Kita-Versammlungen sind das Guantánamo des kleinen Mannes

© Rike Schäfer

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. In dieser Folge lichten sich die Nebelschwaden und enthüllen das Grauen...

Kann man cool bleiben, auch wenn man ein Kind hat? Ich will mal so sagen: Die größte Herausforderung ist meistens nicht meine Tochter. Sie ist nämlich selbst ziemlich cool. Und lustig. Als uns am Sonntag in der S-Bahn ein Deutschland-Prolet vor die Füße gekotzt hat, ist sie keinen Zentimeter zurück gewichen.

„Der hat bestimmt zuviel Bier getrunken, oder, Papa?“
„Ja, oder zu scharf gegessen. Mexikanisch vielleicht.“
„Aber man bricht nicht einfach so in die S-Bahn. Das macht man zuhause, oder?“
„Manche schaffen’s halt nicht so weit.“
„Dann darf er nicht soviel trinken.

Die größte Herausforderung ist nicht meine Tochter

Es fühlt sich manchmal so an, als wäre ich mit einer guten, wenngleich etwas altklugen Freundin unterwegs. Dabei ist sie noch nicht mal vier. Ich muss auch unsere gemeinsamen Tage überhaupt nicht mehr planen. Das macht sie alles allein.

„Papa, holst du mich heute um drei aus der Kita ab? Dann können wir in den Zoo und Pommes essen und die Ziegen füttern und Eis essen und dann zuhause Elsa gucken.“
„Aber nur einmal.“
„Nein, zweimal.“
„Spinnst du? Einmal reicht ja wohl völlig!“
„Wir schauen mal, okay?“

Es fühlt sich manchmal so an, als wäre ich mit einer guten, wenngleich etwas altklugen Freundin unterwegs.

Was ich damit sagen will: Mit meiner Tochter kann man reden. Sich auf Augenhöhe mit ihr auseinander setzen. Bisweilen auch mal genervt sein, wenn sie es wieder zu weit treibt. Aber das Ausmaß an Fremdbestimmung ist minimal. Was mich dagegen heute noch an den Rand des Nervenzusammenbruchs bringt, sind die Begleiterscheinungen des Elterndaseins.

Ich werde mich zum Beispiel nie an die Distanzlosigkeit anderer Eltern gewöhnen, der man fortwährend ausgesetzt ist. Wenn ich allein auf irgendeiner Parkbank rumhänge, kommen nur Motzverkäufer oder Zeugen Jehovas auf die Idee, mich anzuquatschen. Alle anderen scheinen irgendwie zu begreifen, dass ich gerade bewusst die Einsamkeit suche. Und vor allem mit niemandem reden will.

Eltern haben kein Recht auf Privatsphäre

Dieses Recht auf Privatsphäre gilt jedoch nicht für Eltern. Es besteht offenbar ein kollektiver Konsens darüber, dass man sich jederzeit zu ihnen setzen darf, um den Austausch zu suchen. Dabei könnte es so schön sein. Meine Tochter spielt einträchtig im Buddelkasten oder jagt Tauben über den Asphalt, während ich in der Nähe sitze und ihr zuschaue. Doch innerhalb kürzester Zeit regen sich Schemen in meinen Augenwinkeln.

„Ist hier noch frei? Ich versteh ja nicht, warum es auf den Spielplätzen immer so wenige Bänke gibt. Und hast du 'ne Ahnung, warum die Wasserfontänen heute nicht an sind? Gab doch keine Unwetterwarnung, oder? Kolja, hör auf, das Mädchen mit dem Stock zu hauen! KOLJA! Sorry, kannst du mal kurz meinen Obstsalat halten, der Kolja ist heute sowas von ANSTRENGEND. Liegt bestimmt an dieser Schwüle.“

Das Grauen lauert in der Kita

Es ist, als wäre ein Kind eine Erbsünde, für die man bis in alle Zeiten bluten muss. Oder ein Statement, dass man am gesellschaftlichen Leben teilnehmen will. Ich käme von mir aus nie auf die Idee, mich mit anderen Eltern und neurotischen Erzieherinnen auf winzigen Stühlen im Kreis anzuordnen. Aber weil ich die Unverfrorenheit besessen habe, Vater zu werden, bin ich dazu verpflichtet.

Dieses archaische Ritual nennt sich dann „Elternversammlung“. Man kauert verkrümmt auf albernen Kindermöbeln, die Thrombosen tanzen in den Kniescheiben Pogo. Der Schweiß läuft einem in Strömen, weil die Kita IMMER überheizt und Lüften offensichtlich verboten ist. Eine Erzieherin liest von einer mit Filzstift handgeschriebenen Agenda ab. Und verstellt dabei ihre Stimme, als hätte sie Helium geschluckt.

Man kauert verkrümmt auf albernen Kindermöbeln, die Thrombosen tanzen in den Kniescheiben Pogo.

„Nur eine kleine Sache noch… danach können die Eltern gehen, die davon nicht betroffen sind…“ So wird jeder neue Themenblock begonnen, doch keines der anwesenden Elternteile nimmt diese Worte zum Anlass, erleichtert aufzuatmen. Wir wissen, dass es nur ein mieser Trick ist. Die Waffe, die uns zu Füßen geworfen wird, damit wir uns den Weg freischießen können. Aber im Unterholz warten längst sämtliche Heckenschützen der Hölle, um uns beim ersten Zucken über den Haufen zu ballern.

Kita-Versammlungen sind wie eine kollektive Strafe. Ein Guantanamo des kleinen Mannes. Ein Beckett’scher Alptraum, dessen Sinnlosigkeit sich alle Anwesenden bewusst sind. Aber es gibt dagegen kein Mittel. Ironischerweise sind sie sogar irgendwann vorbei. Aber immer erst dann, wenn ein wichtiger Teil meiner Seele für immer verloren ist.

Erschöpft kehre ich danach zu meiner Tochter zurück. Sie merkt, dass etwas in mir zerbrochen ist und tröstet mich fürsorglich. In ihrer kindlichen Unschuld versteht sie noch nicht, welche Schrecken dort draußen lauern. Und wie hoch der Preis ist, den Eltern für ihre Kinder zahlen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie es niemals erfahren muss.

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