Wie man (vielleicht) über ein gebrochenes Herz hinwegkommt

© Hella Wittenberg

In seiner Kolumne “Romeo und Julius” erzählt Autor Julius Geschichten von seiner Suche nach der Liebe in Berlin. Von schrägen Dates, gebrochenen und geheilten Herzen und der schimmernden Hoffnung, dass es den einen Romeo da draußen geben muss. Das ist Episode 9.

Ich atme kurz aus, ein und greife nach meinem Reisekoffer, um mit ihm die 12 Stufen zum Briefkasten im Vorderhaus zu erklimmen. Ich komme nach einem langen Wochenende in der Heimatstadt nach Hause. Mein Vater hat runden Geburtstag gefeiert, also habe ich über die letzten Tage 92 Hände von Menschen geschüttelt, die mich gut kennen und die ich kaum kenne, habe über 21 Witze gelacht, die ich nicht verstand, habe 18 Bier getrunken, meiner Oma einmal versucht zu erklären, dass ein Onlineshop doch auch nur ein Otto-Katalog ist und habe es schnell wieder aufgegeben. Die Tage haben mich mitgenommen. Die Hände, Gesichter, kleinen Geschichten, Drinks und „Was machst du noch mal in Berlin?“-Gespräche haben mich mitgenommen. So sehr, dass ich jetzt jede Stufe zähle und mein rechter Arm beim Heben des Koffers komisch zieht, als würde mir Blut abgenommen werden, um ein 200 Seelen Dorf mit frischem AB zu versorgen. Sieben, acht, neun. Die Stufen sind mein Everest.

Als ich endlich vor dem Metallkasten stehe, der meinen Namen trägt, finde ich darin zwei Briefe. Der erste ist eine Rechnung von Vattenfall, der zweite ein Schreiben von Payback. Was nicht im Briefkasten liegt, ist ein Brief der Husky-Augen, ein Brief von dir. Ich konnte mir eigentlich denken, dass da kein Brief von dir liegt, aber, weil ich in meinem Leben so viele romantische Komödien gesehen habe wie kaum eine andere Person, die einen Vollzeitjob hat, erschien es mir irgendwie doch im Bereich des Möglichen, dass da einer liegen würde, gefüllt mit kleinen Worten, die Großes bedeuten. Mit Liebe und Kampf, Überzeugtsein und Platz Einräumen und allem, was ich so sehr vermisst habe. Auch als ich kurz darauf auf den Aufzug im Seitenflügel warte, der zu meiner Wohnung führt, stelle ich mir vor, dass sich gleich ein romantisches Feuerwerk in meinen Augen reflektiert. Dass dort Notizzettel mit Liebeserklärungen kleben oder dass du darin mit einem großen Strauß weißer Rosen wartest. Dass du da stehst und mich zu dir ziehst und mich küsst und du sagst, dass du mich willst. Auch wenn ich gerade nach roten Gauloises schmecke. Doch die Türen öffnen sich und da kleben keine Post-Its und du stehst auch nicht drin. So ein Aufzug ist eben doch keine Zeitmaschine. Das grelle Licht verpasst mir einen harten Reality-Check.

