Berliner Wohnungsmarkt: Immer mehr Studierende müssen in Hostels wohnen
Als mir ein Bekannter vor ein paar Monaten erzählte, dass er plane, im Oktober nach Berlin zu ziehen, freute ich mich natürlich, wünschte ihm aber auch schonmal viel Glück. Anfang Oktober trafen wir uns zum ersten Mal auf ein Bier am Kotti, und es vergingen natürlich keine fünf Minuten, bis wir auf den Stand seiner WG-Suche zu sprechen kamen. Er berichtete, dass er sich jetzt erstmal in einem Hostel in Friedrichshain eingenistet habe, um von dort aus weiter nach einer Wohnung zu suchen.
Meine erste Reaktion war Mitleid und Unwohlsein bei der Vorstellung, sich mit vom Hochbett kotzenden Party-Touris einen Schlafsaal teilen zu müssen, und das möglicherweise wochenlang – doch Pustekuchen, versicherte mir mein Bekannter. Er habe in seinem Hostel bisher nur zwei Touristen getroffen. Bei allen anderen Übernachtungsgästen handele es sich wie bei ihm um Studierende auf Wohnungssuche – oder sogar um Arbeitnehmer, die gerade für ihren neuen Job nach Berlin gezogen waren und trotz gesicherten Einkommens durchs Wohnungsmarkt-Chaos strauchelten. "Normalerweise unterhalten sich im Gemeinschaftsraum eines Hostels alle über Reiseziele, Billigflüge oder die nächste Kneipentour – hier geht es die ganze Zeit um Bachelorarbeiten, Semestergebühren und Wohnungssuche, Wohnungssuche, Wohnungssuche", berichtete mein Bekannter halb schockiert, halb amüsiert.
Immer mehr Studierende pendeln von Hostel zu Hostel
Dass die Wohnungssuche in Berlin eine einzige Katastrophe ist, ist ja wirklich nichts Neues mehr. Dass es besonders für Studierende immer schwieriger wird, bezahlbaren Wohnraum zu finden, auch nicht. Vor allem zu Beginn des Wintersemesters wird die Stadt regelrecht von neuen Wohnungssuchenden überschwemmt, denn trotz der Wohnungsnot sind an Berlins Universitäten und Hochschulen aktuell so viele Menschen immatrikuliert wie noch nie. Für internationale Bewerber gestaltet sich das Ganze sowieso noch schwieriger: Wenn man gerade erst angefangen hat, Deutsch zu lernen, gehören Worte wie "Mietschuldenfreiheitsbescheinigung" wahrscheinlich nicht zu den Standardvokabeln.
Normalerweise unterhalten sich im Gemeinschaftsraum eines Hostels alle über Reiseziele, Billigflüge oder die nächste Kneipentour – hier geht es die ganze Zeit um Bachelorarbeiten, Semestergebühren und Wohnungssuche, Wohnungssuche, Wohnungssuche.
Dass die Suche nach einer Bleibe hier schwierig wird, schreckt wohl trotzdem die wenigstens so richtig ab – denn ehrlich gesagt, schaut man sich die Situation in den meisten anderen Großstädten an, ist es eh nirgendwo so viel einfacher. Also heißt es für die meisten Erstis, sobald die Zulassung für den Wunsch-Studiengang ergattert ist, die Koffer gepackt sind und der Fernsehturm in Sicht ist: Wo zur Hölle schlafe ich in den nächsten Wochen?
Zu wenige Wohnheimplätze, zu teure Mieten
Wohnheimplätze für Studierende gibt es in Berlin – nur leider viel zu wenig. Die Wartelisten sind lang, die Chancen, direkt zum ersten Semester einen Platz zu ergattern, extrem gering. Im Januar 2018 warteten rund 4300 Studierende auf einen von 9400 Wohnheimplätzen, wie Petra Mai-Hartung, die Geschäftsführerin des Berliner Studierendenwerks, im Interview mit dem Tagesspiegel angab. Viele finden Übergangslösungen bei Freunden, in Notunterkünften der Studierendenwerke – oder eben im Hostel.
Das Hostel in Friedrichshain war in dieser Hinsicht also keineswegs ein Einzelfall, wie sich für meinen Bekannten bald herausstellen sollte. In vielen Hostels stehen die Studierenden nämlich noch zusätzlich vor dem Problem, dass sie aufgrund der Buchungsbestimmungen nicht für eine beliebig lange Zeit bleiben dürfen. Logisch, eigentlich ist es ja auch nicht Sinn eines Hostel, dass man dort länger als ein paar Tage unterkommt. Somit lernte mein Bekannter auch noch ein Hostel in Moabit und eines in Kreuzberg von innen kennen, bevor er schließlich die Zusage für ein WG-Zimmer bekam.
Das Hostel-Hopping war zwar nervenaufreibend, hat ihm aber letztendlich auch ein paar nette Begegnungen beschert. Trotz der schwierigen Situation auf dem Wohnungsmarkt sei die Atmosphäre in den Hostels überraschenderweise meistens nicht verbittert oder angespannt gewesen, erzählte er mir neulich, als wir bei einem erneuten Bier auf seine neue Bleibe anstießen. Er habe deshalb auch versucht, das Beste aus dieser Situation mitzunehmen.
An dem Tag, an dem ich meinen eigenen Mietvertrag unterschrieben habe, bin ich abends ins Hostel zurückgekommen und alle haben mir gratuliert.
Im Hostel gibt es eben keinen richtigen Alltag, was anstrengend ist, aber eben auch viel Abwechslung bedeutet: Morgens um 9 Uhr Unterlagen durchgehen mit dem somalischen Bettnachbarn, der sämtliche Dokumente zu seinem ersten Arbeitstag mitbringen muss, dann mit dem (recht enttäuschten) chinesischen Kollegen diskutieren, warum es sich beim WG-Angebot wohl eher um einen Betrugsversuch handelt, und auf der anderen Seite abends spontan mit zwei Niederländerinnen, einem Neuseeländer und einem Kolumbianer durch die Straßen ziehen, um ihnen die Berliner Spätikultur zu zeigen. "An dem Tag, an dem ich meinen eigenen Mietvertrag unterschrieben habe, bin ich abends ins Hostel zurück gekommen und alle haben mir gratuliert."
Marit Blossey