„Die sieht gruselig aus, Papa": Wie es ist, plötzlich Stiefmutter zu sein
Stiefeltern sein ist heute nicht mehr, wie im Märchen. Maßgeblich, weil Stiefeltern ursprünglich leibliche Eltern ersetzt haben. Die waren nämlich tot. Oder verrückt und weggesperrt. Heute ist das anders. Stiefmutter oder Stiefvater ist man vor allem, weil Paare sich trennen. Bei mir ist das nicht anders. Ich habe mich auf die vakante Stelle im Herzen meines Mannes beworben und nach der Traineephase den Job bekommen: Offiziell Stiefmutter. Mit 20! Das ist jetzt bald 12 Jahre her. In diesen 12 Jahren war wirklich alles dabei, was man in offiziellen Scheidungsratgebern nachlesen kann. Läuft trotzdem! Aber immer der Reihe nach.
Wer als Stiefmutter oder Stiefvater antritt, muss heute mehr als seine Anwesenheitspflicht ausüben. Ich kenne niemanden, der nicht knietief in den Windeln fremder Kinder stand. Ich kenne niemanden, der nicht zeitweilig als Chauffeur oder Carrierservice arbeitete. Und ich kenne niemanden, der dabei die alte ‚Disney-Sadisten-Stiefrolle‘ raushängen ließ. Wir Stiefeltern stehen unseren Secondhand-Familien meistens mit ziemlich viel Engagement zur Seite. Bloß in die Rolle reinwachsen kann haarig werden. Der Anfang ist bei den meisten legendär.
Das erste Kennenlernen
Es ist also soweit. Du sollst die Leibesfrüchtchen deines Partners oder deiner Partnerin kennenlernen. Weil die ihre Kinder sehr lieben, haben sie meist hohe Erwartungen daran, wie du sie findest. Rosarote Brille und so. Weil sie dich sehr lieben, hegen sie die gleiche Hoffnung bei ihren Kindern. Rosarote Brille und so. Wie das aber mit Erwartungen so ist: Sie werden oft enttäuscht.
Es gibt ziemlich viele schräge Kinder da draußen. Auch als Normalsterblicher denkt man gelegentlich „Oh Gott, die will ich nicht mal geschenkt haben“. Wenn man diese Gedanken als Stiefeltern hat, heißt es für alle: Zähne zusammenbeißen und durch! Grade in einer „Papa will, dass ich die olle Tante da gut finde“-Situation, wird aus so manchem Goldkind ein Albtraum. Da sind dann auch die lieben Eltern schnell überfordert. Manche Kinder haben auch schlicht einfach Angst vor uns Neuen.
Ich durfte damals die beiden Kinder meines Mannes gleichzeitig kennenlernen. Viele Eltern haben dieses Geschwisterding laufen, das ich „Mitgehangen, mitgefangen“ nenne. Es besagt, dass Geschwister immer alles gemeinsam erleben müssen. Komischer Deal. Als große Schwester kann ich aus guter Erfahrung sagen, dass das eine blöde Regel ist. Aber ich schweife ab. Kind eins fand mich also spannend. Kind zwei fand mich gruselig und sagte es auch gleich: „Die sieht gruselig aus, Papa.“ Note to self: Ich hätte doch nicht mit Afro kommen sollen. Kind zwei fand, dass ich wie eine Chinesin aussehe. Wegen der Augen.
1:0 für Disney und Iglo
Unser erstes Kennenlernen lief so: Kind zwei wollte (und ging!) nach fünf Minuten nach Hause, heulte und schrie und ließ sich nicht beruhigen. Für Kind zwei war die Begegnung mit mir, wie wenn Godzilla bei einem entspannten Angelausflug überraschend aus dem Hafenbecken steigt. Der pure Horror! Kind eins hingegen blieb gleich über Nacht. Ich kann zwar kein Fußball spielen, aber das haben wir dann halt gemacht. Ich hatte noch nie für Kinder gekocht, aber Fischstäbchen und Erbsen kann jeder. Ich wusste nicht, wie man mit einem Scheidungskind redet, also habe ich Disney-Filme zitiert. Geht immer! Abends ist Kind eins zwischen mir und seinem Vater eingeschlafen. Mittelgut gelaufen. 1:0 für Disney und Iglo.
Das Kind muss mich nicht mögen. Das ist sicher nicht ideal – aber es ist, wie es ist. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit.
Jeder braucht seine Zeit. Auch Kinder. Man darf da keinen Druck machen. Kind zwei wollte und wollte mich nicht kennenlernen. Das Geheule hat mich damals fertig gemacht. Mein Mann wollte ‚keine Zeit verlieren‘, mit Kind eins ging es doch auch – sehr gut sogar. Irgendwann wurde mir das aber zu viel. Ich bat um Aufschub. „Das Kind muss mich nicht mögen“. Das ist sicher nicht ideal – aber es ist, wie es ist. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Kind zwei musste mich nämlich AUCH nicht mögen.
Zwingt uns nicht, lasst uns in Ruhe. Das war das Ende des Dramas. Es dauerte noch ein paar Monate, bis Kind zwei mich endlich nicht mehr ausschloss, sondern pausenlos ärgerte: Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!
Letztlich ist es bei Stiefeltern ja nicht viel anders, als mit den biologischen Eltern: Am Ende musst du das Kind nehmen, das du kriegst. Ob es ein Schreibaby ist, oder ein Schreikind.
Mein Tipp an alle frisch gebackenen Stiefeltern und die, die es werden (müssen), und alle, die noch immer um Anerkennung beim Nachwuchs buhlen: Zwingt euch nicht zum Glück. Und die anderen auch nicht! Manches klappt einfach nicht auf Anhieb, manches klappt nie. Ganz ehrlich: Wer mag schon alle Kinder? Ich nicht. Selbst als Mutter atme ich auf, wenn ich mal in einem Café ohne Kinder sitzen kann. Und wenn ich dafür nach Hamburg reisen muss. Hätte ja auch passieren können, dass ich die Kinder von meinem Mann nicht mag! Letztlich ist es bei Stiefeltern ja nicht viel anders, als mit den biologischen Eltern: Am Ende musst du das Kind nehmen, das du kriegst. Ob es ein Schreibaby ist, oder ein Schreikind.
Ebony June Popiolek