Das Trennungs-Déjà-vu

In meiner Wohnung angekommen, merke ich, wie alle Muskeln, die mein Gesicht zusammenhalten, loslassen und Tränen, die über meine Wangen laufen, direkt zu Flüssen werden. Ich erlebe ein Trennungs-Déjà-vu. Alles, was ich um mich herum wie durch Milchglas betrachte, ist wie immer. Alles sieht nach mir aus, nichts nach uns. Wie auch – du hast dich über die letzten sechs Monate nie wirklich in mein Leben eingemischt und die ein, zwei Überbleibsel, die es gab, habe ich in eine traurige Ex-Freunde-Kiste verbannt. Ein Foto, das ich in einem Rahmen verewigt hatte, liegt zum Beispiel in der Box. Es liegt da bereits eine Weile. Ich hatte es schon wieder aus dem Rahmen genommen, während wir uns noch gesehen haben, weil du meintest, dass du es nicht magst. Ich habe mich damals gefragt, warum du es nicht magst, weil du eigentlich nicht eitel bist und darauf gut getroffen warst. Bis ich gemerkt habe, dass es der Anblick von uns beiden als Paar war, ausgestellt in meiner Wohnung, für andere zum Betrachten, den du nicht mochtest. Das hast du nicht ertragen. Und ich habe es nicht ertragen, dass du das nicht ertragen hast und so saß ich vor zwei Wochen in der Bahn zu dir, um dich aufzurütteln oder Schluss zu machen. Jetzt erlebe ich das Déjà-vu, das mich so sehr an die Trennung vom Iren erinnert, der vor dir kam. Mit einem Satz, der jetzt immer und immer und immer wieder durch meine Gedanken fährt und an dem ihr euch beide festgehalten habt: „Ich kann mich nicht verbiegen.“

Ich habe mich damals gefragt, warum du das Bild nicht magst, weil du eigentlich nicht eitel bist und darauf gut getroffen warst. Bis ich gemerkt habe, dass es der Anblick von uns beiden als Paar war, ausgestellt in meiner Wohnung, für andere zum Betrachten, den du nicht mochtest.

„Verbiegen“ schreit mir Gesina lautstark entgegen, als ich ihr am Montag in unserer Lieblingskneipe in Kreuzberg die letzte Woche rekapituliere. „Das hat ja nichts mit Verbiegen zu tun, wenn man sich auf jemanden einlässt. Klar, man richtet sich anders aus, macht Eingeständnisse. Man geht eher schlafen, weil der andere früh raus muss, meldet sich häufiger, weil der andere das gerne hat oder geht in Filme, die man nicht mag. Aber das ist ja kein Verbiegen. Das ist Teilen. Verbiegen – das ist einfach nur lächerlich.“ sagt sie und dreht sich in Rage eine dünne Zigarette. „Ja, ich weiß“, sage ich. „das sehe ich ja auch so. Aber...“ stammle ich weiter. „Aber ich wollte ihn so sehr und es hat mir das Herz gebrochen, dass alles, was ich geben wollte und machen wollte, für ihn Aufgaben waren, Verbiegen war.“ Gesina wartet kurz und checkt durch Augenkontakt meinen Puls. “Dann war da keine Liebe da.“ sagt sie schließlich nüchtern, weil sie weiß, dass ich das überleben werde. „Wenn du dich in jemanden verliebt hast, du jemanden liebst, dann gibt es kein Verbiegen, auf jeden Fall nicht in den ersten sechs Monaten. Dann möchtest du die Person und zwar mehr, als du das Hundebaby aus dem Internetvideo möchtest. Und das ist wirklich viel möchtest.“

Dann war da keine Liebe

Die kommenden Tage bin ich abwechselnd traurig und wütend. Von Minute zu Minute schwankt meine Playlist zwischen Sam Smith und Taylor Swift. Erst bin ich traurig, weil du weg bist und du mich schneller hast ziehen lassen, als einen Mundharmonika-Spieler, der dich in der U2 belästigt. Daraufhin bin ich wütend. Erst auf dich, weil du bei unserem ersten Date gesagt hast, dass du etwas Ernstes suchst und das gelogen war. Dann auf mich. Darauf, dass ich jetzt schon zum zweiten Mal versucht habe, einen Atheisten vom Glauben zu überzeugen. Und dann – dann hasse ich mich, weil ich trotzdem den Briefkasten checke und den Aufzug, und ich werde trauriger und wütender, bis ich am Ende, wenn mir beim Eintritt in die Wohnung nur mein eigener Schatten entgegen fällt, alles bin, wie ein emotionaler Klumpen, ein ekelhafter Haarballen, den ein Kater ausgespuckt hat.

Egal, wie viele Regeln es beim Dating gibt, scheint es mir, die meisten gibt es bei der Trennung.

