Warum Bowls auch nichts anderes sind als Wurst in Gesichtsform

© Ilona Hartmann

Stellt euch vor, ihr sitzt in einem dieser hippen Berliner Cafés und wollt euch ein Müsli mit Joghurt bestellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in der Form auf der Karte steht? Nicht sehr hoch. Nicht etwa, weil Haferflocken out sind oder jemand die coolen Kids mit Joghurt im Rucksack doch mal geschubst hat. Nein, das Problem liegt woanders. Mittlerweile kann Müsli nur noch mit dem Zauberwort “Granola Bowl” bestellt werden. Diese – nennen wir es einfach mal so – Bowl-isierung betrifft aber nicht nur das Frühstück. Mahlzeiten in Schüsseln verbreiten sich in der ganzen Stadt gerade wie eine Epidemie.

Zugegeben, das Ganze war ungefähr so vorhersehbar wie die Scheidung von Brangelina (R.I.P.). Denn das Internet haben die Bowls schon längst im Griff. Happy-Healthy-Food-Blogger leiden schon länger unter dem Zwang, ihre Mahlzeiten in Schüsseln wie Gemälde anrichten zu müssen. Eine Schlangenlinie aus Chiasamen, ein bisschen verspielt mit lustigen Gemüsezoodles. Nie ganz klar dabei: Ist das jetzt Kunst oder isst das noch jemand? Es wirkt, als hätte jeder einen Spiralschneider zu Hause, aber niemand mehr einen flachen Teller im Schrank.

Healthy statt hungrig

In Berlin krochen die Bowls eher langsam auf die Speisekarten der In-Restaurants. Denn eigentlich regierte da lange jemand ganz anderes: der Burger. Über die letzten Jahre hatte er sich seinen Status mühsam erarbeitet. Erst gab es kaum einen Stadtteil mehr ohne Burgerladen, dann kaum mehr einen Kiez, jetzt fast kein Haus mehr. Doch die Berliner haben sich sattgegessen, den smarten Wortspielakrobaten fällt nichts Neues mit "Burger" und "Bürger" mehr ein. Ein leichtes Spiel also für die gesunde Nummer namens Bowl. Sie, die dem Burger nicht unähnlicher sein könnte. Sie, die für unsere Fleischeslust zu kompensieren versucht. Sie, die auch ohne Süßkartoffelpommes auskommt.

Lebensmittel einfach mal anders servieren und schon glauben alle, sie würden auch anders schmecken.

Und nicht nur das. Bowl – das klingt so wahnsinnig mondän und ein bisschen aufregend. Bowls sind vielschichtig und vielseitig, alte Ideen mit moderner Seele. Sie geben uns das Gefühl, etwas Angesagtes und dadurch bestimmt auch Gutes (na klar) zu essen. Egal, ob nur ein paar lustig gelaunte Kichererbsen oder Reis mit Scheiß in der Schüssel liegen. Das schafft kein Schnitzel und erst Recht kein normaler Salat. Hier greift das psychologische Konzept der Wurst in Gesichtsform: Lebensmittel einfach mal anders servieren und schon glauben alle, sie würden auch anders schmecken.

Doch was rechtfertigt die horrenden Bowl-Preise? Insbesondere, wenn man eine bunte Schüssel bestellt und schon nach zwei Löffeln mit sehr viel Reis allein gelassen wird? Der Coolness-Faktor kostet selbstverständlich extra. Ein Schicksal, dass auch schon andere – im Grunde ziemlich langweilige – Lebensmittel ereilte. Für eine Scheibe Sourdough Bread mit Käse gibt es beim Bäcker ein ganzes Landbrot. Und für den Preis von Overnight Oats könnte man locker ein Klo im Berghain mit stinknormalen Haferflocken verstopfen.

Comeback für den Burger?

Noch ist für den Trend kein Ende in Sicht, eher macht er es sich erst so richtig gemütlich. Was sich aber jetzt schon abzeichnet: Mit gesund hat das Ganze nicht mehr wirklich etwas zu tun. Immer häufiger schmeißen die Bowl-Anbieter günstige füllende Zutaten in die Schüssel und ruhen sich auf der gut klingenden Bezeichnung aus. Das wird nicht ewig unbemerkt bleiben. Und dann? Dann können wir eigentlich auch wieder Burger essen. Vielleicht ja mit Bowletten.

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