Sex will ich entweder zusammen oder gar nicht haben!

unsplash I Henri Meilhac

Von: Sara Tiendorff

Es ist ein schönes erstes Online-Date. Zwischen uns stimmt die Magie und Funken fliegen hin und her, wie man so schön sagt. Zu erzählen haben wir uns auch eine Menge. Er redet viel. Das mag ich. Sonst bin ich eher die, die viel redet. So ist es auch entspannend nur zuzuhören. Er ist einer von diesen Menschen, die nicht ganz so gut stillhalten können. Immer in Bewegung. Im Körper und im Kopf. Seit mein Bruder einmal zu mir meinte, dass er eine heimliche Schwäche für Rothaarige hätte (echte Rothaarige mit heller Haut und Sommersprossen) und dass sich sein Blutfluss unweigerlich ein klein wenig verlagert, sobald er eine sieht, fällt mir auf, dass es mir oft ähnlich geht. Als würden einige rothaarige Männer direkt zu meiner Libido sprechen, obwohl sie rein optisch eigentlich gar nicht mein Typ sind.

Als würden einige rothaarige Männer direkt zu meiner Libido sprechen.

Meine Begleitung heute jedenfalls ist rothaarig und hat helle Haut und blaue Augen. Er ist drahtig und wenn man seinen Spiegelselfies trauen kann, hat er einen süßen Hintern. Wir spazieren durch Schöneberg und kommen recht schnell überein, zu mir zu gehen.

Das routinierte Standardprogramm

Unsere körperliche Annäherung ist etwas ungewohnt. Wir haben zusammen ein bisschen Gras geraucht und liegen jetzt leicht high auf meinem Bett. Langsam wird er ruhiger und entspannter. Ich lege mich etwas näher an ihn heran. Berühre ihn ein bisschen. Erstmal nur seinen Arm. Dann seine Schulter und seinen Hals, seine Haare und sein Ohr. Unerwartet plötzlich zieht er mich an sich ran, umschlingt mich, drückt mich. Unsere Gesichter liegen nun direkt voreinander und wir schauen uns in die Augen. Ganz langsam kommt er näher und küsst mich. Zunächst zärtlich, dann ein wenig fordernder. Es fühlt sich schön an. Ein bisschen fremd, aber doch intensiv.

Routine bedeutet für mich, dass dein Gegenüber nicht mehr in der Lage dazu ist, wirklich auf dich einzugehen, weil er eine Art Standardprogramm hat, welches er bei solchen Gelegenheit ablaufen lässt.

Wir tasten uns behutsam vor, erkunden und genießen einander. Er ist zärtlich, aber für meinen Geschmack auch einen Hauch zu routiniert. Selbstsicherheit ist natürlich anziehend und sexy. Das meine ich nicht. Routine bedeutet für mich, dass dein Gegenüber nicht mehr in der Lage dazu ist, wirklich auf dich einzugehen, weil er eine Art Standardprogramm hat, welches er (oder sie) bei solchen Gelegenheit ablaufen lässt. Da kann man durch noch so viele Gesten oder Stöhnen versuchen deutlich zu machen, welche Berührungen einem gefallen, aber dein Gegenüber wird es nur begrenzt wahrnehmen und darauf eingehen.

Zum Glück scheint unsere Grundkombatibilität relativ hoch zu sein. Und so entwickelt sich der Sex auf einem durchschnittlich bis gutem Level. Es ist ja auch unser erster Sex, da erwarte ich nicht zu viel. Ich bin auch high vom Kiffen und lasse mich so dominieren. Und auch mein Date scheint endlich auf meine Signale zu reagieren.

Leider glauben viele Männer, dass lautes Stöhnen ihnen mitteilen soll, stärker zu reiben oder was auch immer sie gerade machen. Dabei ist es ja meistens nur ein Ausdruck der Lust. Und obwohl ich meinem Date also sage "Ja, genau so!", wird er schneller und aggressiver. Vermutlich aus eigener Erregung, aber es ist doch ziemlich lästig. Insbesondere, weil er seinen Orgasmus zurückhält, bis ich gekommen bin. Nur kann ich das nicht, weil ich langsam Schmerzen habe.

Das Problem der gegenseitigen Befriediung

In diesem blöden Kreislauf stecken wir jetzt also fest. Am Ende siegt der Trieb und ich komme. Alleine. Er scheint kurz davor zu sein, aber irgendetwas hält ihn offenbar zurück. Ich mache also weiter, obwohl ich mir nach meinem Orgasmus eigentlich erstmal eine kleine Pause wünschen würde. Aber ich will ihn nicht hängen lassen. Doch es funktioniert nicht und ich habe schon Schmerzen und mag auch nicht mehr. Ich rutsche von ihm runter und sage ihm, dass ich nicht mehr könne. Es scheint okay für ihn zu sein.

Ich wünsche mir trotzdem, ihn befriedigen zu können, also beginne ich, ihm einen runterzuholen. Doch trotzdem kann er nicht kommen. Ich frage ihn, ob alles okay sei. Er bejaht und erschlafft. Für mich ist das das eindeutige Zeichen, dass er heute, aus welchen Gründen auch immer, einfach nicht kommen kann. Also gehe ich auf die Toilette und lege mich anschließend wieder zu ihm ins Bett. Ich bin immer noch high und super müde. Und so schlafe ich ein. Ich fühle mich recht zufrieden und nehme mir vor, mir von ihm zeigen zu lassen, was er bei Handjobs am liebsten mag.

