Szenen unter sich – Das nervt mich an Berliner Bars

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Versteht mich nicht falsch: Ich liebe Berlin. Und ich liebe auch Berlins Bars. Von trashigen 3-Euro-Happy-Hour-Cocktails über solides Mittleklasse-Saufen bis hin zu hochklassigen Drinks mit hochklassigen Preisen wird hier alles geboten, was das Herz begehrt. Einige Bars habe ich im Laufe der Zeit fast schon zum zweiten Wohnzimmer entwickelt. In einer wird sogar ein Cocktail serviert, der nach mir benannt ist – „11 Orte in Berlin, an denen du mit Victor trinken kannst“, wie wär's?

Und trotzdem gibt es etwas, was mich in letzter Zeit an Berlins Bars und Kneipen stört: die Gesichter. Genauer gesagt: die immer selben Gesichter. Unsere Bars sind ein Traum für jeden Marketing-Menschen – hier trennen wir uns nämlich fein säuberlich in unterschiedliche Zielgruppen auf, und das auch noch von ganz allein. Hier trinken die Anzugträger und Business-Typen, dort die Künstler und Hipster. In der Eckkneipe trinken die Renter ihr Feierabendbierchen, in der Happy-Hour-Bar schräg gegenüber gibt’s billigen Stoff für Schüler und Studenten.

Unsere Bars sind ein Traum für jeden Marketing-Menschen – hier trennen wir uns nämlich fein säuberlich in unterschiedliche Zielgruppen auf.

Vor einiger Zeit stolperte ich mit Freunden in eine Kneipe, um noch einen Absacker zu trinken. Den kriegten wir auch, aber Lust zum Verweilen wollte sich nicht so richtig einstellen. Trotz der redlichen Small-Talk-Versuche der Wirtin – das Wort „Barkeeperin“ erscheint mir an dieser Stelle unpassend – wurden wir das Gefühl nicht los, zu stören. Die übrigen Gäste waren nicht nur an die 20 Jahre älter als wir, sie senkten auch schlagartig die Stimme, als wir am Tresen Platz nahmen, und schielten von da an immer wieder argwöhnisch zu uns hinüber. Es war, als wären wir versehentlich in ein konspiratives Treffen geraten. Und tatsächlich: Kaum war die Tür wieder hinter uns ins Schloss gefallen, gingen drinnen die lautstarken Gespräche weiter.

Zu Abiturzeiten hatte ich das Problem nicht. Da wohnte ich noch im beschaulichen Lichtenrade, und die Auswahl an Kneipen war, vorsichtig ausgedrückt, beschränkt: Wenn die Clique zu später Stunde noch der Bierdurst packte, landete man in Ermangelung von Alternativen meist im „Gemütlichen Treff“. So wie uns ging es vielen Lichtenradern, und so kam im rustikalen Treff alles zusammen, was sich so in Lichtentown tummelte. Einmal traf ich meinen Biologielehrer am Tresen und unterhielt mich bis in die frühen Morgenstunden über Gott und die Welt mit ihm. Das war im Nachhinein ein wenig seltsam, aber auch ziemlich cool – über Nacht war aus dem dem strengem Professor Doktor ein richtiger Mensch geworden!

In den klassischen Pubs sind alle Durstigen gleichermaßen willkommen und fühlen sich auch so.

Wie es as aussieht, wenn die örtliche Kneipe jedermanns zweites Wohnzimmer ist, durfte ich erst vor kurzem in London sehen. Nicht nur stolpert man quasi unweigerlich von einem Pub in den nächsten, die sind auch ab Mittag proppevoll – so voll, dass die Leute in der Innenstadt schon ab dem frühen Nachmittag mit ihrem Bier in der Hand vor den Lokalen stehen und sich angeregt unterhalten. Hier steht der Anzugträger ganz selbstverständlich neben dem Hipster und der Rentnerin. Allein der Platzmangel macht alles andere unmöglich. Außerdem sind die meisten Engländer ja auch so aufgewachsen. Sicher gibt es auch in London Szene-Bars, in die der ein oder andere sich nicht verirrt – in den klassischen Pubs sind aber alle Durstigen gleichermaßen willkommen und fühlen sich auch so.

Werde ich nun meinen Stammbars entsagen und mich lieber in die nächste Eckkneipe setzen? Möchte ich an euch appelieren, dasselbe zu tun? Natürlich nicht! Ich trinke ja nicht ohne Grund da, wo ich trinke, und darauf werde ich auch in Zukunft nicht verzichten. Verzichten muss ich dafür aber weiterhin auf die Geselligkeit, an die ich mich aus Schulzeiten erinnere und die ich in den Londoner Pubs neu kennengelernt habe. Aber sicher gibt es auch in Berlin den ein oder anderen Ort, wo die sich erleben lässt. Die Suche lohnt bestimmt.

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