Videoüberwachung in Berlin: „Jeder Einsatz ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen“

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Zu Beginn dieser Woche erklärte das Berliner Bündnis für mehr Videoüberwachung, die erste Hürde für sein angestrebtes Volksbegehren genommen zu haben. In den vergangenen Tagen und Wochen befürworteten mehr als 20.000 Hauptstädter mit ihrer Unterschrift die vom ehemaligen Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) und dem ehemaligen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) initiierte Gesetzesänderung, die die Videoüberwachung im öffentlichen Raum deutlich ausweiten soll.

Das Bündnis strebt an, die Paragraphen 19a und 24 des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (ASOG) zu reformieren. Im Kern geht es um die breite Ausweitung der Videoüberwachung in der Öffentlichkeit. Hierfür sollen nach ersten Schätzungen 2000 bis 2500 neue Kameras an öffentlichen Plätzen, an und um gefährdete und sensible Gebäude, aber auch auf Volksfesten sowie rund um Fahrradstellplätze installiert werden.

So weit, so gut. Der Initiative geht es aber um noch viel mehr. So sollen Aufnahmen künftig bis zu einem Monat anstatt der bisher üblichen 48 Stunden gespeichert werden. Zudem sollen die Kameras intelligent werden: Im Fall einer gefährlichen Situation soll an Straftäter eine akustische Fernansprache getroffen werden – gemeint ist hiermit der blecherne Satz „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei“, verbunden mit intensiver Beleuchtung des Tatorts, insofern erforderlich. Beides zum Zwecke, die Straftat frühzeitig zu beenden und die Täter in Schach zu halten, bis die realen Einsatzkräfte anrücken.

Kosten in Höhe von rund 80 Millionen Euro

Verantwortlich für die Entwicklung der Kameras, die nach Wunsch des Bündnisses neusten technischen Standards entsprechen müssen, soll das neu zu schaffende Berliner Institut für Kriminalprävention sein, das nebenher auch noch Bürgerbedenken in Sachen Datenschutz aus dem Weg räumen darf. Sollten die Forderungen der Initiative angenommen werden, kommen in fünf Jahren Kosten in Höhe von rund 80 Millionen Euro auf den Steuerzahler zu. Sollte der Senat den Gesetzesentwurf weiterhin ablehnen, gelte es, in vier Monaten 170.000 Unterschriften für einen Volksentscheid zu sammeln.

„Es gibt in dieser Stadt offenbar mehr vernünftige Menschen als verbohrte Politiker“, sagte Buschkowsky, als er gemeinsam mit Heilmann die Öffentlichkeit über das Erreichen der 20.000er-Marke informierte. Doch ist es wirklich vernünftig, den ohnehin schon gläsernen Bürger noch gläserner zu machen? Zwar entkräftet die Initiative den Vorwurf, Berlin mit Kameras pflastern zu wollen, schließlich gäbe es bereits 14.765 Kameras in der Hauptstadt, zugleich bleibt ein mulmige Gefühl, zumal nicht nur das Land aufrüstet, sondern auch der Bund die Sicherheit in der Hauptstadt ausbauen will. Zuletzt wurde am Bahnhof Südkreuz mit Technik zur Gesichtserkennung experimentiert.

Wer garantiert uns, dass die Daten sicher sind?

Als unbescholtener Bürger sollte man zunächst keine Angst vor Kameras haben. Wieso auch? Sie können uns ja nichts anhaben. Aber das ist doch nur die halbe Wahrheit. Wer versichert uns denn, dass die Daten wirklich sicher sind, etwa vor Hackerangriffen. Zwar gilt die Maxime: „Jeder Einsatz ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen“. Doch wer sagt, was verhältnismäßig ist?

Hohe Wartungskosten, wenig Nutzen: In Großbritannien haben sich die Millionen Kameras, die ab den 90er-Jahren installiert wurden, nicht bezahlt gemacht © Pixabay

Ein Blick Richtung Großbritannien, dem Mekka aller Sicherheitsfanatiker, offenbart weitere Probleme. In dem Land, in dem ab den 90er-Jahren Millionen Kameras installiert wurden, beklagen nicht wenige Gemeinde, dass der Nutzen der Kameras in keinem Verhältnis zum Aufwand steht. Die teuren Geräte sind wartungsintensiv. Zudem fehlt es oft an geeignetem Personal, dass die Bilder auswerten könnte, und zwar dann, wenn es nicht um schwere Straftaten, terroristische Anschläge oder ausartende Demonstrationszüge geht, an dessen Teilnehmern ein Exempel statuiert werden soll.

Darüber hinaus bleiben verfassungsrechtliche Zweifel. Ein von der Linkspartei in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu dem Schluss, dass der Gesetzesentwurf rechtsstaatliche Prinzipien verletze. Einem Vorwurf, dem die Initiatoren entschieden widersprechen, der am Ende aber wohl von den Gerichten geklärt werden muss.

Bliebe noch das Argument, mit mehr Kameras ließen sich Straftaten im Vorfeld verhindern. In einer vom Deutschlandfunk veröffentlichten Artikel fragt die konservative englische Gemeinderätin Jackie Branson: „Gibt es durch Videoüberwachung wirklich weniger kriminelles oder antisoziales Verhalten? Schwer zu sagen. Bei uns waren die Kameras jedenfalls nicht besonders hilfreich für Festnahmen.“ Ähnliches lässt sich auch für Berlin erwarten. Oder glaubt wirklich jemand, dass Fahrraddiebe künftig durch die aufwendige Auswertung von Kamerabildern gefasst werden?

Die Initiatoren setzen auf das Angstgefühl der Bürger, nicht auf die Vernunft. Denn die stünde diesem Vorhaben entschieden kritischer gegenüber.

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