Warum tragen Berliner eigentlich so viel Schwarz?

© Kerstin Musl

Neulich wollten wir von euch wissen, was ihr an Berlin niemals verstehen werdet. Da gab es eine ganze Menge, aber eine Frage blieb hängen und beschäftigt mich seitdem: warum tragen Berliner eigentlich so viel Schwarz? Im Sommer, im Winter, zu jeder Tageszeit und bei jeder Gelegenheit. Wüsste ich es nicht besser, würde ich die hippen Bezirke der Stadt anhand dieses ungeschriebenen Dresscodes für ein riesiges Ferienlager der Jungen Union halten. Ich habe aber auch ein paar realistischere Theorien, warum die Lieblingsfarbe der Berliner ausgerechnet keine Farbe ist.

Hello darkness my old friend

Eine naheliegende Erklärung könnte sein: viele Berliner sind einfach sehr oft sehr traurig. Es gibt auch allen Grund dazu: die harten Winter, die schlechte Luft, die teuren Bowls, der Wohnungsmarkt, die dunkle Bedrohung durch Fahrraddiebe und skrupellose Investoren, die Überfüllung, die Wartezeiten auf dem Bürgeramt. Da kann man ja nur in ein dunkles Loch fallen. Folgerichtig tragen Berliner ihre urbane Sadness nach außen gut sichtbar als Trauerflor und wer vor dem Frühstück schon dreimal geheult hat, der will wahrscheinlich auch keinen roten Pullover anziehen. Draußen die zahlreichen anderen Schwarzträger und -trägerinnen zu sehen, spendet dann wenigstens ein bisschen Trost. Hello darkness my old friend!

Oder ist es doch nur reiner Pragmatismus? Schwarz verzeiht immerhin sehr viel. Dreck, Blut, Kaffee, Schweiß – auf schwarzem Grund sieht man wenig bis nichts davon. Wenn man je nach Beruf und Wohnort fast täglich mit mindestens zwei dieser Substanzen in Berührung kommt, weiß man eine robuste schwarze Jeans, ein schwarzes Hemd und schwarze Boots sehr zu schätzen. Eigentlich kann nichts mehr schiefgehen – außer vielleicht, dass man mit den hellen Substanzen in Kontakt kommt, die in hoher Konzentration durch die Adern Berlins fließen: Mayo, Sperma, aufhellende Zahncreme, Muttermilch, Katzenhaare, White Russians.

Der perfekte Berlin-Look: schwarzes Outfit, schwarze Schuhe, schwarze Augenringe

Wo wir gerade von Alkohol reden: vielleicht liegt auch im Nachtleben die Antwort. Als Hauptstadt des Techno und Standort des berühmtesten Clubs der Welt ist der Stil Berlins maßgeblich davon mitgeprägt – musikalisch, kulturell, modisch. Nicht umsonst tragen 98% der Anstehenden vor dem Berghain Schwarz. Wer auch außerhalb der Öffnungszeiten ein wenig tieffrequente Coolness ins Großraumbüro bringen möchte, schafft das mit einem komplett schwarzen Outfit – und vielleicht ein paar Augenringen in der gleichen Farbe.

Farbpsychologisch betrachtet, lässt Schwarz so viele Assoziationen zu, dass für jeden der 3,5 Millionen Berliner eine passende dabei ist. Schwarz ist lässig, bodenständig, zurückhaltend, stilvoll, seriös, mysteriös, minimaliststisch, es strahlt Macht, Professionalität und Eleganz aus und steht für den Tod. Die Farbe passt damit zu so ziemlich jeder Lebenslage, in die man geraten kann – und ist so vielseitig einsetzbar, wie es sonst nur von Reinigungsprodukten beim Teleshopping versprochen wird.

Wem Schwarz zu langweilig ist, der kann ja ins Disneyland ziehen

Außerdem: wer hat schon zwischen stressigem Beruf und zehrendem Nachtleben Zeit, sich um ausgefallene Farbkombinationen in seinen Outfits zu kümmern? Nur eine Farbe zu tragen, spart sehr viel Energie: beim Einkaufen, beim Anziehen, beim Waschen. Na gut, man steht vielleicht kurz jeden Morgen mit Grubenlampe auf dem Kopf vor dem Schrank, weil man im schwarzen Stoffhaufen die einzelnen Teile nicht auseinanderhalten kann. Aber abgesehen davon hat die schwarze Uniform keine Nachteile für Berliner mit hohem Lebenstempo.

Und warum nun ausgerechnet monochrom schwarz und nicht zum Beispiel Yves-Klein-Blau oder Pantone 1235c, das Lufthansa-Gelb? Die Antwort ist vermutlich eine Mischung aus allen Erklärungsansätzen. Es ist praktisch, universell einsetzbar, einfach, aber nicht banal, luxuriös, aber nicht angeberisch, lässig, aber nicht nachlässig. Man kann schwarzen Klamotten höchstens vorwerfen, langweilig zu sein, aber so ist das eben mit Klassikern. Wer Aufregung will, muss dann eben doch ins Berghain. Natürlich aber nur in einem schwarzen Outfit.

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