Ihr sucht einen Kita-Platz? Seid froh, wenn ihr keinen habt!

© Rike Schäfer

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge erklärt er allen Unbedarften, was sie in der Kita erwartet.

Jeder kennt das Problem. Wenn man in Berlin mit dem Gedanken spielt, ein Kind in die Welt zu setzen, taucht es augenblicklich am Horizont auf: Kita-Platz. Es ist beinahe unmöglich einen zu kriegen. Und wenn, dann mit so langer Vorlaufzeit, dass es einem die Sprache verschlägt. Am besten, ihr kümmert euch gleich darum. JETZT!

Ihr habt noch gar keinen Partner? Ihr habt zwar einen, aber wisst noch nicht, ob ihr überhaupt Kinder wollt? Scheißegal. Besorgt euch trotzdem besser gleich einen Kita-Platz. Alles andere stellt sich dann schon von selbst ein. Ich mein’s ernst. Es gibt so viele Paare, die nur deshalb kein Kind zeugen, weil sie an dieser Mammutaufgabe zu zerbrechen drohen.

Ihr habt noch keinen Partner? Scheißegal. Besorgt euch trotzdem schon mal einen Kita-Platz.

Aber Vorsicht. Hier kommt die eigentliche Warnung. Eine Tücke, die man in seiner Panik leicht übersehen kann: Wenn ihr es trotz mangelnder Infrastruktur schafft, einen Kita-Platz zu kriegen, dann HABT ihr einen Kita-Platz. Dann müsst ihr da jeden Tag hin. Sobald euer Kind alt genug ist. Tag für Tag begegnet ihr dann den Erziehern, den anderen Kindern, den anderen ELTERN. Und vielleicht werdet ihr euch dann fragen: WARUM zur Hölle wollte ich eigentlich einen Kita-Platz?

Meine Tochter geht seit einem guten Jahr in eine integrative Kita im Wedding. Die öffnet jeden Morgen um halb acht. Genau wie die Methadon-Ausgabestelle im Haus nebenan. Ich muss mir immer erstmal einen Weg durch die Junkies bahnen. Grüße hier und da Nachbarn und alte Bekannte. Gebe meine Tochter danach in ihrer Gruppe ab, wo sie eines von nur drei deutschen Kindern ist. Alles in allem also ein angenehm normales Berliner Umfeld.

Berlin ist, wenn die Kita direkt neben der Methadon-Ausgabestelle liegt

Doch wenn ich schreibe, eins von drei deutschen Kindern, wittern geneigte Leser vielleicht das Dilemma. Denn das bedeutet, dass es noch ZWEI deutsche Elternpaare gibt. Und genau da gehen die Probleme los. Von den türkischen Muttis werde ich auf angenehme und höfliche Weise ignoriert. Die haben nämlich genug mit ihrem eigenen Leben zu tun und müssen mich deshalb nicht andauernd vollsabbeln.

Die Erzieherinnen, naja. Ich hab selten so einen verhuschten Haufen erlebt. Vor ihrer Arbeit kann man nur Respekt haben. Die möchte ich wirklich nicht machen müssen. Allerdings kommt es mir so vor, als ob sie neben ihrer Engelsgeduld, neben ihren Erziehungskünsten SÄMTLICHE anderen Fähigkeiten im Leben eingebüßt haben. Neulich ist zum Beispiel die Lampe im Garderobenraum durchgebrannt. Als es drei Tage später immer noch finster war, hab ich gefragt, ob ich nicht mal die Birne wechseln soll. Da schauen sie mich an wie den vom Himmel herabgestiegenen Heiland.

„Oh, echt? Würdest du das machen?“

„Klar, ich besorg nur schnell Glühbirnen.“

„Nein, nein! Haben wir alles hier. Und da ist die Leiter.“

An dieser Stelle hätte ich früher gefragt: Ihr habt eine neue Glühbirne? Ihr habt eine Leiter? Wo ist das Problem? Aber so sind sie eben. Dann stehen sie händeringend in einer Reihe, beobachten atemlos, wie ich zur Decke steige und unergründliche Zauberdinge vollbringe. Ist ja auch irgendwie süß. Außerdem bin ich für sie danach ein Held und werde mit anderen anfallenden Aufgaben in Ruhe gelassen.

Es kommt mir so vor, als ob die Erzieherinnen neben ihren Erziehungskünsten SÄMTLICHE anderen Fähigkeiten im Leben eingebüßt haben.

