"Stadt aus Gold": Das Jüdische Museum Berlin ergründet den Mythos Jerusalem
Die "Women of the Wall" kämpfen gegen die patriarchischen Strukturen der ultraorthodoxen Juden
Wer die Berge nach Jerusalem hinauffährt, trifft an der Stadtgrenze auf ein grünes Schild, das die Besucher auf Hebräisch, Arabisch und Englisch mit den Worten „Willkommen in Jerusalem“ begrüßt. Mit ebenjener Phrase heißt auch ein überdimensioniertes Banner die Gäste des Jüdischen Museums Berlin in Kreuzberg willkommen. Die großangelegte Sonderausstellung „Welcome to Jerusalem“ eröffnete Anfang Dezember 2017 und kann bis zum 30. April 2018 besucht werden. Im Vergleich zu früheren Sonderausstellungen des Hauses nimmt sie einen deutlich größeren Raum ein und kompensiert somit die wegen Umbaus geschlossenen Abteilungen der in der Generalüberholung befindlichen Dauerausstellung, die schon seit einigen Monaten auf der Agenda stand.
Dass mehr Fläche als gewöhnlich zur Verfügung steht, kommt einem Thema wie „Jerusalem“ wie gerufen. Die Stadt ist nicht nur aus historischer und religionswissenschaftlicher Perspektive interessant, sie ist darüber hinaus zahlreichen Gläubigen der drei großen monotheistischen Religionen heilig – und natürlich ein Politikum, nicht erst seitdem Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat.
Um Trumps Handeln geht es jedoch nur am Rande. Zunächst wird den Besuchern die Bedeutung Jerusalems als heilige Stätte für Judentum, Islam und Christentum vor Augen geführt. Diese „Heiligkeit“ zeigt sich für Juden in den Tempelbauten von David und Salomon, für Christen in der Passionsgeschichte und für Muslime in Mohammeds Ritt in den Himmel. Der Übergang ist dramaturgisch geschickt aufgebaut. Im ersten Raum ist von Heiligkeit wenig zu spüren. Vielmehr zeigt sich das profane Alltagsleben: Menschen, die Wäsche waschen oder Brötchen backen und Jugendliche, die in einem abgeranzten Skatepark abhängen. Anspruch und Wirklichkeit krachen unverblümt aufeinander.
Fokussiert wird der feministische Kampf ultrareligiöser Frauen
Die folgenden Themenräume widmen sich beispielsweise der Kartografierung, Pilgerreisen, dem historischen Wendepunkten (inklusive eines Abschnitts zum Besuch des deutschen Kaisers), der Stadtentwicklung und natürlich dem religiösen Leben. So gibt es etwa biographische Kurzskizzen eines Muezzins, eines Franziskaner-Bruders und eines ultraorthodoxen Rabbiners. Erstaunlich ist jedoch, dass nicht nur Mainstream-Vertreter filmisch vorgestellt werden. Auch ein junger äthiopischer Jude kommt zu Wort. Kenner wissen, dass die Falaschen, wie die Juden äthiopischer Abstammung heißen, gesellschaftlich nicht anerkannt sind und mitunter diskriminiert werden.
Überhaupt werden reichlich kontroverse Streitpunkte in Angriff genommen, die dem klassischen Israel-Besucher bei seiner Rundreise nicht unbedingt gezeigt werden. Die „Women of the Wall“ etwa kämpfen für mehr Freiraum an der Klagemauer. Es ist der feministische Kampf ultrareligiöser Frauen. Ihnen gegenüber stehen die Verfechter des Tempel-Wiederaufbaus, die noch immer hoffen, den Tempelberg eines Tages wieder in jüdischer Hand zu wähnen.
Auffällig ist, dass die Ausstellung mit viele Liebe fürs Detail entwickelt wurde. Unter den Exponaten sind klassische Tempelmodelle ebenso wie Pilgerutensilien und religiöse Kleidung. Als Begleiter bekommen Besucher ein Buch mitgegeben, das über die einzelnen Exponate Hintergrundinformationen liefert. Optional gibt ein Audioguide weiterführende Informationen.
Insgesamt handelt es sich um eine mehr als gelungene Ausstellung, die viele Basisinformationen liefert, aber auch Details bereithält, die einladen, sich intensiver mit einzelnen Abschnitten der vielschichtigen Geschichte Jerusalems zu beschäftigen.
Es heißt, Jerusalem sei eine Stadt aus Gold. Sie ist wohl eher eine Stadt aus leuchtend weißem Stein, in dem sehr, sehr viel Geschichte steckt. Diese gilt es nun zu entdecken. Für alle, die es nicht bis nach Israel schaffen, gäbe es derzeit keinen besseren Ort hierfür als das Jüdische Museum Berlin. Und auch wer sich noch unsicher ist, ob er die Reise ins kontroverse Land antreten sollte, eignet sich ein Gang besonders. Und wer weiß, am Ende heißt es nicht nur am Ausgang des Museum: L'Shana Haba'ah B'Yerushalayim, nächstes Jahr in Jerusalem.
"Welcome to Jerusalem" | Jüdisches Museum Berlin | Lindenstraße 9-14, 10969 Berlin | tgl. 10–20 Uhr | Eintritt: 8, erm. 3 Euro | Mehr Informationen
Max Müller