Saufen und Feiern, aber bitte gesittet – Wer geht heute eigentlich noch aufs Myfest?
Alle Jahre wieder das gleiche Schauspiel: Die Polizei rüstet sich schon Tage im Voraus für ein intensives Katz-und-Maus-Spiel, die Autonomen streuen auf den einschlägig bekannten Internet-Foren brotkrumenartig ihre Taktik für Krawall und Remmidemmi, in der Hoffnung die Staatsmacht austricksen zu können, und alle Partywilligen fiebern dem Myfest entgegen, das Kreuzberg in eine kunterbunte Partymeile mit Grillständen und Musikbühnen verwandelt und dieses gewisse Freiheitsgefühl aufkommen lässt, das eben nur Berlin bieten kann.
Das Myfest feiert in diesem Jahr sein 16-jähriges Bestehen. Gegründet wurde es, um den Bezirk, in dem es seit den 80er-Jahren zu radikalen und gewalttätigen Ausschreitungen kam, zu befrieden. Volksfeststimmung statt Steineschmeißerei. Das Konzept ging voll auf und alle schienen glücklich – die Anwohner, die mitmischen durften, die Berliner, denen ein leidenschaftliches Programm mit Kiezcharme geboten wurde, die Polizisten, deren schlaflose und angsterfüllte Nächte nicht mehr ganz so albtraumgeplagt waren.
Bier floss, Joints drehten ihre Runde, dazu etwas Köfte und auch mal – ich gebe es zu – ein Mojito.
Viele Jahre war ich selbst als Gast auf dem Myfest, traf mich dort mit Freunden, genoss die Musik und die gute Stimmung. Das Bier floss, Joints drehten ihre Runde, dazu hausgemachte Köfte einer sympathischen türkischen Familie und manchmal – ich gebe es zu – kaufte ich mir auch einen Mojito, dessen Grundzutaten seit Stunden in Plastikbechern vor sich hin gammelten, ehe der sonnengebräunte Sud mit viel zu warmen Soda aufgegossen wurde. Der Schwips war trotz geschmacklicher Verirrung garantiert und so machte man in den Görli rüber, um zu tanzen, zu feiern oder einfach nur das Leben zu genießen.
Schon in den vergangenen Jahren zeichnete sich ab, dass die Stimmung kippen könnte. Immer mehr Menschen strömten nach Kreuzberg und lösten das Gefühl der konsumierenden Sardine in der Büchse aus, die langsam von der Oranien- in die Adalbertstraße geschoben wurde, um über x-Ecken am Heinrichplatz zu landen – nur wenige hundert Meter vom Startpunkt entfernt, aber gefühlt Stunden später. Die Bühnen wurden zusehends kommerzialisiert, elektronische Musik mit viel hartem Bass wummerte auf einmal an jeder Ecke und überlagerte sich so heftig, dass man gar nicht mehr wusste, welcher Takt gerade den Körper durchschüttelt. Pfiffige Menschen kamen auf die Idee, Leitern umherzutragen, die Instagram-Süchtige gegen einige Euro für einen Schnappschuss besteigen durften und der Mojito-Preis stieg wie die Temperaturen im Frühling, ohne dass die Fertigmischen auch nur einen Deut besser wurden.
Und auch die türkischen Familien, die früher noch freudestrahlend Köfte über den Grill reichten, witterten auf einmal das große Geschäft und zogen plötzlich mit großem Geschütz auf, warben penetrant um Laufkundschaft, in der Hoffnung an einem Tag die Jahresmiete ihrer mittlerweile viel zu teuren Altbauwohnung reinzubekommen, während im Hof des gleichen Gebäudes Dutzende pinkelnde Männer nebeneinander die Mojitoreste abließen.
Das Myfest verlor zusehends seinen Charme, immer weniger Freunde interessierten sich, am Ende kam kaum noch einer. Auch die vor zwei Jahren radikal durchgezogene Schrumpfkur und die Rückkehr zu politischen Inhalten änderte daran nichts. Der Rummelcharakter war bereits in den Köpfen der Menschen fest verankert. Die vergangenen beiden Jahre zeigten, dass das Ruder nicht mehr so leicht herumzureißen ist.
Feiern wie die Sardinen in der Büchse
"So sicher war der Görli noch nie", titelte die BZ. "So langweilig war der Görli noch nie", müsste die Zeile eigentlich lauten.
Stattdessen wurde andernorts gefeiert, auf Open Airs in der ganzen Stadt oder, was näher lag, im Görlitzer Park, frei von Restriktion und herzloser Touristenbespaßung. Doch auch damit ist jetzt Schluss. Mit dem "Mai Görli" zog ein neues Konzept in den Park, das sich als cool verkaufen wollte, aber nichts weiter als blumig verpackte Restriktion war. Frei nach dem Motto: Saufen und Feiern dürft ihr, aber bitte gesittet und nicht so lange. Dafür bekommt ihr auch Musik. "Deal?" – "Deal?", kann man da nur entgeistert fragen, gerade auch angesichts des pauschalen Flaschenverbots und der Sperrstunde ab 23 Uhr. "So sicher war der Görli noch nie", titelte die BZ noch im letzten Jahr. "So langweilig war der Görli noch nie", hätte die Zeile eigentlich lauten müssen. Wer geht heute eigentlich noch aufs Myfest, wenn nicht mal der Park als Rückzugsgebiet zur Verfügung steht? In diesem Jahr soll der Görlitzer Park sogar ganz von Party verschont werden und wurde kurzerhand zur Sperrzone erklärt.
Und so kommt es, wie es kommen muss: Das Myfest macht sich endgültig überflüssig. Ich zumindest werde nicht mehr nach Kreuzberg pilgern. Das Myfest ist schon lange nicht mehr meins.
Max Müller