Kinder haben in der U-Bahn nichts zu suchen

© Rike Schäfer

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge erhaltet ihr nützliche Überlebenstipps für die öffentlichen Verkehrsmittel.

„Kuckuck! Schau mal hierher, Mäuschen. Kuckuck! Hier bin ich! Na, wer ist denn da? Mäuschen. MÄUSCHEN!“

Meine Tochter war noch kein Jahr alt, als sie zum ersten Mal etwas Derartiges vernahm. Die Worte blubberten aus einer nicht näher zu bezeichnenden Verwandten heraus. Und selbst damals glaubte ich bereits eine hochgezogene Augenbraue bei meinem Kind zu bemerken. Nur ein kurzer Blick, der zu besagen schien: WTF?

Hase, Zwerg, Augenstern. Man kann seinem Kind schon beschissene Kosenamen geben. Darf ja jeder handhaben, wie er will. Aber doch bitte nicht in der Öffentlichkeit! Ich will nicht wissen, wie zuckersüß und kuschelig-flauschig es in manchen Haushalten zugeht. Das ist so, als ob ich in ein fremdes Badezimmer gestoßen werde, nachdem dort gerade jemand geduscht hat. Viel zu intim.

Man kann seinem Kind schon beschissene Kosenamen geben

Wie komme ich jetzt darauf? Das will ich euch sagen. Ich bin gestern mal wieder mit meiner Tochter U-Bahn gefahren. Und es hat nach dem Einsteigen keine fünf Sekunden gedauert, da wurden wir von der Seite angequatscht.

„Wie alt ist der Zwerg?“

„Wie bitte?“

„Na, die Kleine? Wie alt?“

Was soll der Scheiß? Ich stelle mich doch auch nicht neben ein Ehepaar und frage: „Wie alt ist denn die Gattin? Na, die da an Ihrem Arm.“ Die würden mir aber schön was husten. Und nicht zu Unrecht! Was geht es einen fremden Mann an, wie alt mein Kind ist? Einen fremden, 1,53 Meter-großen Mann? Wer ist hier bitte ein Zwerg?

Ich stelle mich doch auch nicht neben ein Ehepaar und frage: Wie alt ist denn die Gattin?

Zugegeben, dieses Phänomen begegnet mir nicht nur in der U-Bahn. Aber doch mit Abstand am häufigsten. Schon als meine Tochter ein Baby war und ich sie im Tragetuch durch die Widrigkeiten manövriert habe, die U8 und U1 bereithalten, musste ich auf der Hut sein. Rar gesät waren die Tage, an denen KEIN penetrantes Menschenwesen seinen tropfenden Zinken in den Spalt zwischen meiner Brust und dem Kind gesteckt hat. Da blieb eigentlich nur die Möglichkeit, sich in irgendeine Ecke zu pressen und den wehrlosen Nachwuchs mit dem Rücken gegen die Wahnsinnigen abzuschirmen.

Als wir dann einige Monate später anfingen, einen Kinderwagen zu benutzen, durfte ich neue Beobachtungen machen. Zuerst das Wichtigste: In Berlin sind ALLE Fahrstühle IMMERZU defekt. Behaltet das im Hinterkopf. Am besten ihr besorgt euch einen Buggy, den man im Notfall auf Brieftaschengröße zusammenfalten kann. Dann habt ihr vielleicht eine Chance.

In Berlin sind ALLE Fahrstühle IMMERZU defekt

Leider komme ich auch nicht umhin, von einer verteufelten Sache called RÜCKSICHTSLOSIGKEIT zu berichten. Wisst ihr, wovon ich spreche? Mir wurde jedenfalls von klein auf eingeprügelt, dass man alten Menschen, Rollstuhlfahrern, Eltern mit Kinderwagen, etc. die Tür aufhält. Was ich auch immer gewissenhaft tat. Nach all den Jahren hab ich mich schon richtig gefreut, dass ICH jetzt mal in den Genuss dieser Aufmerksamkeit komme.

Ihr ahnt es bereits. Nichts dergleichen ist eingetreten. Im Gegenteil. Mir ist aufgefallen, dass es vor allem FRAUEN jeden Alters waren, die mir in Kaufhäusern und Behörden gekonnt die Tür vor der Nase zuschlugen. Keine Ahnung, was mir das sagen soll. Und in der U-Bahn war es immer besonders schlimm.

Auch in dieser Phase hat es nicht an Herzchen gemangelt, die tief über meine Tochter gebeugt ihre Keime in den Kinderwagen gehustet haben. Aber wehe, der Waggon war mal ein bisschen voll. Wenn ich es dann überhaupt mal hinein geschafft habe, standen wir zwischen augenrollenden Mitfahrern, die sich bei jedem Halt genervt an uns vorbei drängten. Denn es hat natürlich niemand mal eine Ecke freigemacht, damit wir aus der Schusslinie kommen.

Da stand ich dann immer, vollgehängt mit Dutzenden klobigen Taschen, hilflos und lächerlich wie eine Schießbudenfigur. Und konnte aus dem Elend nur schließen: Offensichtlich sind Kinder in den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erwünscht. Daran denke ich auch heute noch jedes Mal, wenn wir in der U-Bahn angesprochen werden.

„Junge oder Mädchen?“

„Das ist aber eine süße Maus. Deutsch?“

„So schöne Augen, die Kleine! Sie sind aber nicht der Vater, oder?“

Vielleicht haben Kinder in der U-Bahn wirklich nichts zu suchen

Inzwischen habe ich die Masche durchschaut: Das sind nicht die Indiskretionen einzelner, fehlgeleiteter Plagegeister. Die stecken alle unter einer Decke. Und nachdem ich die Tragetuch- und die Kinderwagenphase in der U-Bahn irgendwie überstanden habe, rotten sie sich nun zu ihrem mächtigsten Schlag zusammen. Um uns aus ihrem natürlichen Habitat zu vertreiben.

Vielleicht ist es ja mein Fehler. Vielleicht haben Kinder in der U-Bahn wirklich nichts zu suchen. Aber dann soll die BVG das bitte in ihre AGB schreiben. Um zukünftigen Missverständnissen vorzubeugen.

TIPP DES TAGES: Jemand gibt eurem Kind einen hässlichen Kosenamen? Einfach Schellen verteilen.

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