Scheiß auf die Sonne – Warum machen wir unsere Laune vom Wetter abhängig?

© Matze Hielscher

Das hier ist meine offizielle Unabhängigkeitserklärung vom Wetter. Ich mache da nicht mehr mit. Ich lasse mir vom Wetter nichts mehr vorschreiben. Nicht meine Laune, nicht meinen Tagesablauf, nicht, wie ich mich fühle und nicht, wann ich Eis oder Suppe esse. Das geht das Wetter gar nichts an. Fick das Wetter.

Das Wetter ist immer da und macht das ganze Jahr, was es will. Warum also sollte ich mich damit auseinandersetzen? „Ostern in Berlin wird nass und ungemütlich“, schreibt die Morgenpost. Entschuldigung, woher wollen die denn jetzt schon wissen, dass mein Ostern ungemütlich wird? „Bleib heute besser im Trockenen. Für Berlin ist Regen vorhergesagt“, schreibt mir Facebook. Für Berlin ist auch ein Flughafen und bessere Radwege vorausgesagt, also warum sollte ich diese Empfehlung ernst nehmen?

Ich bin mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo ich diesen Zusammenhang zwischen Wetterlage und allen anderen Zuständen, die nichts mit Verkehrssicherheit zu tun haben, nicht mehr verstehe. Außer Fluglotsen und vielleicht Landwirten muss sich heutzutage niemand mehr um das Wetter kümmern. Wetter ist over. Und ich glaube sogar, es hätte ausschließlich Vorteile, wenn das Wetter einfach egal wäre.

Wir müssten viel ehrlicher sein, wenn Wetter egal wäre

Nie wieder „Sonnige Grüße" aus Hamburg oder Salzgitter. Nie wieder Playlists wie „Sunny Mornings“ oder „Autumn Lounge“, die gefühllosen Menschen das Gefühl geben, etwas empfinden zu können. Songs wie „Sunshine Reggae“ – weg damit. Nicht mehr die Vorfreude nach unten korrigieren, wenn man kurz vor Abflug auf die Kanaren eine Regenvorhersage angezeigt bekommt. Keinen "Winterzauber"-Tee mehr trinken müssen. Keinen dämlichen Wetter-Small Talk abhalten und nie wieder dramatische Erkrankungen wie Frühjahrsmüdigkeit in der Apotheken-Umschau thematisieren. Was für eine schöne neue Welt das wäre! Wie viel Zeit, Energie und kreativen Freiraum man plötzlich für die wirklich wichtigen Dinge hätte!

Nie wieder „Sonnige Grüße" aus Hamburg.

Was würde wohl passieren, wenn man das Wetter streichen würde? Man müsste sich eingestehen, dass man sich nichts zu sagen hat. Zugeben, dass nicht das miese Wetter, sondern das eigene Desinteresse daran Schuld ist, dass man nicht mitkommt zum Feiern. Erkennen, dass man ein fauler Hund ist, der bei Nieselregen nicht laufen gehen will. Den jahrelangen Herbstblues beim Namen nennen und Depression dazu sagen. Vom beschissenen Urlaub erzählen statt vom guten Wetter. Nicht mehr über "Bikinifigur" und "Winterspeck" nachdenken. Das erste Eis des Jahres an Silvester essen. Echte statt nur Frühlingsgefühle haben. Das wäre wirklich mal was Neues.

Warum unterwerfen wir uns immer noch so primitiven Naturgewalten?

Man hält sich ja immer für ein fürchterlich komplexes Wesen in seinem ganzen Denken und Fühlen, so als Mensch. Dann scheint die Sonne, wir grinsen debil in die Frontkamera und trinken mit offenem Hemd Schwachsinn mit Strohhalm. Nach fünf trüben Tagen kaufen wir gelbe Smoothies uns hören nur noch Conor Oberst. Nein, ab sofort ohne mich. Es muss auch ein Leben jenseits der 3-Tages-Vorhersage geben.

Mittlerweile werde ich regelrecht wütend, wenn ich mich dabei ertappe, wie ich entgegen jeder Lust oder Motivation nach draußen gehe und missmutig versuche, den Frühling zu genießen, wenn eigentlich das einzige, was ich in diesem Moment genießen will, mein Bett oder ein Darkroom ist. Andersherum dasselbe: Warum sollte mich Regen und Wind von einem Sonntagsspaziergang abhalten, wenn mir nun mal danach ist?

Den Tagesablauf dem Wetter zu unterwerfen scheint mir schlichtweg archaisch – vor zweihundert Jahren, als eine verregnete Ernte unter Umständen zwei verhungerte Kinder in der Familie bedeutete – fair enough. Aber heute? Sich mit dem Wetter zu synchronisieren ist einfallslos und unmodern. Petrus, ich kündige. Und jetzt gebt mir meinen Regenmantel. Ich kaufe ein Eis.

Jetzt gebt mir meinen Regenmantel. Ich kaufe ein Eis.

In ihrer Kolumne "Fragen an das seltsame Leben" stellt Autorin Ilona diesem seltsamen, komplizierten, immer wieder neuen Leben Fragen zu den großen, aber vor allem zu den kleinen unscheinbaren Rätseln des Alltags. Und weil man als erwachsener Mensch alles selber machen muss, liefert sie die Antworten gleich mit.

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