Wieso sprechen wir in Cafés über unsere intimsten Geschichten?

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"Weißt du, ich habe sie wirklich geliebt. Wir waren schon fünf Jahre zusammen, heimlich, bevor wir es ihren Eltern gebeichtet haben. Ihre Familie ist sehr gläubig und ein Christ an der Seite ihrer muslimischen Tochter, das war nicht in ihrem Sinn. Sie waren gegen unsere Beziehung, wollten, dass sie sich von mir fernhält, aber wir konnten nichts gegen unsere Gefühle tun. Also konvertierte ich zum Islam, ihretwegen und ihrer Familie zuliebe. Doch das genügte ihrem Vater nicht. Wir heirateten – gegen seinen Willen – versuchten uns unser eigenes Leben aufzubauen, doch ihre Familie holte sie immer wieder ein. Sie war traurig über ihren Bruch. Und irgendwann hielt sie es nicht mehr aus, sie litt zu sehr darunter, da waren auch unsere Gefühle nicht mehr stark genug. Es ist jetzt ein Jahr her, dass Amina mich verlassen hat."

Cafés verwandeln sich in einen emotionalen Panic Room

Diese herzzerreißende Geschichte stammt nicht von mir, sie wurde nicht einmal mir erzählt – zumindest nicht direkt. Ich saß vergangene Woche in einem Café am Lausitzer Platz, aß gemütlich eine Waffel, trank Kaffee und unterhielt mich mit einem Freund, bis ich langsam vom Gespräch des Nachbartisches gefangen wurde. Es liegt nicht daran, dass ich gerne fremde Menschen belausche, aber irgendwie haben sich in all dem Stimmengewirr eines gut besuchten Cafés meine Ohren dazu entschlossen, diese Geschichte zu hören. Meiner Begleitung ging es ähnlich, wir waren berührt von seiner tragischen Liebe, doch trotzdem war daran etwas Komisches. Wir kennen ihn nicht, er kennt uns nicht, wir werden uns vermutlich auch nie wieder sehen – trotzdem kenne ich eine seiner intimsten Geschichten. Ich begann mich zu fragen, wie es dazu kommt? Wieso können wir – umgeben von Wildfremden – plötzlich über Themen sprechen, über die wir mit den meisten Freunden nicht sprechen? Warum verwandelt sich das Café auf einmal in einen vertrauten Raum, einen emotionalen Panic Room, in dem wir losgelöst über alles sprechen können?

Vielleicht sind all die Fremden im Café eine Art Filter unserer Emotionen, die wir so besser kontrollieren können.

Ich finde es komisch, dass ich über fremde Menschen intime Dinge weiß – ohne es zu wollen. Und wahrscheinlich auch, ohne dass sie es wollen. Aber ich erwische mich selbst dabei, dass ich gelegentlich Freundinnen im Kaffee private Dinge erzähle, die eigentlich nicht für fremde Ohren bestimmt sind. Vielleicht liegt es an der generellen Anonymität der Großstadt, dass es einem – mit dem Wissen, dass man die Menschen vermutlich nie wieder sieht – ein bisschen egal ist, ob andere mithören, oder wir vergessen, vertieft in unsere Gespräche, einfach, dass um uns herum Fremde sitzen. Schließlich telefonieren auch viele Menschen in U-Bahnen so lautstark, dass das gesamte Abteil um die Beziehungstreitigkeiten weiß. Aber vielleicht fällt es uns auch einfach leichter, über heikle Themen zu sprechen, wenn wir uns auf "neutralem" Boden befinden, weil wir uns so emotional ein bisschen vom Gesagten distanzieren können, als wären die Fremden eine Art Filter unserer Emotionen, die wir so besser kontrollieren können.

Es gibt sicherlich Fremde, die eine detailiertere Biographie über einen schreiben könnten, als einige Bekannte. Aber allein die Tatsache, dass Fremde stumm bleiben, macht ein Café zu einem irgendwie magischen Ort, an dem man – auch wenn man es nicht glaubt – schöne, intime Gespräche führen kann.

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