Wer will heute noch an der Kasse arbeiten?
Egal an welchem Laden, Café oder Restaurant ich derzeit vorbeilaufe, überall sehe ich Jobangebote. „Wir suchen Verstärkung“, „Lust auf einen neuen Job?“ oder „Wir stellen ein“ steht auf den Plakaten, die mal professionell, mal handgeschrieben in den Schaufenstern hängen. Viele dieser Angebote entpuppen sich als klassische Studentenstellen mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden, ohne die kaum noch ein Nachwuchsakademiker seine Miete aufbringen kann. Mindestens genauso viele Angebote sollen jedoch Menschen ansprechen, die auf der Suche nach einem Vollzeitjob sind.
Während ich beim Bahnhofsfleischer vorbeigehe, der schon morgens um 9 Uhr die ersten Bouletten für die Mittagszeit brät, kommt mir der Gedanke "Kein Wunder, dass die alle suchen. Wer um Himmels willen will heute noch in Vollzeit an der Kasse arbeiten, im Café kellnern oder schon zur Frühstückszeit nach Bratenfett müffeln?"
Natürlich klingt es auf Partys besser zu sagen 'Ich arbeite in einer kreativen Agentur, die die Trends von morgen entwickelt' anstatt 'Ich verkaufe Hot-Dogs bei Ikea' – 'Auch Köttbullar?' – 'Nein, nur Hot-Dogs'
Versteht mich nicht falsch, ich schätze die Menschen sehr, die Tag für Tag meinen Mittagstisch eindecken, meinen Morgenkaffee zubereiten und mich zum Feierabend geradezu überschwänglich an der Fischtheke bedienen, obwohl sich zahlreiche andere Kunden unfreundlich bis geradezu widerwärtig verhalten. Klar ist jedoch, dass diese Tätigkeiten völlig dem Zeitgeist widersprechen.
Der Trend geht zum Studieren, auf Teufel komm raus einen akademischen Abschluss zu erreichen. Im vergangenen Wintersemester waren 2,8 Millionen Studenten an den deutschen Hochschulen immatrikuliert. Tendenz steigend. Zeitgleich blieben hunderte Lehrstellen unbesetzt. Die Vertreter der klassischen Ausbildungsberufe und die Berufsverbände haben der Entwicklung nichts entgegenzusetzen.
Es wird Zeit, darüber nachzudenken, was die fortschreitende Akademisierung unserer Gesellschaft für Folgen nach sich zieht. Und vor allem, ob uns prestigeträchtige Jobs wirklich so wichtig sind. In zahlreichen Fällen zählt das Argument, mit dem Studium besser verdienen zu können, nicht. Unterbezahlte Sozialarbeiter können ein Lied davon singen, während manche Discounter ihren Angestellten zweistellige Stundenlöhne bezahlen. Woran liegt nun also das schlechte Image, der Unwille, sich selbst hinterm Tresen zu sehen? Und das nicht nur während der Studienzeit?
Natürlich klingt es auf Partys besser zu sagen „Ich arbeite in einer kreativen Agentur, die die Trends von morgen entwickelt“ anstatt „Ich verkaufe Hot-Dogs bei Ikea“ – „Auch Köttbullar?“ – „Nein, nur Hot-Dogs“. Ist es diese Einfachheit, die uns abschreckt?
Warum gibt es eigentlich so viele Gespräche über den eigenen Beruf? Besser gefragt: Warum definieren wir uns so sehr über das, was wir beruflichen machen und nicht über das, was uns als Mensch, als Privatperson ausmacht – unsere Hobbys, unsere Freunde, unsere Talente.
Ich könnte mir selbst diese Fragen stellen. Ursprünglich wollte ich Musiker werden, doch während des Abiturs merkte ich, dass mein Fleiß hierfür nicht reicht. Mir war klar, dass ich stattdessen irgendwas studieren wollte. Vielleicht nicht sofort, aber irgendwann. Ziemlich schwammige Wünsche für einen, für den eine klassische Ausbildung wiederum überhaupt nicht in Frage kam. Warum, kann ich heute gar nicht mehr genau sagen.
Dass ich nun Journalist bin, ist dem Zufall und reichlich Vitamin B zu verdanken. Ich bin froh, dass auf Partys sagen zu dürfen. Und ich bemerke, wie ich das mit Genuss tue. Es fiel mir aber nie ein, jemanden, der nicht in einem „fancy Job“ arbeitet, despektierlich zu behandeln. Ich beobachte jedoch öfters, dass andere es tun. Und andersherum, dass Menschen, die in einem vermeintlich einfachen Beruf arbeiten, selten von sich aus das Thema anschneiden. Genieren sie sich vielleicht, über ihre Tätigkeit zu sprechen oder wollen sie es einfach nicht, weil es ihnen nicht wichtig erscheint?
Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich einen befreundeten Psychologen fragte, warum er nie in seinem Metier angekommen ist und stattdessen an einer Theaterkasse sitzt. Im Nachhinein überrascht mich die Frage selbst. Sehe ich in ihm einen einfacheren Menschen, nur weil er sich für einen Job und nicht für seine Passion entschieden hat? Umso beeindruckter war ich, dass er seine Entscheidung mit Stolz trägt. "Mein Leben dreht sich um anderes", sagte er mir.
Es scheint ein Mix aus Vorurteilen, Ängsten und Überheblichkeit zu sein, verstärkt durch eine Erwartungshaltung, die uns von Freunden und der eigenen Familie eingetrichtert wird: besser zu sein, weiter zu kommen, über sich selbst hinauszuwachsen. Das Problem wird nur sein, dass wir irgendwann eine Gesellschaft sind, die super analysieren, aber kaum einen Kaffee zubereiten kann. Und das alles nur aus egozentrischem Karrierewahn. Wollen wir das?
Es scheint ein Mix aus Vorurteilen, Ängsten und Überheblichkeit zu sein.
Du hast dich dafür entschieden, dich nicht durch deinen Beruf zu definieren? Dann schreib mir eine Mail an [email protected]. Ich bin gespannt auf deine Geschichte!
Max Müller