Wenn Gesundheit nicht selbstverständlich ist – Was es bedeutet, chronisch krank zu sein

© Volkan Olmez | Unsplash

Ich habe das Gefühl anders zu sein, irgendwie nicht normal. Ich habe das Gefühl, ich kann nicht frei erzählen, was mit mir "nicht stimmt". Weil die Menschen mit Unverständnis reagieren. Und es bei Arbeitgebern nicht gut ankommt und bei potentiellen Partnern schon gar nicht.

Ich habe seit so vielen Jahren Migräne, ich kann sie schon gar nicht mehr zählen. In schlechten Phasen komme ich auf 8 Tage im Monat migränebedingter Kopfschmerzen, zusammen mit Übelkeit und Erbrechen. Es gibt Medikamente, die relativ zuverlässig helfen. Sie machen jedoch sehr müde und schlapp. Nach der Einnahme fühle ich mich zumeist für mindestens ein paar Stunden, als sei ein Laster über mich drüber gefahren. Zusätzlich habe ich eine chronische Schmerzstörung entwickelt. Gefühlt wird seit ein paar Jahren jede Kleinigkeit, jedes kleine gesundheitliche Problem, zu einem dauerhaften Begleiter.

Ich habe mich daran gewöhnt. Aber es ist natürlich so: Schmerzen sind echt scheiße. Besonders heikel an der Sache ist, dass ich weder die Medikamente gegen Migräne, noch die gewöhnlichen Schmerzmittel zu häufig einnehmen darf, da ich ansonsten Nebenwirkungen bekommen kann. Dazu gehören unter anderem auch Schmerzen. Ich bekomme von den Mitteln gegen die Schmerzen Schmerzen.

Ich kämpfe an vielen Fronten, damit es mir besser geht.

Ich war bei sehr vielen Ärzten, Heilpraktikern, in Krankenhäusern, auf Kur, bei Physiotherapeuten, Zahnärzten und Psychotherapeuten. Ich habe Autogenes Training versucht, Yoga, Muskelentspannungsverfahren, Achtsamkeitsübungen und Phantasiereisen. Ich mache Sport und habe tolle Hobbys und Freunde, die mich glücklich machen. Ich habe meine Ernährung umgestellt, auf Milchprodukte, Weizen und Zucker verzichtet. Alkohol trinke ich eh fast nie. Ich habe Marihuana gegen die Schmerzen geraucht, habe über lange Zeiträume starke Medikamente aus der Schmerztherapie genommen – alles ohne bahnbrechenden Erfolg.

Ich bekomme von den Mitteln gegen die Schmerzen Schmerzen.

Es gab immer wieder kleine Teilerfolge, bessere Phasen, aber nie den großen Aha-Moment. Das eine "Wundermittel", ich konnte es einfach nicht finden. Mittlerweile habe ich aufgehört, das eine Mittel oder den einen Weg zu suchen, der alles Probleme lösen kann. Stattdessen kämpfe ich an vielen Fronten, damit es mir besser geht. Ja kämpfen, das ist das richtige Wort. Denn es kostet Kraft immer wieder neue Dinge auszuprobieren, dran zu bleiben und vor allem Rückschläge wegzustecken.

Wir alle tragen unser Päckchen und versuchen, damit im Alltag normal klar zu kommen. Was auch immer dieses "normal" für jeden Einzelnen bedeutet. Viele chronisch kranke Menschen sind vermutlich, so wie ich, sehr dankbar, dass sie eine vergleichsweise "harmlose" Krankheit erwischt haben. Mein Krankheitsbild beeinträchtigen meine Lebenserwartung nicht. Nichtsdestotrotz müssen wir "kranken" Menschen mit den jeweiligen Einschränkungen, die die Krankheiten mit sich bringen, leben lernen.

Ich kann die gut gemeinten Ratschläge nicht mehr ertragen.

Für mich ist es eine der größten Herausforderungen, mit den Kommentaren meiner Mitmenschen umzugehen. Es ist ja so, dass die meisten Menschen eher selten krank sind. Sie sind es gewöhnt, dass man wieder gesund wird. Logisch, dass sie annehmen, Gleiches würde auch für mich gelten. Sie haben gelernt, dass man Geduld braucht oder nur das richtige Medikament oder die richtige Behandlung. Und sie meinen es nicht böse, wenn sie versuchen, mir Ratschläge zu geben. Aber ich kann die Nachfragen wirklich kaum noch ertragen: "Warst du denn schon mal beim Arzt?" "Hast du schon mal [setze hier Behandlungsmethode oder Medikament ein] ausprobiert?" "Vielleicht hast du einfach zu viel Stress?" Das sind nur einige der Fragen, die mir Menschen stellen, die mich kaum kennen.

Die meisten Menschen sind eher selten krank. Sie sind es gewöhnt, dass man wieder gesund wird.

