Wer sich 2017 immer noch über Anglizismen aufregt, ist ein Larry

"Sorry, ich bekomme grade 'nen Call rein. Hi Bro! Ja klar, ich schick dir den Pitch dann asap via Slack, no biggie. Cool, dann mach's gut, see you later!" Ich wünschte, ich hätte mir dieses Telefongespräch ausgedacht. Ich wünschte, ich hätte es beiläufig mitgehört im Sankt Oberholz, irgendwann, 2014. Ich wünschte, diese Art zu sprechen hätte überhaupt nichts mit mir zu tun. Die Wahrheit ist aber: Ich habe dieses Gespräch selbst geführt. Wohlwissend, dass ich dabei wie ein ziemlicher Depp klinge. Aber die Person am anderen Ende hat mich ganz wunderbar verstanden und darauf kommt es bei Kommunikation letztlich an.

Es ist einfach, Anglizismen als dumm abzustempeln

Man kann Anglizismen natürlich total nervig finden und den Kopf schütteln über so viel erzwungene Berufsjugendlichkeit. Man kann sich herrlich lustig machen über öffentlich laut auf Denglisch telefonierende Agenturboys mit Headset und sich innerlich highfiven, dass man selbst nicht so ein Wannabe-Kosmopolit ist. Vor ein paar Jahren, als die Debatte noch akut war, galten Menschen, die Deutsch mit hohem Englischanteil sprachen, als Speerspitze der kulturellen Verdummung. Diese ganzen Medien und das Internet, das macht die Leute dumm! Und das Deutsche, die Sprache der Dichter und Denker, geht langsam aber sicher unter!

Jemand, der im digitalen Bereich arbeitet, Netflix-Serien ausschließlich auf Englisch schaut und Freunde aus allen Teilen der Welt hat – wie sollte er denn anders sprechen?

Glücklicherweise haben sich die Wogen ein wenig geglättet, aber ich begegne dennoch schön regelmäßig Leuten, die im tiefsten Inneren doch noch genau diese Position vertreten und genervt mit den Augen rollen, wenn jemand das Wetter nice findet, eine Iced Latte to go bestellt und dann mit dem Bike durch die Hood cruist. Als wäre die eine Sprache hochwertiger als die andere und als würde eine Vermischung von beiden zu einem unweigerlichen Qualitätsverlust führen, so als mische man Rot- und Weißwein zusammen. Dabei sind Anglizismen für die deutsche Sprache ungefähr das, was süßer Sprudel in saurem Grauburgunder ist: stilistisch nichts fürs Sternerestaurant, aber im Alltag geht's einem durchaus leicht und gern über die Lippen.

Unsere Alltagskommunikation wäre ohne Anglizismen so viel anstrengender

Und ehrlich gesagt: Immer, wenn sich Menschen darüber aufregen, dass "die schöne deutsche Sprache" durch immer mehr und immer inflationärer benutzte Anglizismen "verkommt" und keiner mehr "anständig" redet, werde ich ein bisschen insane in the membrane. Denn es ist, wie es ist: Die englische Sprache umgibt uns tagtäglich und sie mit der jeweiligen Muttersprache zu vermischen sehe ich nicht als deren Tod, einen stilistischen Fehltritt oder Zeichen von Mundfauhlheit, sondern im Gegenteil als absolut logische und natürliche Entwicklung – und als enormen Zugewinn. Anglizismen machen beruflich und privat viele Dinge einfacher, schneller, universal verständlich. Und sehr oft klingt es auch einfach verdammt nochmal ein bisschen lässiger.

Sprache ist der Schmelztiegel unserer Lebensrealität

Mehr noch, Sprache ist ein Abbild von Lebensrealität. In ihr vermischen sich alle Einflüsse, denen jemand ausgesetzt ist. Seien es Medien, die man konsumiert, Technik, die man nutzt oder soziale Kontakte, die einen umgeben – sie schlagen sich in der Art nieder, wie jemand spricht. Jemand, der im digitalen Bereich arbeitet, Netflix-Serien ausschließlich auf Englisch schaut und Freunde aus allen Teilen der Welt hat – wie sollte er denn anders sprechen als in einer Bricolage von Sprachen?

Sprache verändert sich mit den Menschen und ist verbaler Schmelztiegel für Kulturen. Wer sich für die "Reinhaltung" einer Sprache einsetzt, argumentiert indirekt gegen äußere kulturelle Einflüsse – das ist nicht nur reaktionär und ignorant, sondern im Jahre 2017 auch einfach ziemlich daneben. Ich finde, wir sollten Anglizismen mit offenen Armen empfangen, uns darüber freuen, dass sie unsere Alltagskommunikation universaler, einfacher, schneller und manchmal auch treffender machen und uns ansonsten daran halten, dass jeder so sprechen möge, wie ihm oder ihr der Schnabel gewachsen ist. Und jetzt entschuldigt mich, ich bin nämlich busy.

Wer sich für die 'Reinhaltung' einer Sprache einsetzt, argumentiert indirekt gegen äußere kulturelle Einflüsse
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