Kinder geben euch etwas zurück – wenn ihr am Boden liegt

© Rike Schäfer

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. In dieser Folge packt er ungeschönt auf den Tisch, was eure Kinder aus euch machen.

Kann man cool bleiben, auch wenn man ein Kind hat? Es gibt auf jeden Fall Momente, da werden Geduld und Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt. Ich will nicht schon wieder mit dem ewigen Spielplatz-Thema anfangen. Aber ist euch schon mal aufgefallen, dass alle Kinder immer GLEICHZEITIG an das selbe Spielgerät wollen?

Solange die Schaukel frei ist, interessiert sich kein Arsch dafür. Aber kaum nimmt einer der werten Nachwüchse darauf Platz, wollen alle anderen auch schaukeln. Dadurch wird natürlich die Rutsche frei. Dort steht sie, gottverlassen, und jedes Kind würde einem den Vogel zeigen, käme man auf die absurde Idee, sie als Alternative zur überfüllten Schaukel anzupreisen.

Auf dem Spielplatz könnte ich zum Axtmörder werden

Das gilt natürlich nur solange, bis eine der Gören von sich aus auf die Idee kommt. Und alle anderen nachdrängen, sich schubsen und kreischen und von ihren Eltern verlangen, als Vermittler in diesem Affenzirkus aufzutreten. Ich möchte mich dann immer auf den Bauch legen, das Gesicht im Sand, und so will ich dann bleiben und alle Hoffnung fahren lassen.

Es gibt allerdings noch schlimmere Geißeln im Elterndasein. Ich spreche da von einer besonders perfiden Quälerei: Ohrwürmer von debilen Kinderliedern. Es genügt, wenn meine Tochter nur eine einzige Zeile anstimmt und der Alptraum nistet sich für den Rest des Tages in meinem Hirn ein. Genau jetzt, wo ich darüber schreibe, singe ich direkt wieder dieses beschissene Lied, das die Kinder für ihre Kitareise einstudieren durften.

Die schlimmste Geißel: Ohrwürmer von Kinderliedern

Die Erzieherinnen haben dafür Melodie und Textbausteine eines älteren Liedes verwendet. Und das war damals schon potentieller Anlass für ein Hassverbrechen.
„Muss es unbedingt sein, dass ihr den Kindern schon wieder das Kuschelbären-Lied beibringt?“, hat meine Ex-Freundin halb scherzhaft beim Elternabend gefragt. Die Erzieherinnen waren zuerst irritiert und dann ist es ihnen wie Schuppen von den Augen gefallen. „Ach, deshalb haben die Kinder das diesmal so schnell gelernt.“

Die hatten einfach VERGESSEN, dass sie fünf Monate zuvor GENAU DAS GLEICHE Lied einstudiert haben. Für mich ein eindeutiger Beweis, dass diese Art von Musik hirnschädigend ist. Und sie klebt einem wie Scheiße am Hacken, wie eine hartnäckige Geschlechtskrankheit am... naja. Um es mal drastisch auszudrücken: Selbst wenn ich auf dem Berghain-Klo liege, mit dem Gesicht in meiner eigenen Kotze, habe ich stets diese zauberhafte Weise im Kopf: „Wenn die Kuschelbär’n auf Reisen gehn, und sich die große, weite Welt ansehn...“

Für mich ein eindeutiger Beweis, dass diese Art von Musik hirnschädigend ist.

Kinder sind ein Schuss ins Knie eines jeden zurechnungsfähigen Wesens. Aber sie geben auch etwas zurück. Wenn sie euer Nervenkostüm, eure Persönlichkeit bis auf die Grundmauern niedergebrannt haben, wenn ihr zuckend und lallend und nackt in der Dunkelheit liegt, kommen sie und schenken euch einen neuen Blick auf die Welt.

Kinder geben euch etwas zurück – wenn ihr am Boden liegt

Ich habe zum Beispiel einen neuen Lieblingsfilm. Er heißt „Frozen“, oder in der kongenialen deutschen Übersetzung: „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“. Was habe ich bei den ersten fünf Malen gelitten, als meine Tochter mich zwang, diesen Disney-Schinken mit ihr zu verdauen. Die Würde des Menschen ist unantastbar? Wer so naiv ist, das zu glauben, muss nur mal „Die Eiskönigin“ schauen. Das rückt euch den Kopf wieder zurecht.

Mein Stolz, meine Integrität, meine Männlichkeit, sofern es so etwas gibt – all das ist während dieser Stunden zu Asche zerfallen. Doch dann, ihr werdet es nicht glauben, hat meine Tochter mich an die Hand genommen und gesagt. „Komm, Papa, wir schauen den Film nochmal.“ Und plötzlich hab ich begriffen.

Auf einmal hat der Film mich gepackt. Ich war wie Elsa, die endlich, ENDLICH frei ist von all den Zwängen, von den dunklen Jahren im Schloss. Ich bin wie sie in die Berge gegangen, habe meine Kräfte entfesselt, hab endlich LOSGELASSEN. Ich war danach ein neuer Mensch. Und das hab ich einzig und allein dem geschärften Blick zu verdanken, den meine Tochter mir verliehen hat.

Stolz, Integrität, Männlichkeit - alles verloren im Angesicht des Kindes

Versteht sich von selbst, dass ich seither von früh bis spät diesen Helene-Fischer-Hit im Ohr habe. Aber was soll ich sagen? Allemal besser als das Kuschelbären-Lied. Letzten Endes kommt es im Elterndasein nur darauf an: Sich demütig einzurichten im kleinstmöglichen Übel. Denn die Kälte, sie ist nun ein Teil von mir.

Letzten Endes kommt es im Elterndasein nur darauf an: Sich demütig einzurichten im kleinstmöglichen Übel.
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