Sex ist immer was Gemeinsames

Beim Einschlafen denke ich noch, wie schön es ist, dass es ihm beim Sex offenbar nicht nur um seinen Orgasmus geht. Denn ich spüre immer noch die Enttäuschung über meinen vorletzten Sex in mir: ein wirklich netter Mann, mit dem ich sieben oder acht schöne Treffen hatte, bevor wir uns das erste Mal küssten. Und noch eines mehr, bis wir Sex hatten. Ich hatte mir vorgestellt, dass es intensiv, zärtlich, leidenschaftlich wird. Stattdessen wurde es schnell, hektisch und reizend. Er konnte überhaupt nicht auf meine Signale eingehen, hat sein Ding durchgezogen und als ich irgendwann abbrechen musste, weil es anfing unangenehm zu reiben und mir auch keinen so großen Spaß mehr machte, bat er mich um einen Handjob. Klar sage ich dazu auch nicht nein, das macht mir doch auch Spaß. Enttäuscht war ich aber hinterher wirklich sehr, als er nicht einmal mehr daran dachte, auch mich noch zu befriedigen. Vielleicht hätte ich danach fragen sollen? Oder darf man das nach einem ähnlichen Gefallen auch einfach mal erwarten?

Aber in dem Moment, als er sich im Bad wusch und dann zum Schlafen ins Bett legte, auch noch ohne ein Wort über unseren Sex oder meinen Gefallen äußern, war ich tatsächlich sprachlos. Und je länger ich darüber nachdachte, desto ärgerlicher fand ich es. Nicht, weil ich keinen Orgasmus hatte. Vor allem ärgerte ich mich um den fehlenden Respekt. Sex ist immer etwas gemeinsames. Nur wenn beide aufeinander eingehen und sich auf die Bedürfnisse des anderen einlassen, kann etwas großartiges Entstehen. Etwas, dass einem so viel mehr gibt als einen Orgasmus.

Mit diesen Gedanken und der Freude darüber, dass der Mann in meinem Bett und ich offenbar eine solide gemeinsame Grundlage für zukünftigen Sex haben, schlafe ich ein.

Nur wenn beide aufeinander eingehen und sich auf die Bedürfnisse des anderen einlassen, kann etwas großartiges Entstehen.

Auch der nächste Morgen ist entspannt. Ich koche uns Kaffee und wir verabschieden uns auf bald. Es dauert nicht lange, bis er mir wieder schreibt. Wir unterhalten uns ausführlich im Chat. Bis wir zum Thema Sex kommen. Er fragt mich, ob ich ihm bei der nächsten Gelegenheit auch einen blasen würde. Klar würde ich das machen, antworte ich. Mir ist klar, dass er sich mit diesem Wunsch auch auf den unerfüllten Höhepunkt bezieht. Ich denke mir erstmal nichts weiter dabei, natürlich kann er Wünsche äußern und wenn ich darauf stehe, erfülle ich sie ihm auch gerne.

Dann aber legt er los. Es folgt ein stundenandauernder Nachrichten-Wechsel zwischen uns, in dem es hauptsächlich darum geht, warum es für ihn als Mann für eine gute Gesundheit und eine gesunde Psyche notwendig sei, regelmäßig zum Orgasmus zu kommen. Außerdem würde er es nicht kennen, dass er nicht kommen könne. Das habe er bisher nur bei sehr passiven Frauen erlebt. Offensichtlich war also der ausbleibende Orgasmus nicht nur meine Verantwortung, sondern auch meine Schuld. Die Art, wie er mir schreibt, ist grob und anklagend in einem Maße, das mich einschüchtert. So geht es noch eine ganze Weile weiter. Ich bin kein konfliktstarker Mensch und weiß kaum etwas zu erwidern.

Warum der Egoismus beim Sex ab 30 zunimmt

Menschen sind unterschiedlich und haben verschiedene Vorlieben und Bedürfnisse. Diese zwei Begegnungen sind nur eine Momentaufnahme. Aber wenn ich zurück denke, scheinen sie stellvertretend für einen bestimmten Sex-Typ zu sein: den Egoisten. Es fällt mir sehr schwer zu verstehen, warum manche Menschen egoistischen Sex bevorzugen. Haben sie noch nie wirklich gemeinsamen Sex erlebt? Sind sie vielleicht nicht in der Lage, sich auf ihr Gegenüber einzulassen? Oder sind sie schlicht und ergreifend egoistische Menschen, in deren Realität es keinen Platz für Gemeinsamkeit bei der Bedürfnisbefriedigung gibt?

Offensichtlich war der ausbleibende Orgasmus nicht nur meine Verantwortung, sondern auch meine Schuld.

Diese Fragen lassen sich nur für den konkreten Einzelfall beantworten. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass der Egoismus ab Ende 20 wieder deutlich zunimmt. Während er mit 18 eher eine Konsequenz der Unwissenheit und mangelnder Kommunikation war, nimmt er mit Mitte 20 in meinen Erinnerungen deutlich ab. Mit Anfang 30 wiederum wissen wir sehr genau, was uns gefällt, aber auch, wie wir bekommen, was uns gefällt. Wenn wir aber beschließen, gemeinsam Sex zu haben, sollten wir auch die Verantwortung für das Wohlbefinden unseres Gegenübers übernehmen.

Die Frage sollte doch auch sein, was man selbst zu gutem Sex beiträgt. Sonst war ich eher der Typ, der davor oder danach über Vorlieben und Bedürfnisse gesprochen hat, weil ich dem Sex nicht den Drive nehmen wollte. Vielleicht aber auch, weil ich nicht kompliziert oder fordernd sein wollte. Ich habe mir jetzt aber definitiv vorgenommen, noch viel deutlicher auch WÄHREND des Sex’ zu kommunizieren, was ich mag und was nicht. Ich bin einfach schlicht zu alt für schlechten und egoistischen Sex.

Ich bin einfach zu alt für schlechten und egoistischen Sex.
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