Parents with Benefits – Ist dein Kind auch nur ein Accesoire?

© Clint Lukas

Die Kolumne "Cool trotz Kind" ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge berichtet er von einem merkwürdigen Phänomen...

Kann man cool bleiben, auch wenn man ein Kind hat? Klar, kommt ganz auf die Tagesverfassung an. Ich war zum Beispiel letztes Wochenende mit meiner Tochter in Venedig. Just the two of us. Und es hat wunderbar funktioniert. Ein bisschen Programm für mich, ein bisschen Programm für sie. Zuerst sind wir in die Gloriosa-Kirche gegangen, weil ich Tizians Grab und seine Assunta sehen wollte. Danach an den Lido-Strand, damit das Kind buddeln kann. Abends auf dem Stephansplatz hat sie mit anderen Touri-Kindern gespielt, ich hab zugeschaut und mir ein paar Gläschen Pernod eingeflößt.

Auf die Art sind wir beide auf unsere Kosten gekommen. Gleichzeitig war es natürlich anstrengend, mehr als 72 Stunden ununterbrochen aufeinander zu hocken. Egal, wie lieb meine Tochter ist, manchmal bin ich trotzdem ganz gern allein. Und wenn das nicht möglich ist, stellt sich irgendwann eine ebenso unfaire, wie unvermeidliche Genervtheit ein.

Egal, wie lieb meine Tochter ist, manchmal bin ich trotzdem ganz gern allein.

Zum Beispiel dann, wenn mein Kind stolpert. Andauernd haut sie sich irgendwo auf die Erde. Großes Drama und Tränen. Bevor man weiter gehen kann, muss erstmal hingebungsvoll getröstet werden. Nur damit sie kurz danach schon wieder die Straße küsst. Und das, obwohl weit und breit keine Kante oder Unebenheit zu sehen ist. Ich frag mich dann immer, wie macht sie das eigentlich? Als ob ein Auto sich aus dem Stand überschlägt. Bemerkenswert.

Auf einer unbekannten Insel in Thailand... mit einem Berliner

Aber in dieser Kolumne geht es nur am Rande um Kinder. Im Fokus stehen die Eltern. Und ich hab mal wieder eine Entdeckung gemacht, die ich euch unmöglich vorenthalten kann. Anfang des Jahres war ich in Thailand. Auf einer relativ unbekannten Insel. Kaum Infrastruktur, kein WLAN, nur zwei Stunden Strom am Tag. Am ersten Abend sitze ich in einer primitiven Bar mitten im Dschungel. Fühle mich wie Colonel Kurtz im Herzen der Finsternis. Das Ende aller Dinge. Und wer kommt plötzlich angewackelt, zwischen Mangroven und Kautschukbäumen? Ein Bekannter aus Berlin.

Er ist Schauspieler und hat schon leicht einen im Tee. Genau wie ich. Erzählt mir, dass er jedes Jahr her kommt. Seine Frau und seine zwei Kinder sind auch dabei. Sowie die phillippinische Nanny. Er gibt sich an diesem Abend ziemlich die Kante. Seine Familie schläft derweil im Bungalow.

Die Familie stört nur beim Saufen

Als ich am nächsten Morgen am Strand entlang laufe, sehe ich ihn schon wieder dort sitzen. Auch diesmal ist seine Familie nicht bei ihm. Stattdessen trinkt er mit einem Kumpel das erste Bier gegen den Kater. Ja nun, denke ich, eine gute Idee. Suche mir jedoch einen anderen Ort, weil ich für mich sein will.

Von dem Platz, den ich mir aussuche, habe ich einen Blick über den gesamten Strand. Ich beobachte eine Frau und zwei Kinder, die zusammen im Sand spielen, und denke mir meinen Teil. Nach einer Weile drängt sich mir ein Geräusch ins Bewusstsein. Ich kann es zuerst nicht zuordnen, fühle mich von seiner penetranten Wiederkehr aber belästigt. Irgendwann wird mir klar, dass es die Rufe meines Schauspieler-Bekannten sind.

Er nähert sich gemächlich vom anderen Ende der Bucht und ruft dabei fortwährend nach seinen Kindern. Die sind derweil völlig in ihre Sandburg vertieft, kriegen nichts davon mit. Erst als er auf hundert Meter heran ist, springt sein zweijähriger Sohn auf und rennt ihm entgegen. Eine wunderschön anzusehende Szene. Die Silhouetten von Papa und Kind bewegen sich vor dem paradiesischen Panorama aufeinander zu und fallen sich in Zeitlupe in die Arme.

Als ob man für nicht vorhandene Paparazzi ein Familienidyll inszeniert

Mein Bekannter begrüßt daraufhin auch seine Tochter, wechselt ein paar Worte mit seiner Frau. Die Kinder springen um ihn herum, wollen ihn zu ihrer Sandburg ziehen. Doch er küsst sie kurz darauf zum Abschied und geht dann in die andere Richtung davon, vermutlich zum nächsten Besäufnis.

Ich bin selbst kein Kind von Traurigkeit. Ich habe vier Jahre lang in einem sehr engen Mama-Papa-Kind-Modus gelebt und weiß daher, dass man manchmal lieber ins Wirtshaus geht, als mit seinen Kindern zu spielen. Gerade im Urlaub. Aber warum muss mein Bekannter sie dann so aufscheuchen? Sie haben friedlich gespielt. Und waren bestimmt nicht traurig, dass ihr Papa nicht da ist. Bis er mit einem Paukenschlag aufkreuzen muss, zwei Minuten lang für nicht vorhandene Paparazzi ein Familienidyll inszeniert, um dann wieder abzurauschen und die Kinder mit der Mutter allein zu lassen.

Wenn er sich besaufen will, sollte er auch die Eier haben, es einfach zu tun.

Wie gesagt, ich kann ihn verstehen. Aber wenn er sich besaufen will, sollte er auch die Eier haben, es einfach zu tun. Und dann zu seiner Familie gehen, wenn er damit fertig ist. Nur der reine Eigennutz hat ihn dazu gebracht, seinen Sohn zu rufen. Klar, leuchtende Kinderaugen sind schön. Aber von dieser Freude zu profitieren, dann aber keinen Bock zu haben, sich wenigstens eine halbe Stunde mit dem Kind zu beschäftigen, riecht mir nach offener Beziehung. Das ist eine beschissene Parents-with-Benefits-Nummer.

Eine beschissene Parents-with-Benefits-Nummer

Ich weiß, ich sitze im Glashaus. Immerhin war ich ohne meine Tochter in Thailand. Aber dafür bin ich dann mit ihr nach Venedig gefahren. Und nur mit ihr. Denn wenn sie bei mir ist, soll sie im Mittelpunkt stehen. Sie ist kein Accesoire, mit dem ich mich schmücke, um als möglichst vielseitige Persönlichkeit dazustehen. Meine Tochter ist der wichtigste Mensch in meinem Leben. Und das zeige ich ihr. Nicht nur, wenn mir mal kurz danach ist. Sondern in jedem beschissenen Augenblick.

Sie ist kein Accesoire, mit dem ich mich schmücke, um als möglichst vielseitige Persönlichkeit dazustehen.
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