Sex mit Tampon, geht das denn überhaupt?

© Clint Lukas

„Die ist ein bisschen crazy, aber du magst sie bestimmt!“, hat mein Freund Ben gesagt.
„Was meinst du mit crazy?“, ich dann.
„Naja, schau dir halt ihre Augen an.“

Daran muss ich denken, als ich Loire nun in ihrer Küche gegenüber sitze. Erdgeschoss-Wohnung, in unmittelbarer Nähe zum Kotti. Loires Augen sind ganz normal, sie guckt halt damit so rum. Ihr Projekt dagegen, bei dem ich mitmachen soll, ist nicht von Pappe.

„Es ist ganz einfach“, sagt sie. „3 Männer, 3 Wochen. Ich lebe mit jedem der Männer für je eine Woche eheähnlich zusammen.“
„Was heißt eheähnlich?“, frag ich.
„Naja, also wie in einer Beziehung. Du wohnst bei mir, wir schlafen zusammen. Und auch miteinander, wenn sich’s ergibt. Das soll ein Kunstprojekt werden. Ich will rausfinden, ob räumliche Nähe auch emotionale Nähe erzeugt. Wir dokumentieren alles genau und führen jeden Abend Videotagebuch.“
„Der wievielte Mann wäre ich?“
„Der zweite.“
„Und wo ist der erste?“
„Den hab ich nach draußen geschickt.“

Erzeugt räumliche Nähe auch emotionale?

Die Sache ist die: Ich bin gerade in einer komischen Phase. Emotional gestört, könnte man sagen. Es ist mir nicht wichtig, mich gut zu fühlen. Wichtig ist, dass überhaupt was passiert. Denn angenehm kann die Woche mit Loire kaum werden. Nicht unbedingt deshalb, weil sie nicht mein Typ ist. Sowas ist eh überbewertet. Nein, es liegt daran, dass die Chemie zwischen uns nicht stimmt. So grob das auch klingen mag: Ich kann sie nicht leiden. Gerade deshalb wäre es spießig, einen Rückzieher zu machen.
„Wann ziehe ich ein?“, frag ich.
„Morgen Abend.“

Ich bin nervös, als ich am nächsten Tag aus der U8 steige. Der Kotti ist eh so ein Ort, der mir maßlose Angst einjagt. Zu viele Menschen, zuviel offensichtlicher Irrsinn. Auch ich bin ein Teil davon. Nicht mal eine Zahnbürste hab ich eingesteckt. Schließlich teilen Eheleute sowas.

Loire sitzt wieder in ihrer Küche. Ich klettere direkt durch das Fenster hinein und trete dabei ein Glas Wasser vom Tisch. Es zerschellt neben einer Dreiersteckdose.

„Und was machen wir jetzt?“, frag ich.
„Ich weiß nicht“, sagt sie geheimnisvoll. „Das Projekt ist da ganz offen.“
„Hm…“, mach ich. „Na, dann geh ich mal Schnaps kaufen.“

Ich kann sie nicht leiden.

Bis Mitternacht gelingt es mir, einige Hemmungen abzubauen. Was mich an Loire so stört, ist ihre Selbstsicherheit. Wir haben beschlossen, für die Dauer des Projektes dessen Sinn nicht zu hinterfragen. Trotzdem liegt doch wohl auf der Hand, dass es merkwürdig ist, was wir da tun. Loire zeigt allerdings kein Zeichen des Zweifels. Und sie scheint sich völlig sicher zu sein, dass wir bald Sex haben werden. Womöglich schon heute.

Zwei Stunden später fummeln wir tatsächlich ein bisschen rum. Ich bin ja insgesamt nicht sonderlich überzeugt vom Phänomen SEX, doch reichen meine Erfahrungen aus, mir zu sagen, dass Loire da unten eigentliche keine Schnur haben sollte. Nicht dass ich das schlimm finden würde. Aber was will sie mir damit sagen? Ist das nicht arg vertraulich? Ich kenne die Dame doch kaum.

