Sind wir nicht alle Helikopter-Eltern?
Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge erfahrt ihr, ob ihr Helikopter-Eltern seid.
Meine Tochter ist im Virchow zur Welt gekommen. Hat sich angeboten, weil wir direkt auf der anderen Straßenseite wohnen. Allerdings haben wir uns eine Beleg-Hebamme besorgt, damit wir nach der Geburt gleich nach Hause können. Für die, die’s nicht wissen: Beleg-Hebammen sind Freelancer, die für die Geburt einen Raum und die Infrastruktur vom Krankenhaus „mieten“. Und Mutter und Kind danach ambulant zuhause betreuen.
Das hat unter anderem den Vorteil, dass man sie vorher schon kennenlernt und ein paar Sachen besprechen kann. Was erwartet uns? Wie können wir uns vorbereiten? PDA, ja oder nein? So'n Kram halt. Nicht ganz unwesentlich. Unsere Hebamme war eine coole Sau aus dem Speckgürtel. „Ruft mich einfach an, sobald’s losjeht. Dann bin ick 'ne Stunde später da.“
Wir wackeln also um halb zwei in der Frühe über die Straße. Fruchtblase ist schon geplatzt, noch keine Wehen. Meine Frau ist entspannter als ich, aber sie ist auch ein Teufelskerl. Bis wir von der Schwester begrüßt werden:
Wenn die Wehen losgehen und das Krankenhaus überbelegt ist
„Kommt gleich jemand zum Abtasten. Aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass wir überbelegt sind. Stellen Sie sich schon mal darauf ein, ins Urban zu fahren.“
„Aber wir haben eine Beleg-Hebamme“, sagt meine Frau. „Die darf doch nur hierher kommen.“
„Ja, tut mir leid. Heute Nacht ist einfach viel los. Im Urban gibt’s auch gute Hebammen.“
Was soll man sagen? Der Stresslevel von Mutter und Kind sinkt jedenfalls nicht durch so eine Ansage. Wir hatten das Glück, dass der Muttermund schon zur Hälfte geöffnet war. In dem Stadium durfte meine Frau nicht mehr verlegt werden.
Die Geburt hat „nur“ sechs Stunden gedauert. Aber es war zwischendurch ziemlich kritisch. Die Hebamme musste ein paar schnelle Entscheidungen treffen. Sie hat alles richtig gemacht. Ich bin mir sicher, das hatte damit zu tun, dass sie meine Frau schon kannte und einschätzen konnte. Ich will nicht wissen, wie die Geburt ohne sie verlaufen wäre. Wenn wir aufgrund von Überbelegung nach Neukölln hätten fahren müssen.
Fällt meine Qype-Bewertung des Virchow deshalb schlecht aus? Ich sag mal so: Die Ärztinnen und Schwestern im Kreißsaal waren ganz zauberhaft. Die Anästhesisten haben schnell und effizient geholfen. Entgegen unserer Planung mussten Frau und Kind dann leider doch für eine Nacht in der Klinik bleiben. Meine Tochter hat nur zweieinhalb Kilo gewogen und da mussten irgendwelche Blutzuckertests gemacht werden. Also Wöchnerinnenstation.
Ich will nicht, dass die unser Kind mitnimmt.
„So, was haben wir denn da? Puh, ich mach erstmal ein Fenster auf, hier ist ja ein Klima wie im Pumakäfig, HAHAHA!“
Die Schwester ist laut. Der Luftzug, den sie erzeugt, riecht nach der Zigarette, die sie gerade vorm Notausgang durchgezogen hat. Kurzhaarfrisur, schwarz gefärbt. Einhorn-Pins in den blassblauen Crocs.
„Hier sind die Formulare für das Neugeborenen-Screening, die können Sie schon mal unterschreiben und… oh, das kann da nicht stehen bleiben. Sie haben ja gar keine Tasse. Bin gleich wieder da. Und dann nehm ich Ihre Tochter kurz mit.“
„Was sind das für Formulare?“, frag ich.
„Wegen Stoffwechselerkrankungen. Am besten unterschreiben Sie’s einfach.“
Sind wir auch Helikopter-Eltern?
