berlin: Gibt es eine Alternative zu Kreuzberg?
"Wir suchen eine neue Wohnung." Das ist wahrscheinlich der meistgehörte Satz in Berlin, noch weit vor den Beschwerden über das Wetter. Größer, anders und vor allem woanders soll sie sein – nur wo, das ist die Frage.
Tschüß Prenzlauer Berg!
Meine Freundin und ich wohnen an der Schönhauser Allee, dort, wo die U2 alle 4 Minuten aus der Erde rumpelt, dort, wo Konnopke seine Currywürste verkauft, wo am Wochenende Dönerleichen und Berliner-Luft-Kotz-Lachen den U-Bahnhof zieren, die Trophäen einer erfolgreichen Partynacht in den Trash-Clubs der Kulturbrauerei. Wer sich Prenzlauer Berg beschaulich und tot vorstellt, meint nicht diese Kreuzung, die immer lebendig ist. Die Mütter mit den Kinderwägen gibt es natürlich trotzdem, sie sitzen in den dahinter liegenden Straßen um den Kollwitz- und Helmholtzplatz im Halbschatten der vielen Cafés. Nachts schlafen sie. Hier vorne werden bei Risa in der Stunde 3.528 Hühner von ihren Knochen genagt, Tag und Nacht.
Hallo Kreuzkölln!
3 Zimmer bitte, mit Fischgrätparkett, Balkon, ohne Zwiebeln, mit scharf! Und zwar am besten in Kreuzberg, am Kanal, wenige Meter vom Wochenmarkt am Maybachufer, damit die fauligen Last-Minute-Avocados auf dem Heimweg nicht zu schwer werden. Das ist weniger eine wohlüberlegte Entscheidung, als ein Reflex, der der Logik der Mieterwanderung entspricht. In Kreuzberg hat man alles auf einmal. Es gibt die beste Currywurst UND den besten Gemüsedöner der Stadt, in der Bergmannstraße trinken die Muttis längst Latte Macchiato, während die Polizei am Kottbusser Tor gut beschäftigt ist und es sich am Schleusenufer ganz passabel tanzen lässt. Diese Mischung merkt man den Menschen an, die hier wohnen.
Südlich des Kanals steigt die Second-Hand-Shop-Dichte dann exponentiell an, die Cafes werden minimalistischer, die Blicke abfälliger. Wer Neukölln noch für gefährlich, wild und unberechenbar hält, war lange nicht mehr da. Trotzdem macht das Leute-Schauen dort am meisten Spaß und wenn kein Markttag ist, duftet es aus den Shisha-Bars 24/7 nach Obst.
Wer Neukölln noch für gefährlich, wild und unberechenbar hält, war lange nicht mehr da.
Bitte nicht Wedding!
Das riecht man auch im Wedding, ja, im Wedding. Kommt er jemals oder ist er schon da? Schwer zu sagen. Man hört nur von immer mehr Leuten, die da wohnen, weil es noch vergleichsweise bezahlbar ist. Aber willst du da wohnen, nur weil du die Miete bezahlen kannst, dafür aber auf dem Weg zur Bio Company an 34 Spielhallen vorbei musst, die alle gleichermaßen billig beschildert von den Häusern blinken? Willst du dich freuen, dass an der Ecke ein Café aufgemacht hat, das einzige im Umkreis von einem Kilometer? Ist es charmant, wenn der Laden nebenan von der Polizei abgesperrt wird, weil Blut an der zerschossenen Fensterscheibe klebt? Fraglich. Es gibt jetzt immerhin Ramen im Wedding und das ist doch ein untrügliches Zeichen, dass es voran geht.
Ist es charmant, wenn der Laden nebenan von der Polizei abgesperrt wird, weil Blut an der zerschossenen Fensterscheibe klebt?
Langeweile im Westen
Im guten alten Westen ist das anders, da poppt schon länger kein Store mehr auf, da geht nichts voran. Dort pompösen die weitläufigsten Wohnungen wie eh und je vor sich hin und über dem Ku'damm weht auch nach der H&M-isierung noch der Geist dieses euphorischen Frühkapitalismus der 50er und 60er Jahre. Drum herum vertreibt man sich die Zeit in den seit Jahrzehnten etablierten Restaurants und Bars. Nirgendwo anders fühlt man die Vergangenheit der Stadt, das bis zum Erbrechen bemühte Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre, so sehr wie im Westen, in Charlottenburg, Schöneberg und teilweise auch in Wilmersdorf. Wohnen will man dort aber nicht. Kreuzberg ist viel zu weit weg.
Wohnen will man dort aber nicht. Kreuzberg ist viel zu weit weg.
Friedrichshain? Auf keinen Fall!
Achso, ja, Friedrichshain. Die Party-Tram fährt direkt von der Eberswalder Straße dorthin. Friedrichshain ist wie die Stiefschwester in den Märchen. Man will es meiden, mit faulem Gemüse bewerfen. Es schimpft sich nur bunt, weil die Häuser alle in so komischen Farben angemalt wurden. In keinem Viertel wurde soviel Raufasertapete verklebt, soviel Laminat verlegt wie hier. Wer freiwillig in einer Wohnung mit Laminat wohnt, hat es nicht anders verdient. Da kann man sich ja gleich mit Plastikfolien ins Bett kuscheln und den Nachtschweiß durch die gekippten Fenster mit Doppelverglasung nach draußen lüften. Wenigstens bleiben die Geschmacksverirrten so alle unter sich und organisieren Spieleabende in ihren trostlosen Hinterhofwohnungen.
Wer freiwillig in einer Wohnung mit Laminat wohnt, hat es nicht anders verdient.
Und allen, die mir jetzt erzählen wollen, Lichtenberg sei im Kommen, Marzahn hätte irgendwie Charme, Hohenschönhausen wäre gänzlich ungefährlich, Dahlem ein Idyll, Köpenick so nett am Wasser und Reinickendorf – der Flughafen Tegel schließe ja bald – , denen kann ich nur erwidern: Wir wollen nach Kreuzberg, wie alle anderen auch. In Prenzlauer Berg übernehmen langsam aber sicher die Kinder der ersten, sesshaft gewordenen Elterngeneration die Straßen und belagern die Spätis. So hatten wir nicht gewettet. Wir müssen nach Kreuzberg zu den neuen Snobs. Nichts leichter als das.