Darf man eigentlich Sex im Thailand-Urlaub haben?

© Clint Lukas

Neulich ist es wieder passiert. Spätnachts, irgendein Techno-Fest in Brandenburg. Mein Kumpel hat eine Freundin dabei, die uns ungefragt darüber unterrichten musste, wie ihre Mutter sich umgebracht hat. Was man halt so braucht, wenn man feiern will. Und die Pappen gerade zu wirken beginnen. Jetzt richtet sie ihren Blick auf mich.

„Ich hab gehört, du warst in Thailand?“, fragt sie.
„Mhm“, sag ich und ahne, was kommt.
„Und du hattest da was mit ’ner Frau?“
„Ja“, sag ich. „Ich hatte da was mit einer Frau.“
„OOO-kay“, ruft sie und wirft einen triumphalen Blick in die Runde. „Lass mich raten. Sie wollte bestimmt mit dir nach Deutschland kommen, oder?“

Auf solche Neckereien gehe ich normalerweise nicht ein. Was soll das bringen? Doch dieser Abend ist anders. Liegt vielleicht an dem Horrortrip, den die Beste uns ungefragt aufs Auge drücken musste. Vielleicht reizt mich auch ihre unverwüstliche Jovialität, die anscheinend noch nie etwas infrage gestellt hat, das von ihrer Seite des Tisches kommt.

Ich bin ein Sextourist

„Nein“, sag ich deshalb. „Wollte sie nicht. Au lebt ganz gern in Thailand.“
„Ach, come on. Geht’s noch’n bisschen more cheesy?“
„Na, los. Gib’s mir.“
„Hey, Leute!“, versucht mein Kumpel die Stimmung zu retten. „Sollen wir nicht lieber tanzen gehen?“
„Nein, bitte“, sag ich zu der Freundin. „Frag, was du wissen willst. Schütt mir dein Herz aus.“
„Du bist ja ganz zufrieden mit dir. War bestimmt nur ein Urlaubsflirt, oder?“
„Wenn du's so nennen willst.“
„Bis zu dem Punkt, an dem du ihr Geld gegeben hast.“
„An dem Punkt wird’s doch meistens erst interessant.“

Was besseres fällt mir nicht ein. Ich denke an die Tage mit Au zurück und glaube mich zu erinnern, dass es sogar meistens sie war, die den Deckel bezahlt hat.

Sextourist. Ich wurde noch nie so genannt. Natürlich nicht. Ist schließlich gegen die Etikette, jemanden zu beschimpfen. Und doch ist es genau das, was mir die Festival-Frau so nonchalant zu verstehen gibt. Ich bin ein Sextourist. Weil ich mit einer Thailänderin geschlafen habe.

Wie fühlen sich wohl die Frauen dabei, wenn man sie pauschal mit Prostituierten gleichsetzt?

Ich kenne jemanden, der mit einer Thai verheiratet ist. Sie hat Medizin studiert und ist Zahnärztin. Die beiden werden auch immer auf die gleiche Art angeschaut. „Aha, soso, ihr habt euch wohl im Urlaub kennen gelernt?“ Damit will ich nicht sagen, dass man Medizin studiert haben muss, um respektiert zu werden. Es macht mir auch nichts aus, als Wüstling bezeichnet zu werden. Aber wie fühlen sich wohl die Frauen dabei, wenn man sie pauschal mit Prostituierten gleichsetzt?

Jeder One-Night-Stand ist heikel

„Au ist nicht so naiv“, versuche ich mir nochmal Gehör zu verschaffen.
„Natürlich nicht. Sie fand dich einfach nur nett, oder?“
„Ist das so abwegig?“
„Come on, so ist das aber nicht. So läuft das in Thailand nicht!“
„Wann warst du denn das letzte Mal da?“
„Noch nie. Aber das ist auch egal.“

Was soll man dazu noch sagen? Ich räume gern ein, dass die Sache ein bisschen heikel ist. Aber solche Urlaubsromanzen sind immer heikel. Jeder One-Night-Stand ist heikel. Weil immer die Gefahr besteht, dass man mit den Erwartungen des Partners spielt.

Ich bin ganz unbedarft in diese Romanze geraten. Au war Barkeeperin auf Koh Lanta. Sie kommt eigentlich aus dem Norden und arbeitet nur während der Saison an der Bar. Ich bin ziemlich schnell Stammkunde geworden, weil es da so tolle Pilze gab. Am zweiten oder dritten Abend bin ich mit ihr und drei Freundinnen noch weiter gezogen. Die waren auch Saisonarbeiterinnen, Ladyboys, die auf ihre nächste OP gespart haben.

Manchmal schreiben wir uns noch. Au würde gern mal nach Berlin kommen. Aber sie besteht darauf, die Flüge selbst zu bezahlen.

Was weiter passiert ist, geht nur Au und mich etwas an. Es hat jedenfalls bewirkt, dass ich nicht weiter nach Malaysia gefahren bin, wie ursprünglich geplant. Den Rest der drei Wochen hab ich bei Au im Dienstmädchentrakt gewohnt. Wir waren viel feiern, haben auch den obligatorischen Moped-Unfall gebaut und danach unsere Wunden gepflegt. Natürlich war der Abschied traurig, aber wir wussten ja, dass er kommt. Manchmal schreiben wir uns noch. Au würde gern mal nach Berlin kommen. Aber sie besteht darauf, die Flüge selbst zu bezahlen.

„Du hast sie ausgenutzt“, sagt die Frau auf dem Festival.
„Klar“, sag ich. „Jeder nutzt immerzu jeden aus.“

Warum soll ich ihr die Geschichte erzählen? Ich bin sowieso schon für schuldig befunden worden. Ich bin ein Sextourist. Und ein Ferkel.

Interessiert die Menschen, was wirklich passiert ist?

Vor ein paar Tagen hab ich die Geschichte einem Bekannten erzählt, der Arzt ist. Als ich an die Stelle mit dem Moped-Unfall gekommen bin, wurde er ganz besorgt.

„Hast du dich testen lassen?“, er dann.
„Was meinst du?“
„Naja, die sind da doch alle HIV-positiv.“

Bis dahin mochte ich den Arzt eigentlich gern.

Wenn ich das alles vorher gewusst hätte! AIDS, pfui Teufel! Und überall käufliche Frauen, die mich heiraten wollen. Ich schwöre, das passiert mir nicht nochmal. Nächstes Jahr flieg ich in die Türkei, pauschal, Vollpension. Und ich werde keinen Fuß vor die Tür des Hotels setzen. Nicht dass ich da noch einem Einheimischen begegne, der mich mit Seuchen und Liebe besprüht. Oder ich mach es wie die Frau auf dem Festival: einfach zuhause bleiben. Damit meine Vorurteile nicht von alternativen Fakten behelligt werden.

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