Wie romantisch würden Liebeslieder noch klingen, wenn sie ehrlich wären?
“Ich will mit dir im Bett verhungern”, singt Ben der Berliner Band Milliarden. Er brüllt es, er fleht aus voller Kehle und es ist wahr: Man möchte in diesem Moment nichts lieber tun, als mit diesem schmalen wilden Mann vor verrückter Liebe im Bett zu verhungern. Einfach nicht mehr aufstehen, sondern sich gemeinsam langsam liegend auflösen, eng verschlungen, noch mit dem letzten Atemzug die Haut des anderen riechen. Das ist die höchste Form der Liebe: zusammen bis in den Tod. Wie Romeo und Julia, nur in diesem Fall eben, naja, dünner.
Nicht nur Milliarden singen von der Liebe als Utopie, fast jeder Popsong übertreibt gewaltig, wenn es um die Beschreibung dieses Gefühls geht. Rio Reiser holt für mich den blauen Mond vom Himmel, Yvonne Catterfeld dreht die Wolken weiter, Dirk von Lotzow will immerhin für mich nüchtern bleiben. Wie schön! Wobei der Song von Catterfeld natürlich ein absoluter Scheißsong ist, aber selbst das ist bei großen Gefühlen egal. Wie wunderbar unmöglich das alles klingt, genau so muss das sein im Pop und in Hollywood und überall sonst, wo es um die Liebe geht. Genauso muss sich das doch anfühlen, vom ersten Blick bis zur tausendsten Berührung, immer wieder ist da dieses knisternde Wunderkerzengefühl im Kopf oder in der Brust oder im Schoß, je nach dem. Oder etwa nicht?
Wie Romeo und Julia, nur dünner.
Denn sobald man genauer drüber nachdenkt, klingt es gar nicht mehr so schön, was da in den großen Liebeshymnen besungen wird. Um mal beim Beispiel von Milliarden zu bleiben: Verhungern ist keine besonders romantische Art zu sterben. Nach spätestens ein paar Stunden wird man so hangry, dass man sich vielleicht sogar lieber direkt trennt, sich zumindest aber ziemlich unsexy anfaucht. Von Hunger bekommt man außerdem Mundgeruch.
Aber Popmusik wird auch nicht vorrangig zum Drübernachdenken gemacht und volltönende Liebeslieder nicht geschrieben für eine spitzzüngige Realitätsprüfung wie diese. Echte Liebe ist eben manchmal schlecht in schönen Worten nachzuerzählen. Weil sie genau dann sichtbar wird, wenn es nicht mehr rosa ist, wenn es um den schroffen Alltag geht. Um die grauen, drögen Tage ohne Datum, um das, was zwischen den Momenten passiert, wo man sich gemeinsam in den Fotoautomaten quetscht, um das große Glück in kleinen Bildern festzuhalten.
Echte Liebe ist eben manchmal schlecht in schönen Worten nachzuerzählen.
Ein realistisches Liebeslied klänge wohl eher so: "Ich will mit dir im Bett verhungern. Aber noch lieber will ich mit dir im Bett Essen bestellen und so lange Serien schauen, bis der Tag draußen schon wieder vorbei ist und irgendwann schlafen wir ein und wachen wieder auf und riechen nach Knoblauch, aber das ist okay und dann geht es weiter, zusammen, vielleicht auch nicht, das ist gerade egal. Vier Käse oder Margherita?"
Das reimt sich dann natürlich nicht mehr und ist auch sonst als Songtext eher untauglich für zwei lässige Typen mit Lederjacke und Schimanski-Bart wie Milliarden es sind oder Rio Reiser es war. Aber es wäre eben ziemlich ehrlich und wahr. Sollen doch die anderen nüchtern bleiben.