Was ich bei einem Intimmassage-Workshop über Sex gelernt habe
In meinem Freundeskreis bin ich dafür bekannt, Workshops aller Art zu besuchen. Ich lerne gerne neue Dinge und nirgendwo sonst scheint die Auswahl dafür so groß zu sein wie in Berlin. Heute sitze ich in einem Workshop für die männliche Intim-Massage, der sich liebevoll "Handarbeitsabend" nennt. Der Raum, in dem ich mit einem ganzen Haufen neugieriger Frauen hocke, wirkt gemütlich und nicht pornös. Es gibt Tee, Decken, Kissen und schummriges Licht, keine Spur von Latex, Gleitgel oder Nacktmodels männlicher Art.
Die Frauen kommen von überall her, sind bunt gemischt in Alter, Herkunft und Lifestyle: eine Business-Frau, die gerade ein Burnout hinter sich hat, eine Mutter, die sich gerade aus einer langjährigen Partnerschaft befreit hat, Ehefrauen und Freundinnen. Die meisten kennen sich nicht, aber die Stimmung ist dennoch ausgelassen. Ich fühle mich, als wäre ich wieder 16 und zu einer Übernachtungsparty mit den besten Freundinnen eingeladen. Der Vorteil nicht mehr 16 zu sein, wird mir allerdings sofort nach der kurzen Vorstellungsrunde ersichtlich. Wir reden alle offen über Sexualität, bringen auch einiges an Erfahrung und Lockerheit mit.
Penis, Schwanz, Ding
Einige sind heute hier, um den Sex in ihrer monogamen Partnerschaft zu erweitern, andere sind da, weil ihnen der schnelle Tinder-Sex nicht mehr ausreicht und wieder andere sind einfach neugierig auf einen Abend umverklemmten Austauschs mit anderen Frauen, die vielleicht noch mehr Ahnung haben als sie selbst.
Iva, die zusammen mit Britta unter dem Namen Iva Samina die Workshops in Berlin ausrichtet, verteilt Zettel mit eindeutigen Handgriffen und Platz für eigene Notizen, Stifte und kleine Sektflaschen. "Ihr könnt an den Piccolos üben oder sie einfach trinken!", lacht Iva in die Runde und schon öffnen sich die ersten Flaschen. "Jetzt schreibt ihr erstmal vier Begriffe für den männlichen Intimbereich auf und wir schauen mal, was dabei so rum kommt." Los geht's! Ich schreibe als Erstes "Penis" auf meinen Zettel. Nichts ist mir wichtiger, als meinem Sohn beizubringen, wie man die Geschlechtsteile ohne Scham benennt. Mir sträuben sich jedes Mal die Haare zu Berge, wenn jemand seinem Kind erzählt, sein Penis sei ein Pullermännchen. Nein, das Ding ist nicht nur zum Pullern da und verniedlichen ist grundsätzlich schlimm. Die Sammlung, die wir zusammen tragen, reicht schließlich von "Dick", "Schwanz", "Möhre" bis hin zu "sein Ding".
Und hier lernen wir unsere erste Lektion: Der Penis ist nur ein Teil des Intimbereichs. Alles, was noch dazugehört nennt man im indischen "Lingam" und Lingam möchte in seiner Ganzheit verehrt werden. Das Gegenstück bei den Frauen nennt sich übrigens "Yoni", aber gibt es einen ganz eigenen Workshop. Ab hier werden wir aktiv und wenden uns dem praktischen Teil der Aufklärung zu.
Beim Sex geht es nicht um Performance
Wir scharen uns um Iva und ihre Freiwillige, die sich als Mann zur Verfügung stellt. "Wenn wir uns also gründlich mit unseren Hilfsmitteln vorbereitet haben, legen wir los. Wichtig ist, dass es hier nicht um Performance geht. Weder ihr habt ein Ziel noch hat euer Gegenüber den Druck, was leisten zu müssen." Klar, wir nicken. Ich hoffe insgeheim, dass keine meiner Mitschülerinnen heute ernsthaft ein reines Performance-Sexleben führt. Unweigerlich muss ich mir alle kurz als Pornodarstellerinnen vorstellen, die weit übers realistische Ziel hinausschießen. "Männern ist das oft nicht ganz klar", führt Iva aus. "Die gehen in Intimität häufig mit so einem Leistungsdruck rein, dass sie dabei den Weg, der ja das eigentliche Ziel ist, aus den Augen verlieren." - "Wie stelle ich das denn bitte sicher, das mein Typ nicht gleich mit seinem Orgasmus alles wieder beendet?", schießt die Erste los. Die nächste schließt sich an und meint, dass sei fast utopisch. "Sexuelle Energie kann man steuern und ihr habt bei dieser Massage die Kontrolle. Das lernt ihr heute", verspricht Iva.
Ein Orgasmus kann passieren, ist aber nicht das Ziel.
Iva demonstriert allerhand Handgriffe und erzählt dabei von ihren Erfahrungen als Sextherapeutin. Sie berührt ihre Vorführflasche unterhalb der Eichel, streicht in großen Bewegungen drüber, zeigt Griffe für den Hodensack. "Das mögen die meisten Männer sehr gerne, wissen es vorher aber gar nicht, weil sie kaum jemand so berührt", verrät sie weiter. Iva ist in ihrem Element. Man spürt die Freude, die sie daran hat, uns ihr Wissen zu vermitteln. Immer wieder machen sich einige Frauen Notizen auf ihren Handzetteln. "Für jede Intensitätsstufe und jeden Erregungszustand gibt es eine Technik. So eine Massage kann auch ganz ohne Sex oder Orgasmus statt finden. Ein Orgasmus kann passieren, ist aber nicht das Ziel", wirft Iva ein, während sie ihre Massage unterbricht. Die Gruppe scheint ungläubig, will es aber ausprobieren. Mich erstaunt, wie offen und bereit meine Mitstreiterinnen sind, all das Neugelernte in ihrem Leben umzusetzen. Ich versuche mir Männer in so einer Runde vorzustellen, mit der Sicherheit, dass das Ganze ziemlich anders ablaufen würde.
Für mich wird klar, dass Orgasmus-Zentriertheit und Leistungsdruck die eigentlichen sexuellen Probleme sind, die sich in zwischenmenschlichen Beziehungen auftürmen. Eine unglaublich verkopfte Erwartungshaltung hält uns alle davon ab, ein erfüllteres Sexleben zu haben, aber dagegen gibt es Mittel, wie Zeit, handwarmes Öl und Hingabe dem anderen gegenüber. Und eben auch mal den Orgasmus zu streichen, zumindest aus dem Kopf, nicht grundsätzlich aus dem Körper.
Alles in allem habe ich einen wunderbaren Abend – und nehme neue Erkenntnisse mit, die ich nicht erwartet hätte. Dass wir alle gleich sind, wenn es um Sex geht, selbst wenn wir uns sonst in unserem Alltag ziemlich unterscheiden. Ich habe gelernt, wie ich Zeit und Druck aus meinem Sex rausnehme und wie ich eine Erektion steuern kann. Und: Dass es überraschend schön ist, sich zwei Stunden lang mit wildfremden Frauen über Sextechniken auszutauschen – ohne sich auch nur einmal blöd vorzukommen.
Wenn ihr Lust habt, auch mal an so einem Workshop teilzunehmen, könnt ihr hier die nächsten Termine einsehen.