Soweit so gut. Wenn da nicht die deutschen Eltern wären. Ehrlich gesagt, war das der Punkt, vor dem ich mich am meisten gefürchtet habe, als ich Vater wurde. Wie gehe ich mit denen um? Ist ja nicht so, dass man vor ihnen fliehen kann wie auf dem Spielplatz. Man läuft sich zwangsläufig jeden Tag über den Weg. Am Anfang haben sie sich noch ganz unauffällig verhalten. Aber ich wusste, die warten nur auf ihre Gelegenheit.

Ich finde es eh schon schwierig, meine Tochter abzuholen. Der Lärm, die Hektik. Alle Kinder reden gleichzeitig auf mich ein, während ich vergeblich versuche, meiner Tochter die Schuhe zu binden. Innerhalb weniger Augenblicke bin ich nass geschwitzt, weil sämtliche Heizkörper auf Hochtouren laufen. Und dann bohrt sich diese näselnde, winselnde Stimme durch das Chaos direkt in mein Ohr.

„Heiiiii! Na, wie geht’s? Macht eure Kleine auch so ein Theater, wenn ihr sie morgens her bringt? Ich hab übrigens noch ’ne Hose für euch, da ist der Möbius grade rausgewachsen, aber eurer Süßen müsste sie genau passen. Und ich hab gesehen, dass ihr in der gleichen Straße wohnt wie wir. Sollen wir nicht mal zusammen auf den Spielplatz gehen, damit die Zwerge sich austoben können?“

Die Hölle, das sind die anderen Eltern

Mit unverbindlichen Zusagen kann man sich irgendwie aus dieser misslichen Lage heraus winden. Zusagen freilich, die man niemals einhält. Allerdings, und das ist das Blöde, gesellt sich zu der Stimme dann mit der Zeit ein gekränkter, enttäuschter Blick. Dem man fortan entweder ausweichen oder standhalten muss. Täglich.

Da frag ich mich, warum müssen wir denn befreundet sein? Nur weil wir zufällig beide Kinder haben? Ich geh doch auch nicht mit jedem Bartträger ein Bier trinken, nur weil ich selbst einen Bart habe. Ist doch wohl genug, dass ich höflich zu ihnen bin. Ich finde, da beweise ich schon eine bewundernswerte Kompromissbereitschaft.

Letztes Wochenende, um das mal zu verdeutlichen, hab ich mit einem anderen „Papa von“ IKEA-Schränke zusammengebaut. Die Kita ist nämlich umgezogen und als vorbildlicher Elternvertreter bot ich ohne Umschweife meine Hilfe an. Jeder kennt diese IKEA-Baupläne. Man muss sich halt kurz darauf konzentrieren, dann läuft die Sache schon irgendwie. Das geht natürlich nicht, wenn jemand anderes sich eifersüchtig über den Plan beugt.

„O-kee. Also, dass ich das jetzt verstehen würde, kann ich noch nicht wirklich behaupten.“

„Darf ich mal kurz?“, frag ich geduldig.

„Warte, warte, ich hab’s gleich. Ach, Mensch! NA, KLAR. Nachdenken hilft manchmal. Moment, nee. Das passt nicht. Da fehlt doch ein Teil.“

Augenblicklich stürzen die Erzieherinnen dazu:

„Was? Was fehlt? Das kann nicht sein. Die Sachen wurden genau so geliefert!“

Ich fang derweil schon mal an, die Teile zusammenzubauen. Werde jedoch prompt vom anderen Papa gerügt:

„Nein, nein, das müssen wir alles genau nach Plan machen. Du bist ja schon bei Schritt drei!“

Normalerweise wären seine Überlebenschancen in diesem Moment gen null gesunken. Aber ich reiß mich zusammen. Lächle wie ein dusseliger Buddha und stehe es durch. Schließlich will ich in der Kita nicht als Grobian dastehen. Reicht ja bereits, dass ich dauernd mit Fahne dort auftauche. Doch es gehört schon eine enorme Willenskraft dazu, angesichts des Wahnsinns anderer Eltern nicht zu verzweifeln.

Deshalb merkt euch: Es reicht nicht, dafür zu beten, dass ihr einen Kita-Platz kriegt. Ihr müsst auch die menschliche Größe besitzen, ihn zu ertragen.

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