"Kann man in der U-Bahn eigentlich Hausverbot bekommen?" – Umziehen mit der BVG

© Jürgen Bürgin

Wenn mein Home mein Castle ist, wie es so schön heißt, dann ist mein Sofa mein Thron. Deswegen möchte ich passend zur neuen Wohnung im schicken Charlottenburg auch ein neues, schickes Sofa haben. Da der Kontoauszug gerade nicht ganz so schick aussieht, entscheide ich mich für ein eBay-Angebot. Der Vorteil: Das Objekt der Begierde steht nur etwa drei U-Bahnstationen entfernt. Ich finde, da kann man sich auch das Möbeltaxi gleich sparen.

Mein bester Kumpel Andi, der beim Abholen helfen soll, findet das nicht. Er gibt zu bedenken, dass diese drei U-Bahn-Stationen immerhin 30 Minuten Fußweg ausmachen – schon ohne Sofa, wohlgemerkt. Ich winke ab. Wir sind schließlich zwei starke Kerle. Was soll so ein bisschen Pressspan mit Lederimitat-Bezug schon wiegen?

Schon das Treppenhaus — eigentlich nur die erste Etappe der Reise — erweist sich schnell als Endgegner.

Tatsächlich wiegt das bisschen Pressspan mit Lederimitat-Bezug doch so einiges. Das bemerken wir natürlich erst, als wir das Ding bereits abgeholt haben und verzweifelt versuchen, es aus dem Haus des Vorbesitzers hinauszubugsieren.

Schon das Treppenhaus — eigentlich nur die erste Etappe der Reise — erweist sich schnell als Endgegner. Da das Sofa keine Füße hat, an denen man es anheben könnte, muss ich mich mit der unförmigen Armlehne begnügen. Die rutscht mir allerdings alle paar Schritte aus den Händen, sodass das Sofa Andi entgegen stürzt, der panisch aus dem Weg springt und jedes Mal laut "Um Himmels Willen!" durch den Hausflur brüllt. Der Vorbesitzer des Sofas beobachtet das Spektakel vom oberen Treppenabsatz aus. Auf die Idee, seine Hilfe anzubieten, kommt er nicht. Das kann ich ihm aber auch nicht wirklich übel nehmen – vermutlich geht er davon aus, dass wir hier zur allgemeinen Belustigung einen kleinen Sketch aufführen.

Nach der längsten halben Stunde aller Zeiten haben wir es endlich nach draußen geschafft. Der Schweiß strömt mir aus allen Poren; ich spüre den Tod. Da Andi nicht wesentlich besser aussieht, stellen wir das Sofa kurzerhand auf dem Gehweg in den Schneematsch und setzen uns. Andi nutzt die Verschnaufpause, um festzustellen, dass er niemanden auf der Welt mehr hasst als mich. Ich kann es ihm nicht ganz verdenken.

Andi nutzt die Verschnaufpause, um festzustellen, dass er niemanden auf der Welt mehr hasst als mich.

Sicher ist: Zu mir nach Hause kommen wir zu Fuß nicht. Aber an der nächsten Ecke sehe ich das blauweiße U-Bahn-Logo einladend leuchten. Als ich Andi meinen Vorschlag unterbreite, fragt der sich kurz, ob man in der U-Bahn wohl Hausverbot bekommen könnte. Eine bessere Idee hat er aber auch nicht.

Da wir uns einer weiteren Treppe noch nicht gewachsen fühlen, wuchten wir das Sofa kurzerhand in den Aufzug zum Bahnsteig, und, oh Wunder: Zu unserer Überraschung passt der Zweisitzer da auf den Millimeter genau rein. Ich werfe mich noch schnell über die Rückenlehne, ehe die Glastüren sich vor mir schließt.

Kann man in der U-Bahn eigentlich Hausverbot bekommen?

Die Bahn, die einfährt, ist zum Glück eine von den alten. In einen der schlauchartigen neuen Züge hätten wir das Sofa kaum rein bekommen; hier aber passt es ins Fahrradabteil. Knapp. So knapp, dass gerade so die Türen zugehen. Andi und ich schauen demonstrativ in die andere Richtung und tun so, als hätten wir gar nichts zu tun mit diesem klobigen Polstermöbel, das nun schräg direkt vor den Türen steht.