Nachdem sie aus dem Zimmer gerauscht ist, schaut meine Frau mich ganz unglücklich an.
„Ich will nicht, dass die unser Kind mitnimmt.“
„Ich kann ja mitgehen“, sag ich und schließe das Fenster.
„WAS WOLLEN SIE?“, werden wir kurz darauf angeschrien.
„Ich würde Sie gern begleiten.“
„Aha, okay.“ Sie schürzt beleidigt die Lippen. „Aber Sie können uns hier schon vertrauen. Wir machen das nicht zum ersten Mal.“
„Wir aber.“
Ich stehe daneben, als sie unsere Tochter abtastet. Wiegen, Größe messen. In der Tat nichts Alarmierendes. Aber die Schwester zeigt mir mit jeder Geste, wie verletzt sie ist. Unser Misstrauen hat sie tief getroffen. Ich verspüre den Drang, mich zu rechtfertigen. Bin gerade mal seit drei Stunden Vater und frage mich schon, ob wir Helikopter-Eltern sind.
Und das ging noch den ganzen Tag so. Ich hab alles geschluckt. Überhaupt nicht cool, was? Statt meine ersten Stunden als Vater auf mich wirken zu lassen, hab ich mit dem passiv-aggressiven Bullshit dieser Schwester gehadert. Vielleicht war ich überrumpelt. Ich musste ja auch erst lernen, dass ich der Superdaddy bin.
Seither gibt es immer wieder mal Situationen, in denen ich mich frage: Sind wir auch Helikopter-Eltern? Zum Beispiel kommen dauernd irgendwelche Verwandten um die Ecke und wollen uns überzeugen, das Kind bei ihnen zu parken. So nach dem Motto: „Mensch, bringt die Kleine doch mal ein paar Tage zu uns, dann könnt ihr euch entspannen.“ Oder: „Ihr wollt übers Wochenende nach Prag? Lasst eure Tochter doch hier, dann habt ihr mehr davon.“
Keine Ahnung, wie's anderen Eltern geht, aber ich mag meine Tochter.
Ich weiß natürlich, die wollen nur helfen wollen. Aber wenn man ablehnt, reagieren sie ähnlich pikiert wie diese spinnerte Schwester. Als würde man ihnen misstrauen. Und sich gluckenhaft verhalten. Aber ich will das halt nicht. Keine Ahnung, wie's anderen Eltern geht, aber ich mag meine Tochter. Ich kann mich auch in ihrer Anwesenheit entspannen. Und ich erlebe gern alles mit ihr zusammen. Außerdem ist das Kind noch nicht mal drei und sowieso schon den halben Tag ohne uns in der Kita.
Ich habe deshalb aufgehört, mir die Helikopter-Frage zu stellen. Wir als Eltern wissen am besten, was gut ist für unser Kind. Deshalb bleiben wir cool. Auch wenn die Leute mit ungebetenen Ratschlägen um die Ecke kommen. „Ihr müsst auch mal was trinken gehen. Ohne eure Tochter. Das ist total wichtig für eure Beziehung als Liebespaar.“ Keine Ahnung, wovon die überhaupt reden.
Helikopter-Eltern sind immer die anderen
Und das soll nun ein Ratgeber sein? In dem ich sage, dass ihr alle Ratschläge in den Wind schießen sollt? Okay, ich geb mir ein bisschen mehr Mühe. Hat natürlich auch seine Tücken, nur auf das eigene Urteil zu vertrauen. Deshalb hier noch auf die Schnelle drei Anzeichen, die euch verraten, dass ihr WIRKLICH fucking Helikopter-Eltern seid:
Erstens, wenn ihr zur Frage „Was sollen wir heute essen?“ gleich 25 Auswahlmöglichkeiten mitliefert (und das Kind in der Zwischenzeit den Hungertod findet). Zweitens, wenn ihr auf dem Spielplatz mehr Freundschaften schließt als euer Kind, einfach aus dem Grund, weil IHR diejenigen seid, die jeden ungefragt voll labern, der nicht bei 3 auf den Bäumen ist. Drittens: Euer Kind hat vor der Einschulung sein erstes Burnout-Syndrom.