In diesen Momenten, nur noch als Klumpen, rufe ich Bonnie an, weil ihre klare Stimme dann besonders wirkt und stelle ihr Fragen, die sie nicht beantworten will. „Warum konnte er das nicht?” frage ich. “Warum ist ihm das so schwer gefallen, dass wir zusammen sein könnten? Was wäre wenn?“ – „Ach Julius“ sagt sie dann. Und mit „Was wäre wenn ist was für Idioten. Melde dich bloß nicht bei ihm.“ wäscht sie mir den Kopf. Egal, wie viele Regeln es beim Dating gibt, scheint es mir, die meisten gibt es bei der Trennung. Jede Person, mit der ich rede, hat eine genaue Vorstellung, was eine gute Trennung ausmacht. Melden oder nicht melden. Auf allen Kanälen die Freundschaft kündigen oder Freunde von ihm stalken. Nur bei traurig oder wütend sein, gibt es ein und. Die Mischung gibt es sonst nie. „Der hat doch gar keine Ahnung, was er sucht. Der findet erst mal keinen.“ sagt Bonnie am Ende unserer Telefonate immer, um mich zu beruhigen. Das hilft.

„Also das glaube ich nicht.“ sagt meine alte Freundin Mali, die ich am nächsten Wochenende in Hamburg besuche. „Klar, der trifft sich jetzt erst mal noch mit ein paar Tinder-Typen, um seinen Marktwert zu testen, geht noch mal zurück zu dem Holländer, den er vor dir hatte, aber dann in ein paar Monaten, dann wird er das vermissen, was er mit dir hatte, es suchen und wieder finden. Mit einem neuen Julius, den er seinen Eltern vorstellt und den er nicht gehen lässt.“ beendet sie ihre Trennungsanalyse. „Aber warum kann er denn nicht zum ersten Julius zurück?“ – „Ja, weil er sich dann die Fehler eingestehen müsste, die er gemacht hat. Das können vor allem die Typen, die du datest, nicht. Die wollen immer good guys sein. Du bist wie der Typ aus diesem Film „Der Glücksbringer“. Erst nach dir erkennen sie den Richtigen.“ Obwohl mich Malis Aussage für einen Moment trifft, erlaube ich mir gerade in ihrer WG-Küche das erste Mal etwas auszusprechen, das ich vorher nur gehaltlos gesagt habe, weil man das als starke Person so macht: „Es lag nicht an mir.“

Wie geht das eigentlich, das Abschließen?

Als Mali und ich um Mitternacht gemeinsam unter Decken mit rosanem Blütendruck liegen, drehe ich mich zu ihr, weil ich nicht schlafen kann. „Wie geht das eigentlich, das Abschließen?“ – „Gar nicht,“ flüstert sie. „Du wartest einfach, trinkst und rauchst zu viel, bist wütend und traurig und irgendwann ist die Erinnerung an seine Husky-Augen noch da, aber auch ganz weit weg. Und du vergisst, wie blau die Augen sind. Und wenn du das fast vergessen hast, triffst du ein neues Paar. Am besten diesmal grüne Augen, so wie Kristalle.“ Ich lache, sie dreht sich zu mir. „Weißt du, was ich an dir am meisten bewundere, Julius?“ fragt sie sanft, ohne eine Antwort zu erwarten. „Dass du immer wieder aufstehst und fliegst. Und der Typ für den Bilderrahmen, den gibt’s.“ – „Vielleicht“ sage ich und drehe mich mit dem Rücken zu ihr. Sie rutscht an mich heran und umgreift als großer Löffel meinen Oberkörper. Ganz, ganz fest. „Gib dir Zeit.“ flüstert sie in mein Ohr und gibt mir einen Kuss drauf. Ich atme langsam aus und langsam ein und merke wieder, wie alle Gesichtsmuskeln loslassen, nur Tränen folgen diesmal nicht, denn – alles entspannt. „Ich kann das wieder“, denke ich. „Ich kann das. Nur nicht allein.“

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