Sind Eltern Ego-Schweine, wenn sie ein eigenes Leben führen?

© Clint Lukas

Die Kolumne „Cool trotz Kind“ ist für alle Eltern da draußen. Und für die, die es werden wollen. Autor Clint erklärt, wie ihr auch mit Kind euer Gesicht wahren könnt. Vor euch und der Welt. In dieser Folge fragt er sich, wie viel Egoismus für Eltern erlaubt ist.

Vor zwei Wochen habe ich hier über die Komplikationen geschrieben, die es mit meiner Tochter im Urlaub gab. Das Kind ist drei und entwickelt gerade einen sehr dominanten Charakter. Ist vermutlich normal in dem Alter. Wir mussten als Eltern erst lernen, damit umzugehen. Vor allem, weil wir gerade selbst in einer fremden Umgebung waren. Wir haben es hingekriegt. Und tun weiterhin unser bestes. Nehmen die Bedürfnisse unserer Tochter ernst, zeigen ihr bisweilen Grenzen auf. Was Erziehung eben so ausmacht.

Das Feedback zu dem Artikel war wie immer durchsetzt von hysterischen Marktschreiern. Darauf gehe ich gewöhnlich nicht ein. Es erfordert wenig Mut, einen bissigen Kommentar ins Internet abzusondern. Allerdings habe ich darin eine Tendenz wahrgenommen, die mich schon so lange stört, wie ich Vater bin. Nach dem Motto: Ihr seid selbst daran schuld, wenn ihr eurem Kind sowas zumutet.

Wer immer in seiner Komfortzone bleibt, braucht keine Komplikationen zu fürchten

Zugegeben: Wer immer in seiner Komfortzone bleibt, braucht keine Komplikationen zu fürchten. Der Kontrollverlust bleibt minimal. Aber will ich denn das? Sind wir dazu verdammt, nichts Aufregendes mehr zu erleben, nur weil wir uns irgendwann mal entschlossen haben, ein Kind zu kriegen?

Hier ein konkretes Beispiel: Essen gehen im Restaurant. Wie bestürzt alle sind, wenn sie an den barbarischen Ami denken, der es den Schwarzen so lange verbot, im gleichen Lokal wie die Weißen zu essen. Schrecklich, so eine Ausgrenzung. Aber nennt mich anmaßend, genauso hab ich mich schon so manches Mal gefühlt, als meine Tochter noch ein Baby war und wir uns gewagt haben, mit ihr im Schlepptau essen zu gehen.

Sind wir dazu verdammt, nichts Aufregendes mehr zu erleben, nur weil wir uns irgendwann mal entschlossen haben, ein Kind zu kriegen?

Diese Blicke, wenn wir den Laden betreten haben. „Oh Mann, really? Ist das deren Ernst? Müssen die das ihrem Kind wirklich antun?“ Dabei hat unsere Tochter nicht mal geschrien. Oder sich sonstwie auffällig verhalten. Klar, ich hab auch schon extreme Fälle erlebt. Von Eltern, die mit ihren Plagen den ganzen Laden auf Trab halten. Aber das sind dann meist Leute, die sich nicht in die Lage des Gastronomen versetzen können. Und die sind immer schreckliche Trampel, egal, ob mit oder ohne Nachwuchs.

Der Vorwurf war klar: „Ihr wolltet ein Kind, also bleibt gefälligst zuhause. Ihr könnt nun mal nicht beides haben.“ Und es waren erstaunlicherweise immer junge Leute, die uns mit giftigen Blicken eingedeckt haben. Ich spekuliere einfach mal: Leute, die selbst keine Kinder hatten.

'Ihr wolltet ein Kind, also bleibt gefälligst zuhause. Ihr könnt nun mal nicht beides haben.'

Ein anderes Beispiel. Fliegen mit Kleinkind. Auch ein vieldiskutiertes Thema. Weil es vorkommen kann, dass die Babys den Druckausgleich im Innenohr nicht hinkriegen und dadurch Schmerzen haben. Was für Monster müssen Eltern sein, die das in Kauf nehmen? Können die nicht Urlaub im Spreewald machen? Warum in die Ferne schweifen? Ist ja okay, wenn man reisen will. Aber dann muss man kein Kind kriegen.

Wisst ihr, was ich dazu sage? Reisefreiheit ist ein hart erkämpftes Menschenrecht. Das lasse ich mir nicht nehmen von irgendwelchen Spießern mit fehlgeleiteten Animositäten. Ein Kind ist doch keine Mauer, die man um seine Persönlichkeit baut und sich damit freiwillig einsperrt. Im Gegenteil. Meine Tochter hat meinen Blick für die Welt noch weiter geöffnet.

Ein Kind ist keine Mauer, die man um seine Persönlichkeit baut

Kann schon sein, dass Restaurants für sie nicht sonderlich spannend sind. Und natürlich sind Langstreckenflüge langweilig. Aber da muss ich knallhart sagen: Es geht halt nicht immer nur um das Kind. Findet ihr krass? Findet ihr, dann hätte ich nicht Vater werden sollen? Und was nun? Postnatale Abtreibung? Tut mir leid, das geht nicht. Und es tut mir auch furchtbar leid, dass ich nicht jede Situation en detail im Vorfeld durchgespielt habe. Asche auf mein Haupt.

Ich liebe meine Tochter. Ich will, das sie glücklich ist und tue Tag für Tag mein Bestes, um dieses Ziel zu erreichen. Die einzige, die beurteilen kann, ob ich es bringe, wird irgendwann sie selbst sein. Wer es NICHT beurteilen kann, sind Außenstehende. Vor allem solche, die selbst keine Kinder haben.

Ich liebe meine Tochter. Ich will, das sie glücklich ist und tue Tag für Tag mein Bestes, um dieses Ziel zu erreichen.

„Ich kann nur hoffen, dass es der Kleinen gut geht“, sagen sie und verbrämen ihre Missgunst als Fürsorglichkeit. Aber lasst mich das klar stellen: Fürsorge aus der Ferne gibt es nicht. Entweder man hat ein Kind und kümmert sich darum, und zwar 24/7, in jedem einzelnen Augenblick. Oder man hat eben keins. Da kann man sich noch so sehr aufspielen. Wer abends ins Bett kriecht und nur für das eigene Wohl verantwortlich ist, kann einfach nicht mitreden.

Ich muss knallhart sagen: Es geht halt nicht immer nur um das Kind.

Und für die anderen, die jetzt um die Ecke kommen und plärren: „Ich habe Kinder. Aber was ihr da tut, ist egoistisch und unverantwortlich.“ Denen kann ich nur sagen: Wer für sein Kind auf alles verzichten kann, der hat vielleicht einfach keine sehr starke Persönlichkeit. Vielleicht wart ihr vorher schon Langweiler. Ist völlig okay. Ein Kind kann auch erfüllend sein. Aber es erfüllt euch ja offenbar nicht. Weil ihr immer noch genug freie Spitzen habt, um Menschen mit eurer Gehässigkeit auf den Zünder zu gehen, die einen anderen Lebensentwurf haben.

TIPP DES TAGES: Ihr liebt eure Kinder? Gut so. Aber liebt euch auch selbst. Manchmal zumindest.

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