„Sag mal, hast du deinen Tampon noch drin?“, frag ich.
„Ja, wieso?“

Statt zu antworten, greif ich nach der Flasche billigem Fusel, die immer in Reichweite steht und trinke mit Elan. So, dass es gluckert.

Ausdauer ist wichtiger als Wahrheit

Morgens um acht geh ich zum Supermarkt und besorge Nachschub. Wodka und Bier. Als ich damit über den Kotti gehe, fühle ich mich irgendwie deplatziert. Wie in einer ganz fremden Stadt. Der Gedanke, dass ich einfach mit der U-Bahn nach Hause fahren könnte, erscheint unwirklich.

Was hat Loire sich dabei gedacht? Wollte sie gar keinen Sex haben und ihr Tampon war das Stop-Schild? War das ein Test? Hab ich ihn bestanden?

„Warum musst du dich so früh schon betrinken?“, fragt sie bei unserer nächsten Videotagebuch-Sitzung.
„Weil ich nicht weiß, wie ich sonst mit dir umgehen soll.“
„Trinkst du immer soviel?“
„Nicht so verzweifelt.“
„Willst du das Experiment abbrechen?“
„Nein.“ Sie grinst triumphierend.
„Weil es dir doch irgendwie wichtig ist, stimmt’s?“
„Nicht wirklich. Aber ein kluger Mann hat mal gesagt: Ausdauer ist wichtiger als Wahrheit.“

Wir drehen die Kamera um. Ich will von ihr wissen, wie es mit dem Mann vor mir war.
„Er hat sich in mich verliebt“, sagt sie nicht ohne Stolz.
„Echt jetzt?“
„Ja, er versucht ständig mich zu erreichen.“
„Warum gehst du nicht ran?“
„Das ist gegen die Regeln.“
„Und fühlst du dich wohl mit mir?“
„Ich weiß nicht so recht“, sagt sie. „Ich dachte, wir machen mehr Sex.“

Ich schlucke. Langsam drängt sich mir der Verdacht auf, dass das Kunstprojekt nur ein Kollateralschaden ist.

Der Gentleman schweigt und… nein, manchmal schweigt er nur.

Natürlich wäre es trotzdem verklemmt, nicht mit ihr zu ficken. Wir tun es am nächsten Abend. Was soll ich sagen? Der Gentleman schweigt und… nein, manchmal schweigt er nur. Weil ich nicht gemein zu ihr sein will, trinke ich immer mehr, rauche dicke Zigarren, falle im Suff durch die Gegend und demoliere ihr Mobiliar. Loire ist längst davon überzeugt, dass ich in sie verliebt bin und sieht deshalb großzügig über mein Bukowski-Verhalten hinweg.

„Gib’s zu“, sagt sie. „Du magst mich viel mehr, als du willst.“
„Jaja, schon möglich.“
„Aber du darfst nicht bei mir bleiben.“
„Ich weiß. Der dritte Mann kommt morgen.“
„So ist es. Ich bin schon gespannt. Aber so krass wie du ist er bestimmt nicht.“
„Mach mal mein Glas voll“, sag ich.
„Darf ich auch einen Schluck?“
„Scheißt der Papst in den Wald?“

Und so besaufen wir uns gemeinsam und lachen sogar ein bisschen. Ich kann nicht behaupten, dass räumliche Nähe zwangsläufig emotionale Nähe erzeugt. Aber so eine Art psychotischer Burgfrieden springt auf jeden Fall dabei raus. Eine nützliche Information. Lässt sich bestimmt auf viele Lebensbereiche anwenden. Warum Loire allerdings ihr Tampon beim Sex drin gelassen hat, ist mir noch immer ein Rätsel. Hat irgendjemand eine Idee?

Warum Loire allerdings ihr Tampon beim Sex drin gelassen hat, ist mir noch immer ein Rätsel.
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