Es fällt mir mittlerweile schwer, dabei ruhig zu bleiben. Niemand will mir etwas unterstellen, das weiß ich, aber implizit vermitteln diese Fragen meiner Meinung nach das Bild unserer Gesellschaft: Wer krank ist, trägt daran mindestens eine Teilschuld und muss einfach besser auf sich achten. Das gilt vermutlich nicht für alle Krankheitsbilder, aber für viele. Und es ist in Teilen natürlich auch wahr. Nichtsdestotrotz fühlt es sich als chronisch kranker Mensch, der sein Bestmögliches tut, um sich gut und gesund zu fühlen, jedes Mal wie ein Schlag ins Gesicht an. Und das Schlimmste daran: Man fängt an, das selbst zu glauben. Und so wächst der Druck ins Unendliche.

Die Krankheit bestimmt meinen Alltag

Dabei reicht es doch eigentlich, dass die Krankheit meinen Alltag bestimmt. Selbst bei kleineren Entscheidungen beziehe ich sie mit ein. Mein Körper reagiert oft unberechenbar, sodass ich oft nicht weiß, was gerade gut für mich wäre. Eine ganz einfache Entscheidung, zum Beispiel ob ich heute zum Sport gehe, kann zu einer unverhältnismäßig großen Herausforderungen werden. Am Beispiel des Sports, lässt sich das gut erklären: Grundsätzlich tut Sport mir und meinem Körper gut. Und zur Vorbeugung von Migräneattacken wird von Medizinern empfohlen, mehrmals die Woche eine Ausdauersportart auszuüben. Außerdem werden beim Sport Stresshormone abgebaut und die Muskulatur, besonders im Schulter- und Nackenbereich, gestärkt. Trotzdem geht es mir nach dem Sport teilweise schlechter als vorher. Ich habe dann starke Schmerzen oder bekomme am nächsten Tag Migräne. Meine Vermutung ist, dass mein Körper in diesen Momenten von mir überlastet wurde. An anderen Tagen tut mir der Sport wiederum gut. Ich weiß einfach oft nicht, wie mein Körper reagieren wird, sodass ich abwägen muss. Ich glaube, ich habe in diesem ganzen Wust aus Empfehlungen und Meinungen mein Selbstgefühl verloren.

Ich will nicht als "anders" und "krank" wahrgenommen werden. Aber die Zweifel nagen heimlich. Besonders in Phasen, in denen es mir sehr schlecht geht. Dann machen mich die Hilflosigkeit und die Verzweiflung fertig. Über die Jahre bin ich dadurch in eine selbstzerstörerische Spirale geraten. Ich will mein Leben und meine Krankheit in den Griff kriegen. Denn wenn es mir besser gehen soll, muss ich dafür auch etwas tun. Aber ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe und vor allem, dass Menschen mich nicht akzeptieren, wie ich wirklich bin. Wahrscheinlich, weil es mir selbst so schwer fällt, mich zu akzeptieren wie ich bin. Der Stress führt dazu, dass es mir physisch und psychisch schlechter geht. Das führt wiederum dazu, dass sich der Druck erhöht. Und so dreht sich die Spirale fröhlich abwärts.

Seid interessiert und informiert euch!

Ich glaube, vielen Menschen mit chronischen Krankheiten geht es ähnlich wie mir. Sei es eine starke Allergie oder Neurodermitis, Schilddrüsenerkrankungen oder ständige Magenschmerzen, jede gesundheitliche Einschränkung ist scheiße. Wenn ihr Freunde mit Gesundheitsproblemen habt, möchte ich euch basierend auf meinen Erlebnissen raten:

Seid interessiert und informiert euch. Fragt nach, wie es sich gerade für den Freund oder die Freundin anfühlt, worüber die Person sich Sorgen macht, was momentan das Schlimmste für sie ist. Gebt keine pauschalen Ratschläge, sondern bietet eure Hilfe an und fragt was ihr machen könnt. Es kann auch hilfreich sein, zusammen zu recherchieren und neue Ideen zu finden. Aber fragt die Person, ob sie das möchte. Denn vielleicht verfolgt sie zur Zeit ihren eigenen „Behandlungsplan“ und es ist schwierig, mehrere neue Ansätze oder Ideen gleichzeitig auszuprobieren.

Seid einfach da. Besonders in schlechten Phasen ist es das Beste, wenn Freunde einfach nur da sind und man sich einmal auskotzen oder einfach nur anlehnen kann. Dabei ist es wichtig, dass ihr euren eigenen Drang zu helfen etwas zurück stellt. Für neue Ideen, neue Ansätze, neue Ärzte oder Ähnliches ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Helft nur, so viel ihr könnt.

Humor hilft immer

Mir persönlich hilft auch in den schlechtesten Phasen Humor am meisten. Ich habe einen sehr lieben Freund, der an einem schlechten Tag zunächst die ganze Welt mit mir zusammen verflucht und anschließend sich etwas über mich lustig macht. Dann merke ich, wie theatralisch ich unter Umständen gerade bin und wir können gemeinsam lachen. Und GIFs von lustigen Tieren helfen auch immer ein bisschen.

von Anna Linds

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