Hört endlich auf zu labern! – Die Berliner Krankheit der leeren Versprechen

© Kelly Searle | Unsplash

Ich bin Autorin, Texterin und Kolumnistin. Ich habe bereits 18 Podcasts ins Lebens gerufen und bin mit dem Auto von Turin nach Sizilien gefahren. Ich habe mindestens fünf Blogs gegründet, hunderte Pitches gewonnen und an jedem Badesee in und außerhalb Berlins gebadet. Ich war in jedem Theater der Stadt, habe das Kulturprogramm mit meinem Freunden bis ins Letzte ausgeschöpft und kann nicht mehr zählen, wie oft ich in den letzten neun Jahren „mal wieder Kaffee“ mit jemandem getrunken habe. Ich habe Projekte von A bis Z betreut, sämtliche neuen Restaurants von Wilmersdorf bis Friedrichshain getestet und habe jedes Mal vor ausverkauften Haus gelesen, weil alle erschienen, die auf Facebook teilgenommen haben. Man ruft mich immer zurück, man antwortet sofort, bezahlt pünktlich und hält mich immer auf dem Laufenden. Es könnten auch 19 Podcasts gewesen sein.

Oder auch nicht.
Denn ich lüge.
Nur der erste Satz entspricht der Wahrheit.

Ja, lass mal machen, klar, super, bin dabei, wann geht's los

Ich lebe in Berlin. Die Stadt der Laberei und der niemals eingelösten Versprechen. Die Spreemetropole mit Worthülsen in imaginären Startpistolen inmitten eines Teufelskreises aus Kennenlernen und Verabreden ohne Anfang und Ziel. Und wenn es abermals passiert, das Verstummen der Leitung, das Ausbleiben einer Nachricht, das verfallene Ticket, das im Nichts verlaufende Projekt, dann möchte ich über die Torstraße rennen und jene Protagonisten der „komm ich heute nicht, komm ich morgen, oder gar nicht“-Sozietät am Kragen packen. Ich möchte sie am Kragen packen brüllen:

HÖRT AUF ZU LABERN.

Hört einfach auf zu labern. Niemand wird den Podcast vermissen, von dem man erst gar nicht erzählt. Niemand wird auf einen Anruf warten, der nicht ankündigt wird. Niemand rechnet mit Honorar, das nicht versprochen ist. Niemand ist empört, wenn man erst gar nicht zusagt. Vor allem aber erleidet niemand Mangelerscheinungen von zu wenig Laberei. Kritisch wird Laberei erst mit dem Alter, denn mit wachsendem Verstand steigt auch die Anzahl an in Berlin lebender Menschen mit akuter Labereiintoleranz, deren Symptome recht eindeutig sind. Hoher Puls, niedriges Bullshitlevel, schnelles Verabschieden und langsames Rückwärtslaufen.

Niemand wird auf einen Anruf warten, der nicht ankündigt wird. Niemand rechnet mit Honorar, das nicht versprochen ist.

Junge Berliner zeigen noch großes Interesse an der Laberei, ich war auch eine von ihnen. Küsschen links, Küsschen rechts, ja, lass mal machen, klar, super, bin dabei, wann geht's los? Der Reiz des Unkalkulierbaren, das berühmte Rarmachen, das auf Tinder vielleicht sexy ist, spätestens bei MyTaxi jedoch so uncool ist wie wahrscheinlich alles, was Jens Spahn jemals von sich gegeben hat. Ich darf natürlich nicht alle Chief Laber Officers (CLO) über einen Kamm scheren. Manch einer meint tatsächlich, dass der Inhalt eines Gesprächs von seinem Gegenüber quantitativ bewertet wird. Viele Worte, viel Zuneigung. Viele Floskeln, viel Gefühl. Doch dem ist nicht so. Der Weg in die Hölle ist nach wie vor mit guten und rissigen Absichten gepflastert wie die Leipziger Straße zwischen Potsdamer Platz und Spittelmarkt.

Aktuell bewegt sich der Berliner Lärmpegel weiterhin über der Norm. Lasst und doch einfach mit ein bisschen weniger Laberei dazu beitragen, dass wir alle besser schlafen können.

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