Schon an der nächsten Station müssen wir diese Taktik allerdings aufgeben, als ein Herr im mittleren Alter zusteigen möchte. Ich biete ihm an, er könne sich gern aufs Sofa setzen. Er glotzt uns aus riesigen Froschaugen an und fragt, ob ich vom Fernsehen sei. Kurz überlege ich, ob ich einfach "Ja" sagen sollte, um weiteres Übel abzuwenden. Aber der Mann mit den Froschaugen hat sich schon von uns abgewandt; jetzt schaut er suchend im Wagon umher, ein wissendes Lächeln auf den Lippen. Das sei doch hier offensichtlich Versteckte Kamera, sagt er. Ihm könne man da nichts vormachen, ihm nicht. Wir schweigen. An der nächsten Station steigt der Mann mit den Froschaugen sichtlich enttäuscht wieder aus.

Dafür steigt am anderen Ende des Wagons ein Typ zu, dessen Lederjacke mindestens ebenso speckig ist wie sein Haar, das ihm in langen braunen Strähnen über die Schultern hängt. Als er uns bemerkt, stutzt er kurz, dann kommt er rüber. Er gratuliert uns zu dem coolen Teil. Voll edel, findet er. Wird sich bestimmt mega machen in unserem Club. Wir hätten doch sicher 'nen Club, oder? Bevor einer von uns antworten kann, möchte er auch schon wissen, welche Mucke so in unserem Laden gespielt wird; er hätte nämlich diese mega-geile Band an der Hand. Anscheinend ist es für Berliner Club-Besitzer üblich, frisch erstandene Möbel in den Öffis spazieren zu fahren; jedenfalls können wir ihn von seiner Überzeugung nicht abbringen. Erst, als ich seine verknitterte Visitenkarte annehme, steigt er endlich aus.

Anscheinend ist es für Berliner Club-Besitzer üblich, frisch erstandene Möbel in den Öffis spazieren zu fahren.

Gleichzeitig wird es richtig voll in unserem Abteil, denn nun steigt eine Reisegruppe aus schwedischen Teenies zu. Als die Gruppe das Sofa entdeckt, bricht sofort Begeisterung aus. Handys werden gezückt, Kameras blitzen, und plötzlich finden wir uns inmitten eines Fotoshootings wider. So wie die Schweden sich auf und um mein Sofa herum in Szene setzen, könnte man meinen, es sei das Brandenburger Tor.

Es dauert nicht lange, dann geben die Schweden uns zu verstehen, dass wir uns dazu setzen sollen. Von links und rechts legen sich Arme um unsere Schultern, eines der Mädels drapiert sich quer über unsere Beine – und das Blitzlichtgewitter beginnt von Neuem. Um ein Haar hätten wir unsere Station verpasst.

Mit Händen und Füßen scheuchen Andi und ich die Schweden vom Sofa. Dann wollen wir aussteigen. Dazu müssen wir das Sofa allerdings etwas drehen, und da haben wir die Rechnung ohne die Haltestange in der Mitte des Abteils gemacht. Es entbrennt eine Art Tetris-Spiel mit nur einem einzigen, störrischen Teil. Die Schweden feuern uns an und gestikulieren wild.

Um uns herum ist das allgemeine Ein- und Aussteigen inzwischen beendet. Uns bleiben nur noch Sekunden. Mit dem Mut der Verzweiflung richten wir das Sofa senkrecht auf und schubsen es dann aus dem Zug auf den Bahnsteig. Auch wir schaffen es gerade noch nach draußen, ehe die Zugtüren sich zischend hinter uns schließen. Als die U-Bahn weiterfährt, winken die Schweden uns aus dem Abteil zu.

Andi und ich sind zufrieden. Das lief doch besser als erwartet. Woran wir noch nicht denken wollen, ist der Restweg zu meiner Wohnung. Wir stellen das Sofa erstmal wieder richtig auf, setzen uns und machen ein Päuschen.

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