Konzentrationsschwäche? Dann schreib' doch mal wieder eine Hausarbeit

© Kinga Cichewicz | Unsplash

Es ist Ende des Semesters und ich muss drei Hausarbeiten schreiben. Insgesamt 38 Seiten über drei Themen. Bevor ich mich in meinen Bücherhaufen vergrabe, muss ich mich aber in die Themen einlesen. Ouh, wer hat mir denn da geschrieben? Das ist aber ein tolles neues Bild. Like! Da ist gerade Sale? Ich guck nur mal kurz! 30 Minuten später schließe ich frustriert alle Tabs und blicke erneut auf den Artikel, den ich eigentlich lesen wollte. Noch keine Markierung und keinen Absatz weiter als vorher. Toll!

Konzentration ist für mich dieser Tage fast schon ein Fremdwort, ein Buch zu lesen eine Herausforderung und eine Hausarbeit eine echte Meisterleistung in Sachen Fokus! Nicht nur mir scheint es so zu gehen, auch viele Kommilitonen und Kollegen in meinem Umfeld springen von Artikel zu Post, von Post zu Bild und von Bild zu Story, um ja genug von dieser Welt einzufangen. Was wir dabei verlernt haben: einem Thema richtig Aufmerksamkeit zu schenken, etwas wirklich einzusaugen.

Oh, ein Vögelch...

Jeden Tag erleben, sehen und machen wir so viel, dass es mittlerweile für viele schwer ist, die Konzentration auf eine Sache zu lenken. Die Digitalisierung unseres Lebens erleichtert die Sache dabei nicht. Angebote im Internet machen es möglich, dass ich mich rund um die Uhr mit immer neuen Dingen unterhalten und beschäftigen kann. Sogar Artikel sind heute darauf ausgelegt, mich innerhalb von wenigen Sekunden zum Weiterlesen anzuregen. Laut einer aktuellen Studie hat sich von 2000 bis 2017 unsere allgemeine Aufmerksamkeitsspanne von 12 Sekunden auf 8 Sekunden minimiert. Viele sagen, wir hätten damit eine geringere Aufmerksamkeitsspanne als ein Goldfisch. Wissenschaftlich ist allerdings nicht nachgewiesen, dass Goldfische und Fische im Allgemeinen sich nur geringe Zeit konzentrieren können. Die Redensart hat sich also nur eingebürgert, dass wir uns heutzutage so schnell ablenken lassen, ist dennoch nicht weniger traurig.

Wann hab ich eigentlich das letzte mal einen Roman gelesen? Zumindest sollte ich mal kurz posten, dass ich gerade ganz konzentriert ein Buch lese!

Wann hab ich eigentlich das letzte mal einen Roman gelesen? Kann ich das noch ohne zwischendurch auf mein Handy zu gucken und meine Instagram Stories zu aktualisieren? Zumindest sollte ich mal kurz posten, dass ich gerade ganz konzentriert ein Buch lese! Im Alltag springe ich von einer Aufgabe zur nächsten und im Instagram Feed gibt es immer wieder etwas Neues. Dabei scheint die Hausarbeit die einzige Sache zu sein, auf die ich mich wirklich mal lange konzentrieren kann – und ja auch muss.

Lest, schreibt und konzentriert euch mit einer Hausarbeit

Zu Beginn springe ich meist von einem Thema zum anderen. Wenn ich schließlich eine Fragestellung gefunden habe, komme ich mit mehr und mehr Recherche aber an den Punkt, endlich zu schreiben. Dann geht es los, ich bin wie besessen von meinem Thema. Vor einigen Semestern habe ich eine Hausarbeit über Zwangssterilisationen bei Frauen im aufstrebenden Amerika des 19. Jahrhunderts geschrieben. Ein grausames Thema. Doch je mehr ich gelesen und herausgefunden habe, desto spannender wurde es. Fast traurig bin ich dann über den Moment, an dem ich die Hausarbeit abgeben muss – denn das Gefühl, mich auf etwas absolut zu fokussieren, schenkt mir immer eine wahnsinnige Befriedigung und Bestätigung.

Bis zu diesem Punkt kämpfe ich aber gegen alle äußeren Einflüsse. Ich muss mein Handy im Schließfach der Bibliothek einschließen, um nicht stundenlang auf sämtlichen Plattformen zu verbringen und der Ablenkung nicht doch nachzugeben. Dabei bekomme ich regelrecht Entzugserscheinungen. Zuhause putze ich wie viele andere die komplette Wohnung, weil das dann plötzlich viel mehr Spaß macht als sonst. Noch ein Grund mehr für die Bibliothek. Am Ende ist es bei mir wohl eine Mischung aus wirklichem Interesse an einem Thema und der richtigen Umgebung, die die Basis für eine langfristige Konzentration schafft.

Das Gefühl, mich auf etwas absolut zu fokussieren, schenkt mir immer eine wahnsinnige Befriedigung und Bestätigung.

Der Satz “Zeit ist Geld” gilt heute mehr als je zuvor. Immer und überall geht es um Optimierung. Wie schaffe ich in weniger Zeit mehr Zeug. Ob die Ursprünge in der Industrialisierung, in den Wirtschaftswundern des 20. Jahrhunderts oder in den Anfängen der Digitalisierung liegen – am Ende ist das Streben nach Effizienz und Leistung der Antrieb für den heutigen Hustle. Dabei birgt Konzentration viele Vorteile. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit länger auf ein bestimmtes Thema richten, wachsen unsere Gehirnzellen merklich. Neue Verbindungen entstehen und Verknüpfungen werden geschaffen.

Zeit für mehr Fokus und für weniger Gewusel in unseren Köpfen sollten wir uns also alle mal nehmen. Bei der nächsten Konzentrationsschwäche könnt ihr ja mal eine kleine “Hausarbeit” schreiben. Lest euch in ein Thema eurer Wahl so richtig ein. Seien es Korallenriffe, Steine in Kanada oder die Entdeckung des Spiegels – lest, schreibt und konzentriert euch. Das Gute: Ihr werdet am Ende nicht benotet.

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