Als ginge ein Teil von mir verloren – Warum mir der Abschied von meiner Wohnung so schwer fällt

© Max Müller

In wenigen Tagen ist es soweit, dann heißt es Abschiednehmen. Ich gehe. Und ich werde niemals wiederkehren. Das ist ein Abschied für immer, auch wenn er schwer fällt.

Spätestens am 31. August ziehe ich ein letztes Mal meine in diesem schrecklichen Altrosa getünchte Tür hinter mir zu, streife zuvor ein letztes Mal durch die Räume, die mir ebenso vertraut sind wie meine Mutter, die ich seit meiner Geburt kenne und in denen nie ein anderer Mensch außer meiner Familie gelebt hat.

Es ist kaum zu glauben, aber wahr: Seit 1959 haben erst meine Großeltern und später dann ich in dem kleinen Haus in der Schwartzkopffstraße gelebt, das 14 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurde, aber den Anschein erweckt, als wäre noch Kriegsschutt als Baumaterial verwendet worden, das heute zwischen den renovierten Altbauten wie ein graues Mäuschen wirkt. Ein Relikt, ein Lückenfüller – aber eben: mein Lückenfüller, mein Zuhause mit dem idyllischen Hof, der Treffpunkt meiner Familie nicht nur bei Geburtstagen und an Feiertagen – und das seit annähernd 60 Jahren.

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Das ulkige Künstlerpaar im Haus der Militärs

Ich kann mir kaum ausmalen, wie glücklich meine Großeltern gewesen sein müssen, als sie Ende der 50er-Jahre eine Wohnung in einem Neubau "zugewiesen" bekommen haben, ein Haus, in dem vor allem DDR-Militärs leben sollten, aus Gründen der sozialen Durchmischung aber eben auch ein Künstlerpärchen mit einziehen durfte. Was muss das damals für ein Luxus gewesen sein: eine neue Wohnung, in einem für damalige Verhältnisse absolut modernen Haus mit neuen Öfen und einem Bad, das nicht auf halber Treppe lag, sondern das Herz der Wohnung bildet.

Ich kann mich nicht an diese Wohnung erinnern, ohne auf mein Leben zurück zu schauen. Darauf, wie ich als kleines Kind verloren in der großen, schweren Badewanne lag und mit einem Frosch spielte, der versuchte, die an einer schnur befestigte Libelle zu fressen – und der mich dabei mit seinen wild herumwackelnden Beinen nass spritzte. Wie ich in dem Bett meiner Großeltern lag und stundenlang fernsah, während sie nebenan den Abend in trauter Zweisamkeit genossen. Wie ich durch die Stadt fuhr, an einer Straßenbahn vorbei, die mich sofort zu meiner Familie gebracht hätte, lagen doch mehrere Endstationen an dieser beinahe letzten Straße vor dem ehemaligen Grenzstreifen.

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Ein Stück Lebensgeschichte in jedem einzelnen Quadratmeter

Es fällt mir schwer dieser Tage, das Erbe zu zerstören, die Wohnung langsam aber sicher in den Originalzustand zurückzuführen und dabei ihren Geist zu entziehen. Gerade noch lag in der Küche das merkwürdige Linolium in Fliesenoptik, das mein Großvater eigenhändig verlegt hatte, bevor die massive Einbauküche geliefert wurde. Zurück bleibt nichts als nackter Boden und vergilbte Wände, die nicht schön sind, aber eben zeigen: Hier wurde gelebt.

Auch meine Straße werde ich irgendwie vermissen. Sie ist wie ein kleines Berlin und hat ebenso wie die Stadt in den letzten Jahren einen radikalen Wandel hingelegt. Noch zu Beginn der 90er-Jahre waren alle Häuser braun, Trabbis zierten die Straße. Heute, spätestens seit dem Bau des Libeskind-Hauses, sieht man nur noch moderne Sportwagen, mitunter Luxuskarossen. Die Straßenbahn fährt schon lange nicht mehr und die Häuser sind heute zwar bunt, aber eben auch unerschwinglich teuer. Die Gentrifizierung lässt grüßen.

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Mach's gut, altes Haus

Mein kleines Haus hingegen ist immer noch das kleine Haus, das einst die Lücke füllte. Doch auch seine Bewohner haben sich verändert. Für mich wurde das Refugium mit dem nostalgischen Charme immer mehr zur Qual, am Ende hielt ich es nicht mehr aus. Die dünnen Wände aus Kriegsschutt halten nicht ihr Versprechen. Und so geht eine Beziehung zu Ende. Zurück bleibt die altrosane Tür, hinter der sich so viel abgespielt hat, was mich für immer bewegen wird. Mach's gut, altes Haus. Ich werde dich vermissen.

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